Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Dr. med. Rüdiger Posth:

Nochmal Schreien (recht lang)

Dr. med. Rüdiger Posth

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Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

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Frage: Nochmal Schreien (recht lang)

Mitglied inaktiv

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Hallo, Dr. Posth! Mit grossem Interesse habe ich Ihr Posting zum Thema Schreien gelesen. Ich bin grade (auch aus beruflichen Gründen) sehr mit dem Thema "Frühpädagogik" (mit dem Begriff bin ich noch nicht glücklich, "Früherziehung" finde ich aber noch schlimmer!) und habe ein paar Rückfragen an Sie. Sie schreiben, dass es keineswegs normal ist, wenn Säuglinge so viel schreien (wie die 3-3-3 Formel vorgibt). Nun gibt es ja die - Ihnen sicherlich bekannten - Theorien von Brigitte Hannig, Althea Solter (?) und anderen, nach denen Kinder das - begleitete - Schreien brauchen, um sich quasi zu regulieren. Meine Erfahrung mit meiner Tochter (fast 20 Monate) geht in eine ähnliche Richtung. Sie wurde nach Bedarf gestillt, sie schlief von Anfang an bei uns im Bett (die ersten Wochen auf Papas Brust), sie hatte in ihren ersten 17 Monaten beide Elternteile nahezu ständig zur Verfügung und sie war/ist ein sehr zufriedenes, ausgeglichenes Kind (es sei denn es plagen sie irgendwelche Dinge wie Schübe, Zähne o.ä.). Und dennoch - in ihren ersten Monaten hatte sie stets abends eine Phase, in der sie viel und über Stunden weinte. Keine Blähungen, das ist sicher. Es begannn fast immer auf die Minute genau zu der Zeit, als bei mir die Wehen einsetzten und dauerte bis zu ihrer Geburtsstunde. Bei mir musste ein Kaiserschnitt gemacht werden, das stand schon vorher fest, ich war/bin sehr froh, dass sie den Zeitpunkt dennoch mitbestimmte und ein paar Tage eher kam als geplant. Wir hatten ganz stark das Gefühl, dass das Weinen viel mit der Geburt zu tun hatte. Trotzdem probierten wir natürlich alles aus, um sie zu trösten. Es half aber im Grunde fast nichts, so dass wir sie einfach hielten, mit ihr sprachen (sie beruhigte sich oft auf eindrucksvolle Weise, wenn ich ihr die ganze Geburt nochmal erzählte, es war ein deutlicher Unterschied zu anderen Worten, die genauso tröstend und beruhigend gesprochen wurden), "abstellen" konnten wir das Weinen nicht. So um die zehnte Woche herum wurde es immer weniger und war dann ganz weg. Später (selbst heute noch manchmal) hatte ich dann den Eindruck, dass das Weinen eine Möglichkeit der Regulation und Verarbeitung für sie war und ist. Es gibt Abende, an denen sie erst zur Ruhe kommt, nachdem sie (wenn auch nur kurz aber heftig) geweint/gebrüllt hat. Andere Angebote (Toben, Kuscheln, Aktivität, Ruhe....) haben nicht denselben Effekt und werden von ihr dann abgelehnt. Sonst weint sie allerdings fast nie. Selbst wenn sie sich wehgetan hat, weint sie nur ganz kurz (je nach Schwere natürlich), ich denke, weil sie immer die Erfahrung gemacht hat, dass sie SOFORT getröstet wird. Ich halte gar nichts davon, die Selbstregulation in solchen Fällen bei Kinder künstlich voran zu treiben, meine Erfahrung ist, dass sie das um so leichter können, je sicherer sie sich unserer bedingungslosen Unterstützung sind. Ihre Meinung würde mich sehr interessieren, vielen Dank an dieser Stelle mal wieder für dieses Forum und herzliche Grüsse, Christiane


Dr. med. Rüdiger Posth

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Liebe Christiane, in meinem statement zum Schreien habe ich, so glaube ich, auch meine Theorie von der Ursprungsangst des Säuglings erklärt. Das geht in gewisser Weise in Ihre Richtung, weil Sie offenbar davon überzeugt sind, daß Geburtsängste wenigstens in den ersten Wochen das Schreien Ihrer Tochter verursacht haben. Auch wenn wir heute nicht wirklich erkennen können, ob die Geburt für das Neugeborene ein traumatischer oder befreiender Akt ist, müssen wir davon ausgehen, daß dieser Vorgang zumindest sehr anstrengend für das Neugeborene ist. Die dabei durchlebten Gefühle können, eingeprägt in einen biologischen Rhythmus, durchaus nach der Geburt noch erinnert werden, denn man weiß inzwischen, daß die Erinnerung an Gefühle via Mandelkerne schon von Geburt an funktioniert. Allerdings weiß das Neugeborene/der Säugling nicht, woran er sich de facto erinnert. Das alles hängt mit der Ursprungsangst zusammen. Von der Theorie der Regulationsstörung (M. Papousek und andere) halte ich aus zwei Gründen nicht ganz so viel. Erstens, sie ist neurophysiologisch/neuropsychologisch nicht begründbar (Frage der Ichentwicklung und des Selbstkonzepts). Zweitens verführt sie dazu, auf das Signal des Schreiens nicht mehr adäquat zu hören. Das aber beeinflußt die Bindungsnotwendigkeit ungünstig und erzeugt emotionale Desintegration. Letzteres führt meines Erachtens zu Verdrängungen. Dies alles nur ganz kurz. Viele Grüße


Mitglied inaktiv

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Hallo Christiane, die Beschreibung eurer *Schreistunden* erinnert mich an unsere. Sie begannen auch immer zur selben Zeit und hörten zur Geburtstunde auf (auch Kaiserschnitt). Kennst du das Buch *Auf der Suche nach dem verlorenen Glück* von Jean Liedloff? Sie lernt einen Indianerstamm (Yequana) kennen und stellt fest, dass keines der Babys weint. Wir, in unseren Klein(st)familien, haben kaum die Möglichkeit ein Kind so aufzuziehen, dass es überhaupt nicht weinen muss. Wenn wir es schaffen, dass unsere Kinder so wenig wie möglich weinen müssen, haben wir schon viel getan.


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