Frage im Expertenforum Stillberatung an Biggi Welter:

Stillen als Einschlafhilfe beim 6 Mo. alten Sohn

Biggi Welter

 Biggi Welter
Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

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Frage: Stillen als Einschlafhilfe beim 6 Mo. alten Sohn

Dorsyk

Guten Abend Frau Welter, ich bin allein erziehende Mama von einem 6 Mo. alten Säugling. Wir haben pünktlich zum Ende seines 4ten Mo. mit Brei angefangen und haben bereits 3 Breie am Tag in Abständen von ca. 3 Std. Einmal am Tag stille ich auch. Schnuller möchte er nicht und kaut daran eher spielend als saugt ihn. Nun bemerke ich seit einigen Wochen, dass mein Baby ziemlich anhänglich ist (Vater kommt 2x/Wo. zu Besuch) und nach meiner Nähe sucht. Er schläft seit der Geburt bei mir im Bett. Nachts wacht er unterschiedlich auf und in ca. 2 Std Abständen bekommt er die Brust. Nun habe ich gehört dass es wichtig ist, das Kind bis zum 8 Lebensmonat an sein eigenständiges Einschlafen zu gewöhnen. Schreien lassen kommt für mich gar nicht in Frage. Ich habe einige Nächte wenn er aufwachte folgendes verusucht: >aus dem Bett nehmen und stehend oder auf dem Ball im Arm (Kopf an Kopf) wippen >im Schneidersitz auf dem Bett wippen >auf die Brust im Bett liegend legen und leicht wippen Er hat mit jeder dieser Methoden mal schneller mal langsamer einschlafen können. Das Problem war, dass sobald ich ihn zur Seite (also zu seinem Platz in meinem Bett) ablegen wollte, wachte er auf. Nach zwei, dreimaligem Aufwachen kapitulierte ich und gab ihm die Brust aus lauter Müdigkeit. Dieses nicht ablegen wollen hat mir gezeigt, wie sehr er an mir "hängt" und meine Nähe benötigt. Auch am Tag tut er sich schwer, alleine zu spielen. Ich sitze die ganze Zeit bei ihm auf der Spielmatte und er möchte nach gewisser Zeit an mir hochklettern und auf den Arm genommen werden. Dabei winselt er oft. Wie kann ich mein Kind unterstützen, eigenständig zu spielen und eigenständig einschlafen zu können? Ich möchte gerne stillen solange er es möchte aber ich frage mich, wie das selbständige Einschlafen mit Stillen je funktioniert und wie ich ihm dabei helfe. Ich habe Sorge, dass ich ihm zu spät gewisse Gewohnheiten "entziehen" wollen würde und gleichzeitig sehe ich, wie sehr er mich noch braucht und wie sehr er noch die Brust verlangt und sich NUR dadurch beruhigt. Vielen lieben Dank für Ihre Antwort!


