Elternforum Rund um die Erziehung

Märchen vorlesen - veraltete Rollenbilder und grausam?

Märchen vorlesen - veraltete Rollenbilder und grausam?

Rapunzel39

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Hallo liebe Mamas, ich hatte kürzlich eine Diskussion mit Müttern, die in der Nachbarschaft wohnen. Als ich erzählte, dass abends auch Märchen wie u. a. Aschenputtel vorgelesen werden, waren ALLE entsetzt. A) Märchen transportieren veraltete Rollenbilder und B) sind sie grausam und gruselig. Stichwort "Hexe verbrennen" usw. Diese Einstellung zu Märchen hat mich wiederum sehr überrascht. Diese Mütter sind entweder Hausfrauen oder arbeiten 2-3 Mal in der Woche beim Ehemann mit. Für mich passt diese Argumentation "veraltete Rollenbilder" gar nicht. Aber liest denn wirklich niemand mehr Grimms Märchen oder Hans Christian Andersen vor?


Mannislinchen

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Antwort auf Beitrag von Rapunzel39

Doch.  Ich lese das vor. Warum auch nicht? Ja, für uns Erwachsene scheint das manchmal gruselig, aber Kinder sehen das doch ganz anders. Ich habe die alten Disney Filme als Kind geliebt, wenn ich heute Schneewittchen gucke, frag ich mich auch warum ich das als Kind nicht gruselig fand. War aber so. Das kommt immer aufs Kind an. Und Rollenbilder lernen Kinder meines Erachtens nach nicht aus Märchen, sondern aus dem, was man ihnen vorlebt. Und selbst dem sind Grenzen gesetzt. Ich bin zb in einem sehr traditionellen Haushalt groß geworden, und wir leben es eher nicht so. Ich erwarte von meinem Mann, dass er seinen Haushalt halt auch mit pflegt... Etc.  Ich verstehe diesen Aufschrei, was das alles betrifft im Moment tatsächlich auch nicht. 


kuddelmuddel

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Ich denke, man sollte alles (auch märchen) nicht unreflektiert vorsetzen, "weil das schon immer so gemacht wurde". und ja, märchen transportieren bestimmte rollenbilder und sind grausam  -allerdings ist das für kinder deshalb so gut zu vertragen, weil ganz klar in gut und böse, schwarz und weiß unterschieden wird. das ist eine einfache gedankenwelt. aber wer mal "hänsel und gretel aus der sicht der hexe" gelesen hat, hat wirklich mitleid :-) grimms märchen sind z.b eine haussammlung für erwachsene (!), bedeutet, die originale würde ich einem (klein)kind niemals vorlesen (wahrscheinlich würden sie eh nix verstehen und sich über den sprachstil wundern). andersen-märchen sind kunstmärchen, und auch da hat die kleine meerjungfrau mit arielle nicht viel zu tun kinder-märchenbücher lese ich ggf vor (aber nicht abends, wenn ich merke, dass es zu spannend fürs kind ist), aber wir sprechen auch immer über bücher. also reden wir über "alte zeiten" und stellen geschichtliches wissen her, warum früher immer nur die prinzen und ritter die abenteuer erlebt haben und die prinzessinnen rumsitzen und gerettet werden mussten.   das ist doch der kern von literatur und vom gedanken des vorlesens: sich die welt erschließen, fantasie wecken und horizonte erweitern - und miteinander reden, reden, reden   LG  


zschnecke

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Hallo, dazu kann ich nur das Buch von Bruno Bettelheim "Kinder brauchen Märchen" empfehlen. Geschichten mit der Struktur und dem Plot von Märchen sind wichtig und wertvoll für die Entwicklung von Kindern. Und am Ende macht es doch die Mischung. Ich finde eine moderne Geschellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass jeder sein kann wie und was er will. Man(n) darf genauso Prinzessin und Hausfrau sein wie Ritter(in) und König(in). Und diese Rollen lassen sich auch gut in die Moderne übertragen Hausfrau und IT-Girl oder Aktivistin und Managerin. Ich habe auch Märchen vorgelesen und freue mich, das unser Kind diese Literaturklassiker kennt. Gleichzeitig haben wir aber auch moderen Kinderliteratur gelesen. Über die Unterschiede zu sprechen ist das Salz in der Suppe. Viel Spaß mit den Gebrüdern Grimm, Christian Anderson und den vielen anderen Märchen Autoren. P.S. Auch orientalische und afrikanische Märchen sind spannend und öffnen den Horizont für andere Kulturen.  


