Sehr geehrter Dr. Posth,
ich habe Ihre Beiträge bezüglich der Fremdbetreuung von Säuglingen und Kleinkindern gelesen und bin jetzt stark verunsichert. Ich bringe meinen Sohn (jetzt 13 Monate) seit er 7 Monate alt ist in die universitäre Kindertagesstätte, da ich selbst noch studiere- besser gesagt mitten im Examen stecke- und keine Möglichkeit hatte, mehrere Semester auszusetzen. Ich muss folgendes dazusagen: 1) Die Schwangerschaft war ungeplant- ein echter „Unfall“ sozusagen, doch das Kind ist natürlich nicht ungewollt! 2) Mich plagt selbst ständig das schlechte Gewissen. Das geht sogar soweit, dass ich merke, dass ich mich aus schlechtem Gewissen heraus dem Kind gegenüber anders verhalte, als ich es wohl normalerweise tun würde. 3) Das Kind ist auch nicht nur ständig krank, sondern es scheint mir sogar zunehmend verhaltensauffällig (aggressiv, weinerlich, etc.). Mein Mutterinstinkt sagt mir ganz genau, es wäre besser für ihn/uns, wenn ich länger zu Hause geblieben wäre. Er leidet ziemlich unter der Trennung. Ich habe das Gefühl, vor der Krippenbetreuung war er ein anderes Kind. Aber nun zu meinem Anliegen:
Da sich die Lage nun einmal so darstellt, klären Sie mich bitte über den neuesten Stand der Forschung auf. Welche Schäden können durch so frühe Fremdbetreuung auftreten- worauf muss ich mich einstellen, was sollte ich wissen, um den „Schaden“ zu mindern? Treten durch frühe Fremdbetreuung später nicht mehr ausgleichbare „Schäden“ auf, d.h. habe ich schon etwas falsch gemacht, was ich nie wieder gutmachen kann? Vielen Dank für Ihre Antwort.
Mitglied inaktiv - 01.03.2004, 21:53
Antwort auf:
Fremdbetreuung
Hallo, Ihre beiden Mutterprobleme sind absolut verständlich, und es ist bedauerlich, daß diese Problematik nach wie vor hauptsächlich die jungen Frauen trifft. Inwieweit sind denn eigentlich die Väter verfügbar?
Das zentrale Thema der frühen Fremdbetreuung heißt Ersatzbezugsperson. Mit anderen Worten, läßt sich für die Getrenntzeiten eine zuverlässige Ersatzbezugsperson finden, die auch keine Konkurrenz zur leiblichen Mutter aufbaut, ist das Problem sicher stark abgemildert. Ich glaube, das zu betonen, ist wichtig, weil es auch die Mütter entlastet und einem aktuellen Trend entgegenspielt.
Folgen für später? Die Forschung, aber auch die umfangreiche Beobachtung von Kleinkindern allein sagt und zeigt, daß sich im schlechteren Fall eine unsichere Bindung einstellt, welche für sich genommen kein pathologisches Phänomen ist, aber eindeutig einen Risikofaktor darstellt. Kommen zusätzliche Risikofaktoren dazu, kann es schnell eng werden für die ungestörte psychosoziale Entwicklung. Demzufolge braucht eine -sagen wir- einigermaßen gelungene, frühe Fremdbetreuung für sich allein noch keinen nennenswerten Schaden in der Entwicklung anrichten. Aber die weitere Entwicklung erfordert ein höheres Augenmerk. Z.B. müssen aggressiv unterstützte Loslösungerscheinungen, die wahrscheinlich häufiger sein werden, toleranter hingenommen werden und mit strafferen Regeln kombiniert sein. Oder es sollte später die Selbstattributierung (s. mein Text), also alles das, was ein Kleinkind gut an sich erlebt, gefördert und unterstützt werden, usw.
Die möglichen Gefahren für mißlungen früh betreute Kleinkinder liegen ganz generell v.a. in aggressiv-oppositionellen Verhaltensweisen, schlechter Aufmerksamkeitspanne, hyperkinetischen Erscheinungen und antisozialem Verhalten. Ich hoffe, mit dieser sehr verkürzten Darstellung konnte ich Ihnen etwas helfen. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 03.03.2004
Antwort auf:
Fremdbetreuung
Hallo FraMue,
helfen kann ich Dir nicht, aber an der Antwort bin ich auch sehr interessiert.
Ich bin in einer aehnlichen Situation, und jeden Tag unendlich niedergeschlagen deswegen. Ich habe meine Suesse schon mit 3 Monaten zu einer Tagesmutter geben muessen und habe jeden Tag Bedenken, wie das Ihre Entwicklung beeinflussen wird. Es GING einfach nicht anders.
Alleine bist Du nicht mit Deinen Sorgen.
Mitglied inaktiv - 01.03.2004, 22:51