Biggi Welter

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Liebe Dorsyk, Du machst nichts falsch, lass Dich nicht verunsichern! Ja, Dein Kind WIRD von ganz alleine länger schlafen und auch irgendwann durchschlafen, wenn Du ihm die Zeit schenkst. Auch ich war damals verunsichert und wurde als Glucke und sonstwas bezeichnet ;-). Heute sind meine Kinder meine größten Stützen und ich weiß, dass Achtsamkeit nichts mit Verwöhnen zu tun hat. Ist Dir schon einmal aufgefallen, dass niemand fragt „Wann muss das Kind selbstständig atmen lernen" oder „Wann muss das Kind frei laufen können"? Beim ersteren geht jeder davon aus, dass dies eine Fähigkeit ist, die ein gesundes Kind selbstverständlich beherrscht und bei zweiten wird eine große Zeitspanne von vorne herein als normal angenommen. Nur beim Stillen, da wird dem Kind nicht die Kompetenz zugestanden, dass es auch diese Fähigkeit selbst und in dem für es passenden Tempo entwickeln wird. Da wird immer wieder behauptet, dass die Eltern das Kind entsprechend „trainieren" müssen. Wenn es DICH also nicht stört, dann schenke Deinem Kind diese Zeit. Wie traurig ist es doch, dass wir unseren Menschenkindern kaum noch die natürliche Zeit gönnen, die sie zum gesunden Gedeihen brauchen. Es gibt keinen Grund, dass Du etwas daran ändern musst, dass Du Dein Baby nach Bedarf stillst und auch in den Schlaf stillst, es sei denn DICH persönlich stört etwas daran. Auch die immer wieder geäußerten Argumente, das Baby würde auf diese Weise verwöhnt oder es würde so nie lernen alleine einzuschlafen bzw. nie wieder aus dem Elternbett ausziehen, sind nicht stichhaltig. Babys in diesem Alter können noch nicht verwöhnt werden und Kinder, die sich den Platz im Elternbett nicht erkämpfen oder ertrotzen mussten, ziehen von selbst aus dem Elternbett aus, sobald sie reif genug dafür sind. Im Gegensatz dazu wollen viele Kinder, die als Babys alleine schlafen mussten noch lange ins Elternbett, weil ihr Bedürfnis (noch) nicht gestillt wurde. Sobald ein Baby die nötige Reife hat, lernt es alleine (ein)zuschlafen und wird auch längere Schlafphasen haben. Genauso wie Du es beschreibst, machen es Mütter seit Urzeiten mit ihren Babys und es hat noch nie einem Baby geschadet. Seit Jahrtausenden und in unzähligen Kulturen ist es so, dass Mütter ihre Babys in den Schlaf stillen. Das Saugen wirkt beruhigend und nicht umsonst wurden im Laufe der Zeit die verschiedensten Brustattrappen (z.B. Schnuller s.o.) erfunden. Von der Natur ist es nicht vorgesehen, dass ein Baby oder Kleinkind allein ist und alleine einschläft. Nur passt dieses „natürliche" Verhalten des Babys nicht in unsere derzeitige Zeitströmung und damit haben wir ein (von uns selbst produziertes) Problem: Babys wissen nicht, was zur Zeit „Mode" ist und benehmen sich so, wie sie es seit Anbeginn der Menschheit getan haben. Es hat seinen Grund, warum stillende Mütter die besten Einschlafhilfen SIND. Beim Saugen an der Brust findet ein Baby das, was es braucht: Trost, Nahrung, Sicherheit. Es liegt vermutlich an einer gewissen neurologischen Unreife, wenn einige Babys das mehr brauchen als andere, und es "verwächst" sich wirklich von alleine!! Sehr empfehlenswert ist von Sibylle Lüpold das Buch: "Ich will bei euch schlafen - Ruhige Nächte für Eltern und Kinder." Dein Kind kann nicht "verwöhnt" werden, wenn es viel Nähe und Zuwendung bekommt. Eine Kollegin von mir hat dazu einen schönen Text geschrieben, aus dem ich jetzt einen Abschnitt zitiere: "Das Kind wird verwöhnt und verzogen. "Ja, das ist jetzt schon total verwöhnt" "Ihr verzieht das Kind, nachher will es nur noch auf den Arm" "So lernt das Kind ja nie alleine einzuschlafen, alleine zu spielen, sich mit sich selbst zu beschäftigen ..." "Wie soll das Kind denn seinen Rhythmus finden, wenn Du es ständig mit der herumziehst". So und ähnlich lauten viele Aussagen wohlmeinender Freunde, Verwandte und auch wildfremder Menschen, von denen man auf der Straße angesprochen wird. Was ist dran an dieser Theorie, dass das Baby durch die