WonderWoman

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ich mache mal darauf aufmerksam dass weder die gebrüder grimm noch h.c. andersen ihre märchen für kinder (auf-)geschrieben haben. gerade andersen hat sich sehr darüber geärgert wenn er als geschichtenerzähler für kinder gesehen wurde und aktiv dagegen gekämpft. vielleicht sollte man auch mal über den unterschied von volks- und kunstmärchen nachdenken, bevor man andersen und die grimms in einen topf wirft. was die rollenbilder angeht: jedes märchen, jede geschichte, jedes theaterstück, jeder mensch dem man begegnet vermittelt ein rollenbild. wir möchten dass unsere kinder eine möglichst große anzahl von verschiedenen rollenbildern erfahren damit sie frei sind in ihrer wahl der vorbilder. wenn sie nur geschichten sehen/hören in denen der mann am herd steht und die frau in die weite welt hinauszieht wäre das ja auch ein festes rollenbild, wenn auch ein modernes. das ziel soll doch aber nicht sein ein rollenbild als "so und nicht anders" zu vermitteln sondern alle optionen an rollen-/vorbildern offenzuhalten. und dann kommt noch dazu das kinder m.e. sehr gut zwischen realität und fiktion unterschieden können. sonst würde ich mir viel mehr sorgen machen über sprechende autos, fliegende kleinwüchsige oder weltrettende elefanten als über frösche werfende prinzessinen.


Rapunzel39

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Das ist historisch nicht gaaaanz korrekt. Bei der Aufzeichnung von Märchen ging es u. a. um die "richtige" Kindererziehung im gutbürgerlichen Milieu. (Vgl. Aussage Jacob Grimm in einem Brief von 1812 an Friedrich Bertuch.) Aber darum ging es eigentlich nicht. Ich kann Müttern auch nicht einen Vortrag über Literaturgattungen halten. Kleinen Kindern schon gar nicht. Es geht vereinfacht gesagt um "pädagogisch ok" oder "Katastrophe". Beide Gattungen enthalten ja einen Gruselfaktor. Was früher in Ordnung war, wird heute (dogmatisch) in Frage gestellt. Darüber wundere ich mich sehr. Feste Rollenbilder leben wir (hoffentlich) nicht vor. Es gibt auch nicht nur Grimms Märchen, sondern wie hier schon jemand geschrieben hat, orientalische, asiatische usw. Märchen. Aber alles zu seiner Zeit. Meine Tochter ist noch zu klein.


WonderWoman

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Antwort auf Beitrag von Rapunzel39

es ging bei den grimms u.a. darum, so hatte ich das damals in der schule verstanden, zu erklären/zeigen/veranschaulichen wie man kinder erzieht. das richtet sich ja doch eher an die leute die kinder erziehen als an die zu erziehenden. aber vielleicht habe ich das nicht mehr richtig im kopf. wobei ich grimms märchen mit den sehr vereinfachten darstellungen, den eindimensionalen figuren, der deutlichen schwarz-weiß-einteilung und dem definiertem "guten ende" schon kinderfreundlicher finde als andersen, der sich ja eher im graubereich bewegt und wo auch das gute nicht eindeutig über das böse siegt. wenn die definitiv böse hexe im ofen verbrennt ist es doch etwas anderes als wenn der eher gute, zumindest liebenswerte zinnsoldat im ofen schmilzt. warum deine tochter für andersen alt genug aber für ein afrikanisches volksmärchen zu klein sein soll weiß ich auch nicht.


