Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Ingrid Henkes:

Anhaltene Rituale

Ingrid Henkes

 Ingrid Henkes
Analytische Kinder- und Jugendlichen­psycho­therapeutin

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Frage: Anhaltene Rituale

Fluchti

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Liebe Frau Henkes, unser Sohn (4,5 Jahre), hat seit ungefähr 1,5 Jahren diverse Rituale in unser Leben integriert. Begonnen hat alles, als die Kinder in der Krippe an der Tür abgegeben werden sollten, begann er ein Verabschiedungsritual beim Abgeben einzuführen, welches sehr lang ist (jedes Bein einzeln umarmen, kopf kraulen, Kuss, und noch vieles mehr) und was bis heute ähnlich anhält. Wenn das Ritual nicht eingehalten wird, gibt es natürlich Drama. In gemeinsamer Absprache versuchen wir jetzt das Ritual zu verkürzen und Dinge wegzulassen. Klappt zunehmend besser. Aber es haben sich auch Rituale im Alltag eingeschlichen, bislang haben wir es so gehalten, solange es uns nicht mit einbezieht, lassen wir ihn gewähren. Einige Rituale kamen, andere gingen auch wieder. Was momentan sich hält, ist bspw. wenn er morgens ins Badezimmer kommt, muss vorher die Tür zu sein und wenn er rein kommt, muss man "Guten Morgen" sagen, irrelevant ob man schon vorher interagiert hat. Wenn das nicht nach Protokoll abläuft, wird geweint und geschrien. Am Wochenende, wenn der Tagesrhytmus ein anderer ist, wird das Ritual meist nicht eingefordert. Neuerdings (seit 3 Wochen) gibt es ein neues Ritual, was mich in den Wahnsinn treibt. Er sagt vor vielen Handlungen immer "1, 2, 3, auf die Plätze, fertig, los". Manchmal vergisst er es auch  oder macht es bei einer Handlung wo er es vorher noch nicht gemacht hat. Ich hab ihn auch schon gefragt warum er das macht, dann sagt er es sei bspw. ein Wettrennen, Wettessen, etc.. Im Kiga haben ich gesehen, dass Kinder es immer vor einem Wettlauf sagen. Auch habe ich ihn schon gebeten das zu unterlassen, aber dann flüstert er den Satz oder guckt vorher,  ob ich ihn dabei sehe. Mir fällt es sehr schwer es zu ignorieren, obwohl ich weiß, dass es das nicht besser macht. Grund für mein Unbehagen ist vermutlich das neulich im Kindergarten stattgefundene Entwicklungsgespräch. Er hat keine festen Spielpartner, spielt zwar durchmischt mit allen Kindern, häufig aber auch allein. Trotzdem hält er sich aber sehr gern bei den Erwachsenen auf. Er erzählt unglaublich viel, besonders tiefgehend über Sachthemen, die für ihn gerade interessant sind. Auf das Verabschiedungsritual wurde ich auch angesprochen und ob er "sowas" zuhause auch macht. Da habe ich natürlich gesagt, dass das vereinzelt auch zuhause auftritt. Daraufhin meinte die Erzieherin, ob ich mir vorstellen könnte, ob das auch in eine Richtung Autismus gegen könnte, was ich aber verneint habe, weil mein Sohn u.a. Emotionen klar benennen und einsortieren kann, immer den Kontakt sucht zu anderen Kindern, wenn wir zum Beispiel woanders sind, Rollenspiele spielt, eine ausgeprägte Fantasie hat und kein Anzeichen von Hochbegabung aufweist. Wenn ich ihn aus dem Kindergarten abhole, spielt er immer mit irgendjemanden und möchte noch nicht los. Trotzdem hat mich diese Autismusfrage natürlich verunsichert. In meinen Augen ist er ein sehr unsicheres, sensibles Kind, der sich mit Ritualen zu erwartende Situationen schafft, die ihm Sicherheit geben. Mir ist schon aufgefallen, dass das seit dem Wechsel in den Kindergarten schlimmer geworden ist. Dazu muss man aber sagen, dass im Kindergarten nur freies Spiel stattfindet, es gibt nichtmal einen Morgenkreis. Ich kann mir vorstellen, dass ein unsicheres Kind, was er nun mal ist, von so einem Konzept nicht profitiert und selbst Strukturen "erfindet", wenn ihn niemand klar führt.  Aber da der Zeitraum der allgemeinen Rituale schon so lange anhält, wollte ich gern einmal eine professionelle Meinung hören. Insbesondere wie wir selbst mit solchen Ritualen umgehen sollten. Und ob man dieses Verhalten noch mal näher Begutachten lassen sollte.  Viele liebe Grüße 


Ingrid Henkes

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Guten Tag, Ihre Verunsicherung angesichts der Autismusfrage ist verständlich, jedoch sicherlich unbegründet, so wie Sie Ihren Sohn beschreiben. Rituale können Kindern in bestimmten Situationen Halt und Orientierung geben. Deswegen führen Eltern sie z.B. beim Zu-Bett-Bringen ein. Ihrem Sohn haben sie bei der Krippeneingewöhnung bestimmt geholfen. Rituale haben jedoch einen weiteren Aspekt, der sich vermutlich aktuell bei Ihrem Sohn zeigt. Bei Vierjährigen ist die Selbstentwicklung weiter fortgeschritten. Kinder versuchen nun, Dominanz und Macht auszuüben, um sich - auch gegen die Eltern - zu behaupten. Da Ihr Sohn Sie stark in seine Rituale einbezieht, könnte es sich um seinen Versuch handeln, zu bestimmen, was Sie zu tun und sagen haben. Dem sollten Sie sich entziehen. Einem Viereinhalbjährigen können Sie bereits vermitteln, dass Sie keine Lust haben, bei diesen Spielen mitzumachen. Er kann das für sich machen, ohne zu erwarten, dass Sie sich beteiligen, auch ohne dass dies bei Ihnen Ärger auslöst. Die daraus entstehenden Konflikte können Sie kindgerecht mit Ihrem Sohn klären. Akzeptieren Sie seine Frustration und suchen Sie mit ihm nach Alternativen. Damit helfen Sie ihm, zunehmend Frustrationstoleranz zu entwickeln. Eine weitere Begutachtung des Verhaltens Ihres Sohnes ist vermutlich nicht erforderlich. Das Bedürfnis nach Ritualen wird sich mit der weiteren psychischen Entwicklung legen. Sie können überlegen, ob der Kiga mit seinem offenen Konzept für Ihren Sohn der Geeignete ist. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes


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