Rubydoo
Guten Tag, unser Sohn ist jetzt 10 Monate alt und eigentlich kein schwieriges Baby. Der Schlaf ist herausfordernd, aber mein Mann und ich haben einen Weg gefunden der gut tragbar ist. Mein Mann arbeitet Mo-Do meist von zu Hause, aber ist natürlich idR. nicht fürs Aufpassen verfügbar. Meine Eltern wohnen nebenan, aber meine Mutter hatte vor einem Jahr eine OP wegen Meningiom und fühlt sich nach wie vor nicht fit. Daher habe ich das Baby meist alleine und bin tagsüber oft überfordert. Ich habe manchmal so eine wahnsinnige Wut wenn das Baby nur schreit und ich nichts machen kann außer tragen, dass ich am liebsten etwas zertrümmern würde. Das kenne ich von mir gar nicht. Meistens heule ich dann vor Wut und Überforderung. Ich fühle mich so schnell getriggert. Nach der Geburt hatte ich eine Weile sehr aggressive Träume. Das war auch seltsam. Für die Ehe haben wir gar keine Zeit weil Baby immer bespaßt werden muss. Passiert so etwas häufiger? Was kann ich dagegen tun? Herzlichen Dank schonmal
Hallo Rubydoo, vielen Dank für deine Offenheit. Es ist sicherlich nicht einfach, diese Gedanken zu teilen, aber sehr wichtig und ein guter Schritt. Erst einmal zu deiner Frage, ob so etwas häufiger passiert: Die Zeit rund um Schwangerschaft und Geburt ist für viele Familien eine große Herausforderung. Das Familiensystem und auch die Beziehungsdynamik ändert sich, weil neue Aufgaben hinzukommen und es eine intensive Zeit ist. Manchmal kommen auch in dieser Zeit einige Probleme zum Vorschein wie zum Beispiel eine unausgewogene Aufteilung der Sorgearbeit. Mit Sorgearbeit ist die unbezahlte Arbeit im Haushalt, Fürsorge und Erziehung gemeint. Aus deiner Nachricht lese ich heraus, dass du dich mit eben diesen Aufgaben, die auch für dich neu sind und eine Herausforderung darstellen, allein fühlst. Der Vater arbeitet viel und deine Mutter ist krank. Du trägst somit die Verantwortung allein, hinzu kommt der Schlafmangel. Jeder Mensch benötigt auch mal Zeit für sich und Erholung – vor allem eine frischgebackene Mama mit Baby. Viele Mütter berichten von einer ähnlichen Situation. Die Gefühle, die du empfindest (Angespanntheit, Wut und Hilflosigkeit) richten sich bei vielen Müttern gegen das Baby, haben ihren Ursprung aber in der Erschöpfung, Überforderung oder dem Gefühl der Einsamkeit mit der Situation. Diese Gedanken können dann schon einmal Angst machen, aber fühle mal in dich herein und gucke, was der Auslöser für dieses Gefühl sein kann. Ist es die Müdigkeit? Ist es die alleinige Verantwortung für Kind und Haushalt? Ist es vielleicht auch eine Wut oder Enttäuschung, dass der Vater dich nicht unterstützt, wie du es gerade benötigst? Kannst du dich mit jemanden austauschen? Der Austausch mit anderen Müttern, die ähnliche Gefühle kennen, kann sehr entlastend sein. Dazu gibt es an vielen Orten kostenlose Angebote, wie z.B.: Stadtteilmütter, Stillgruppen, Frauentreffpunkte oder Babylotsinnen. Gedanken, wie du sie beschreibst, könnten auch darauf hindeuten, dass du an Symptomen einer postpartalen Depression leiden könntest. Jede zehnte Mutter ist davon betroffen. Zu den Symptomen zählen u.a. Erschöpfung, Antriebslosigkeit, sexuelle Unlust, Traurigkeit, Schuldgefühle, Ängste oder auch Zwangsgedanken. Aggressive Zwangsgedanken zeigen sich dabei als aufdringliche und immer wiederkehrende Gedanken oder Vorstellungen mit gewalttätigen Inhalten. Diese können für betroffene Personen erstmal sehr beängstigend sein. In der Regel besteht aber keine Intention, diese Inhalte umzusetzen. Zwangsgedanken können aus hohem Verantwortungsgefühl entstehen. Da sie für viele Personen sehr belastend sind, ist es hilfreich, sich hierzu psychologische Unterstützung zu suchen. Falls du dich in der Beschreibung wiederfindest, findest du eine Übersicht über bundesweite Anlaufstellen beispielsweise hier: https://www.bapk.de/fileadmin/user_files/bapk/projekte/Postpartale_Depression/Anlaufstellen_und_Einrichtungen_fuer_Hilfe.pdf Sollte sich deine Wut gegen dein Kind richten und du evtl. in der akuten Situation keinen Ausweg finden, kann es in manchen Situationen auch hilfreich sein, kurz den Raum zu verlassen und ein paar Atemzüge zu nehmen, bevor du wieder hineingehst. Hier gibt es noch weitere Selbsthilfe-Tipps: https://www.schatten-und-licht.de/Hilfsangebote/ErsteSelbsthilfeMassnahmen/Erste-Selbsthilfe-Ma%C3%9Fnahmen.pdf Wenn es sich sicher anfühlt, kannst du in solchen Situationen deinem Partner evtl. auch kommunizieren, wie es dir in diesem Moment geht. Ein Gespräch mit dem Vater, in dem du um mehr Unterstützung bittest und konkrete Vereinbarungen getroffen werden, ist wichtig. Es ist euer gemeinsames Kind und die Verantwortung tragen beide Eltern gleichermaßen. Ein Ziel dieses Gesprächs kann sein, dass du eine regelmäßige Erholungszeit einräumst. Auch für derartige Gespräche zwischen Beziehungspersonen gibt es Angebote. Du kannst hier nach Familien- und Paarberatungen suchen: https://www.dajeb.de/beratungsfuehrer-online/beratung-in-ihrer-naehe/. Unterstützung anzunehmen, ist keinesfalls ein Zeichen, dass etwas in der Beziehung oder Erziehung nicht stimmt, sondern ganz im Gegenteil Verantwortungsübernahme. Ihr befindet euch in einer neuen Situation und das Leben steht auf dem Kopf. Dir alles Gute, Kraft und vor allem Ruhe. Ganz liebe Grüße Leonie und Xenia
Rubydoo
Danke für die ausführliche Rückmeldung