ak

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Antwort auf Beitrag von Rapunzel39

Ach ja... ich finde es immer wieder erstaunlich, wie die heutige Generation so darüber denkt. Ich finde am Märchen nichts Schlimmes... klar, wenn man es interpretiert, sind sie grausam. Aber... hast du das als Kind so empfunden ? Doch sicherlich nicht. Warum sollten das dann die heutigen Kinder so sehen ? Nicht alles althergebrachtes ist schlecht. Wenn die heutigen Kinder keine Schreibschrift mit Füller und Papier erlernen können, sondern mit Computern... da sträuben sich bei mir z.B. die Nackenhaare. Oder wenn ich lese, dass Kinder lieber ein Handy vorgesetzt wird, anstatt mit ihnen zu lesen... auch da könnte ich die Wände hochgehen. Dann lieber Debatten zu Märchen führen, als gar nicht mehr vorzulesen. Aber erstaunlicherweise mochte mein Sohn auch nicht so gerne Märchen... aber in der Schule war er bei einer Dornröschen - Aufführung mal der Koch... von daher...sind ihm Märchen doch wohl bewusst- ich habe es zumindest immer mal wieder versucht.  Lies deinem Kind das ruhig vor... es lernt dabei gut und böse zu unterscheiden. Und veraltete Rollenbilder--- nur weil die Mütter nicht viel arbeiten gehen... heißt es nicht, dass sie verstaubt zu Hause rum sitzen. Hier sind ganz viele nicht arbeiten gewesen, als die Kids klein waren. Kann ja auch nicht alles verkehrt gewesen sein.  Denke, die meisten gehen heute doch nur, damit sie sich Urlaub und Co. weiterhin erlauben können. Nicht, weil sie wirklich wollen- natürlich gibt es auch hier Ausnahmen.    


Rapunzel39

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Antwort auf Beitrag von WonderWoman

Das ist ein Missverständnis. Ich lese ihr noch keine Märchen von Andersen vor. Das kommt aber irgendwann auch.


Ich-bin-Ich

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Antwort auf Beitrag von Rapunzel39

Ich gebe auch noch meinen Senf dazu... ich hatte immer Thema Märchen- *und ihre Wertevermittlung - *welches Rollenbild vermitteln sie Kinder  - *warum werden sie vergessen als Thema bei meinen Abschlussprüfungen.... hab mich also sehr lange, sehr viel und intensiv mit allen möglichen Märchen, pro und contras beschäftigt  und ich persönlich kann wirklich nur sagen: *viel spaß beim Vorlesen und vlt beim Nachspielen* :) du kennst dein Kind doch als bestes und wenn du das Märchen dir vorher durchliest und etwas zu "grausam findest kannst du es ja immer noch auslassen oder anders erzählen, wäre aber garnicht nötig :)   die meisten waren bestimmt entsetzt,  weil beim "original Aschenputtel ja die Zehen und die Verse abgeschnitten wird (; daran wird ja von den Täubchen erkannt das die Rechte Braut noch daheim ist ;)   lass die anderen reden wie bei vielen dingen und lies weiter auch Märchen vor wenn du das magst :) ich bin sehr dafür  wir haben unserm Sohn (bald 4) auch schon originale von Grimm vorgelesen die findet er aufgrund der alt deutschen sprache besonders lustig beim vorlesen ;)   alles liebe


Fischal

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Antwort auf Beitrag von Rapunzel39

Diese Diskussion finde ich so was von lustig! Wer vormittags oder nachmittags den Fernseher einschaltet, dem kommen grausame Dinge entgegen, und zwar sehen die Kinder das auch noch! Da regt sich keiner drüber auf. Aber wenn ein Kulturgut weitergegeben wird, über das Kinder sowieso ganz anders denken, als wir Erwachsene, dann gilt es als schlimm. Emotionalisiert nicht immer alles so. Und: das geht alles auch nur von Frauen aus, Männer denken da gar nicht drüber nach ;-) 😉 Vielleicht sollten wir da auch etwas "freier" damit umgehen.