Zuwendung, die es erhält verwöhnt und verzogen wird? Bernadette Stäbler beschreibt in ihrem Buch "Mama" die Angst, sein Kind nicht richtig zu erziehen: "Und schon ist sie da, diese Angst, sein Kind zu verziehen. Welche Ursachen hat sie? Denn, wer dieses unschuldige Baby anschaut, fühlt sich sehr glücklich. Niemand kann sich vorstellen, dass es eines Tages unerwünschte Handlungen vollbringen wird. Wenn wir also von "verziehen" sprechen, haben wir ein älteres Kind vor Augen. Das Kind im Trotzalter, das immer "nein" ruft, läßt seine Mutter denken: "Was für einen Dickkopf habe ich mir großgezogen. Sicher habe ich es falsch gemacht!" Ist es wirklich so wichtig, dass unsere Kinder vor der Zeit lernen, alleine zu schlafen, alleine zu sein und sich mit sich selbst zu beschäftigen? Ist es notwendig, dass wir Erwachsenen unseren Lebensrhythmus ändern und an das Baby anpassen, damit sich das Kind gut entwickelt? Auch hierzu möchte ich wieder aus dem Buch von Bernadette Stäbler zitieren: "In vielen ursprünglich lebenden Kulturen, die wir "primitiv" nennen, wurden inzwischen Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse eine Umwälzung unserer Ansichten über die herkömmliche Kindererziehung mit sich brachten. Ich möchte eine afrikanische Studie herausgreifen und vereinfacht darstellen: Die erste Gruppe gebar ihre Babys zuhause und ließ diese keinen Moment allein. Geborgen bei der Mutter, wurden sie nach Bedarf gestillt und mussten niemals schreien. Bald ging die Mutter wieder auf das Feld, um die gewohnte Arbeit zu verrichten, das Neugeborene in ein Tragtuch geschlungen. Die Kontrollgruppe bekam ihre Babys im Krankenhaus mit aller medizinischen Hilfe, einschließlich schmerzlindernden Medikamenten. Gleich nach der Geburt wurden Mutter und Kind getrennt, um zu ruhen. Die Babys bekamen Fläschchen und Schnuller, weil dies "das Moderne" war. Daheim schliefen die Kinder in ihrem Bettchen, in ihrem eigens dafür hergerichtetem Zimmer. Allein, ohne Körperkontakt. Alles ging recht zivilisiert zu, nämlich nach einem genauen Zeitplan, denn die Kinder sollten sich früh an ein geordnetes Leben gewöhnen und weder kleine Tyrannen noch nervös werden. Ein Jahr später offenbarte sich das Unerwartete: Die Kinder der ersten Gruppe waren in allem den anderen voraus: Sie waren intelligenter in ihren Verhaltensweisen und auch viel sozialer eingestellt, selbst die körperliche Entwicklung war besser, obwohl sie die ganze Zeit "festgebunden" waren. Ähnliche Ergebnisse ergaben vielseitige Studien in den verschiedensten Kulturkreisen. Wenn wir versuchen, dies mit einer natürlichen, einfühlsamen Intelligenz nachzuvollziehen, wissen wir, warum das Ergebnis so ausfallen musste. Das Baby fühlt sich bei seiner Mutter geborgen. Es muss seine Kräfte nicht für das Weinen verbrauchen. Der mütterliche Körper gibt ihm Wärme. Wenn das Baby sich an seine Mutter schmiegt, fühlt es ein wenig von dem Glück, das es neun Monate lang im Mutterleib haben durfte. Es kennt von daher ja auch schon die Herztöne seiner Mutter, es kennt sogar schon ihre Stimme und nun sieht es endlich ihr Gesicht, ihre Augen und darf an der Brust trinken, wenn es möchte. Das ist das Glück, die mütterliche Liebe, die Impulse gibt für die Intelligenz und das soziale Verhalten. Wenn das Baby sich an die Körperbewegungen der Mutter anpassen muss, während sie ihre alltägliche Arbeit verrichtet, übt es in wundervoller Weise seine Muskeln und den Gleichgewichtssinn." (Aus: Denise Both: „Tragen") Ganz liebe Grüße Biggi


Dorsyk

Liebe Frau Welter, vielen herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort, die mich beruhigt und in meinen Handlungen bekräftigt. Mir sind beim Lesen die Tränen in die Augen gekommen. Rührend und einfühlsam beschrieben. Vielen lieben dank dafür, auch für den Buchtip. Mit herzlichen Grüßen Dorsyk


Biggi Welter

Biggi Welter

Liebe Dorsyk, vielen Dank für diese goldige Rückmeldung, die mir die Tränen in die Augen treibt :-). Ich freu mich! Biggi


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