Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Ingrid Henkes:

Ritual vs. Zwang

Ingrid Henkes

 Ingrid Henkes
Analytische Kinder- und Jugendlichen­psycho­therapeutin

zur Vita

Frage: Ritual vs. Zwang

JuliaP.

Beitrag melden

Sehr geehrte Frau Henkes, mein Sohn ist knapp 4 Jahre alt. Aktuell gibt es eine Entwicklung in seinem Verhalten, das uns als Eltern verunsichert. Er gestaltet sich selbst Rituale und besteht darauf dass diese eingehalten werden. Wir als Eltern sind Teil dieser ritualisierten Abläufe. Wird eine Reihenfolge unterbrochen, bricht für ihn die Welt zusammen. Dies betrifft zum Beispiel das aus dem Haus gehen und ins Auto steigen. Es beginnt mit dem Schuhe anziehen, erstreckt sich über das Öffnen der Haustür und abschliessen, wie die Treppe runter, Garage öffnen, er "muss" dann erst ums Auto rennen, bevor ich die Autotür öffnen darf ... Angenommen beim Einsteigen ins Auto läuft etwas falsch, bricht seine Welt zusammen. Er weint bitterlich, ist enttäuscht, "Mama du hast das falsch gemacht!" Dann besteht er darauf, dass wir das ganze Programm zurückspulen und von vorne beginnen (Auto zu, Garage zu, zurück in die Wohnung, Schuhe wieder ausziehen usw.) Das behindert natürlich enorm den Alltag und das Miteinander. Ich erkläre ihm dann, dass es nicht möglich ist, weil wir eine Verabredung haben und nun los müssen, darauf hin folgt ein Wutausbruch, der zwischen 30 und 90 Minuten dauert. Den restlichen Tag jammert er darüber, dass das Einsteigen nicht so geklappt hat wie er wollte. Im nachfolgenden Verlauf eines solchen Tages klammert er sich an viele weitere Rituale und ist extrem empfindlich was Abweichungen betrifft. Mein Mann verfolgt die Strategie ihm seinen Willen zu lassen und das Programm (Autoeinsteigen) rückwärts abzuwickeln, um die Stimmung für den restlichen Tag zu retten. Ich hingegen versuche zu erklären, durchzuhalten, verständnisvoll aber dennoch konsequent zu sein. Auch weil diese rituellen Abläufe von meinem Sohn aktiv weiter ausgebaut werden und in anderen Bereichen neue Rituale von ihm entwickelt werden. Ich mache mir Sorgen, sehe wie mein Sohn leidet, wenn etwas aus der Reihe läuft und befürchte dass es sich in einen Zwang entwickelt. In der Kita lebt er solche Rituale (noch) nicht aus. Bei den Grosseltern traut er es sich hingegen schon. Wie beurteilen Sie dieses Verhalten und was würden Sie uns raten? Herzlichen Dank  Julia P.


Ingrid Henkes

Ingrid Henkes

Beitrag melden

Guten Tag, solche Rituale sind bei Kindern diesen Alters nicht ungewöhnlich. Sie ermöglichen einem Kind Wirkmächtigkeit zu erleben, indem es seine Umwelt ein Stück weit gestalten und kontrollieren kann. Wenn sich die Rituale auch auf andere Personen beziehen, geht es auch um Machtdemonstrationen und Grenzen. Für die Einschätzung dieses Verhaltens kommt es sicherlich darauf an, wie sehr ein Kind darunter leidet, wenn seine Rituale nicht "ordnungsgemäß" durchgeführt werden. Für Ihren Sohn scheint es nach Ihrer Beschreibung sehr frustrierend zu sein, wenn sein Ritual nicht richtig abgewickelt wird. Für ihn ist es wichtig zu lernen, diese Frustration und Grenze seines Bestimmens zu erfahren. Dazu kann gehören, das Sie ihm vermitteln, dass er zwar bestimmte Rituale durchführen darf, dass Sie die aber nicht mitmachen möchten. Er kann ja ums Auto herumlaufen, aber Sie öffnen die Autotür, wie Sie das für richtig halten. Kinder brauchen in solchen Situationen die Eltern, damit diese das Realitätsprinzip aufrechterhalten und dem Kind vermitteln, wie Sie das bereits tun. Ihr Sohn darf darüber wütend sein, aber Ihr Verhalten gibt ihm Orientierung. In seiner Wut können Sie ihn begleiten und Ihr Verständnis zeigen. Für ihn ist es schlimm, dass er nicht der "Bestimmer" sein darf, sondern sich an Ihnen orientieren muss. Unbewusst wissen Vierjährige aber bereits, dass sie nicht bestimmen können, weil sie damit noch völlig überfordert wären. Diese Aufgabe der Eltern müssen sie zunehmend anerkennen. Falls Sie den Eindruck haben, dass das Verhalten Ihres Sohnes bereits zwanghafte Züge zeigt, können Sie eine kindertherapeutische Diagnostik durchführen lassen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes


Bei individuellen Markenempfehlungen von Expert:Innen handelt es sich nicht um finanzierte Werbung, sondern ausschließlich um die jeweilige Empfehlung des Experten/der Expertin. Selbstverständlich stehen weitere Marken anderer Hersteller zur Auswahl.

Ähnliche Fragen

Hallo Frau Henkes,  unsere Tochter wird im Herbst 5 Jahre alt, ist ein Einzelkind und wurde bis vor 3 Wochen morgens und abends noch gestillt. Das Abstillen war gut besprechbar und auch wenn es meine Tochter gelegentlich erwähnt und vermisst, scheint es keine Schwierigkeit für sie darzustellen. Vor ca. 2-3 Jahren fing sie an, während des Stille ...

Lieber Dr. Posth, unsere Tochter (1,5 Jahre) hat zur Zeit eine dicke Erkältung. Bisher hatte sie noch nie Probleme mit den Ohren, aber vorbeugend empfiehlt der KA Nasentropfen zum Abschwellen, außerdem schläft sie ruhiger, wenn sie ein bißchen Luft durch die Nase bekommt. Problematisch ist dabei der Umstand, dass sie Zeter und Mordio schreit, so ...

Hallo, mein Sohn Julian ist nun knapp 3 Jahre alt. Seit Dezember letzten Jahres hat er ein großes Bett( also ohne Gitterstäbe) er findet es wahnsinnig toll und schläft auch seit der ersten Nacht wunderbar darin. Nun hat er schon von kleinauf ein Einschlafritual, und zwar knetet (eher zupfen) er sein rechtes Ohr immer wieder mit den Fingern we ...

Guten Tag! Habe 2 Kinder im Alter von 1,5 und 3,5 und war 5 Wochen allein(Mann auf Auslandsreise)Jetzt hat es sich eingebürgert, das die Grosse,während ich den Kleinen ins Bett bring,am Pc noch was Kleines anschauen darf.Das geht dann so 10 min.Ich habe auch schon probiert,die Grosse beim ins Bettgehen mit einzubeziehen, aber das hat nicht geklap ...

Hallo Herr Dr. Posth Wie sollte man sich als Elternteil verhalten wenn ein 16 Monate altes Mädchen einen Weinanfall hat weil sie etwas will und nicht bekommt. Auf dem Arm halten und trösten während sie weint, finde ich irgendwie ambivalent, da ich ihr ja auch etwas verbiete und der Grund für das Weinen bin. Weinend am Boden sitzen lassen und d ...

S.g.Dr. Posth, vielen Dank für Ihre sehr Antwort von letzter Woche (REGRESSION nach Start im Kiga). Ich habe noch zwei Fragen dazu: 1) Wenn meine Tochter alles runterwirft und ich weggehe, läuft sie hinterher, um weiter zu "provozieren", nicht weil sie alleine Angst hat. Wie könnte in dieser Situation eine sinnvolle "Auszeit" aussehen? 2) Jetzt ...

Sehr geehrter Herr Posth Unser Sohn, gerade 2 Jahre alt geworden hat seit ein paar Monaten eine eigenartige Art mit seinen Spielzeugen umzugehen.Oft reiht er sie irgendwo aneinander oder ordnet sie sonst irgendwie penibel an- oder aufeinander. Zusätzlich hat er eine Stelle hinter dem Fernseher,wo man oft wenige Spielsachen schön angeordnet wiederf ...

S. g. Dr. Posth, To. (21M., gute Bindung & LL, wenig Trotz) ist keine gute EINschläferin, wehrt sich regelrecht dagegen. Abends dauert es oft 1-1,5h bis sie schläft, obwohl sehr müde, dreht im Bett nochmal auf. Das Problem ist der Tagschlaf. Endet in 90% der Fälle in Weinen, abends gehts ohne. Ablauf: Mittagessen, Buch lesen (immer das gleich ...