Hallo Herr Dr. Bluni,
ich frage hier für eine gute Bekannte bei der sich folgende Situation schildert!
Sie ist 38 Jahre und in der 21. SSW (Erstgebärende) und hat eigentlich von Beginn an immer wieder Komplikationen in dem bisherigen Verlauf gehabt.
Angefangen hat es damit, dass der Verdacht einer Trisonomie 18 bestand. Aber aufgrund der regelmäßigen US-Bilder wurde ihr diese Angst etwas genommen, da sich das Kind wohl normal entwickelt!
Nun liegt sie seit 4 Wochen im zum 2. Mal mit Blutungen im Krankenhaus.
Jetzt hatte sie einen Blasensprung und ist dementsprechend völlig fertig.
Ich weiß, dass man keine genaue Vorhersagen machen kann, da es gut gehen kann oder auch nciht. Aber gibt es denn nicht irgendwelche statistischen Werte oder Erfahrungswerte im Sinne in 1:100 Fällen geht es gut oder so?
Sie ist nervlich völlig am Ende, da wie gesagt nur Komplikationen sind. Zudem hat sich der Erzeuger des Kindes aus dem Staub gemacht, bzw. ihr am Anfang auch ziemlichen nervlichen Stress gemacht! Seitdem sie im KH liegt hat sie vor dem wenigstens Ruhe!
Sie möchte das Kind natürlich gerne behalten, aber sie hat eine wahnsinnige Angst davor, dass das Kind schwere Schäden mit sich davon trägt!
Die Ärzte im Klinikum machen ihr weder Mut, noch das Gegenteil. Sie lassen sie eigentlich völlig in der Luft hängen!
Ich weiß, dass das sehr schwierig ist zu beurteilen, aber ich sehe nur die Frau, die psychisch völlig am Ende ist und frage mich, was man tun kann?
Ich hoffe, Sie können mir eine aufmunternden Antwort geben. Wie hoch sind die Chancen, dass sich das Kind normal weiterentwickelt oder liegen diese wirklich bei 50:50? Kann ich mir eigentlich gar nciht vorstellen.
LG
von
laina01
am 15.12.2011, 09:17
Antwort auf:
viele Komplikationen und vorzeitiger Blasensprung
Hallo Laina,
1. das ist selbstverständlich eine sehr schwierige und auch unsichere Situation für Ihre Freundin.
2. mir liegen keine Daten dazu vor, wie hoch die Chancen sind, dass es am Ende "halten" wird. Das wird sicher ein sehr individuell sein, der sich kaum vorhersagen lässt, wenn sich nicht schon aus klinischen Befunden, wie vorzeitigen Wehen, beginnender Entzündung oder fehlender Auffüllung des Fruchtwasserdepots ableiten lässt, dass eine Geburt nicht mehr aufzuhalten sein wird.
3. zu Ihrer Anmerkung bezüglich des Verdachtes auf eine Trisomie 18 und der Aussage, dass dieses per Ultraschall ausgeschlossen werden konnte, muss ich selbstverständlich entgegnen, dass wir dieses per Ultraschall erstens nie 100%ig ausschließen können und, dass wir bei einem derartig frühen vorzeitigen Blasensprung immer auch daran denken müssen, dass dieses entweder bedingt ist durch eine genetische Störung des Kindes oder ein Fehlbildungssyndrom.
4. aus diesem Grund ist es in dem Zusammenhang auch immer unerlässlich, die betroffene Frau in einem Schwerpunktzentrum zur Abklärung und Behandlung vorzustellen.
5.wenn es nur ein „kleines Leck“ ist, sich die Fruchtwassermenge demzufolge zeitnahe wieder normalisiert, keine Entzündungszeichen auftreten, keine Wehen eintreten und die Abklärung zur Genetik und der Anatomie des Kindes unauffällig ausfallen, dann können die Chancen gut liegen, dass es noch weiter hält, aber kein Arzt wird Ihrer Freundin vorhersagen können, wie lange es dann noch gut gehen wird.
6. zwar können wir mit entsprechenden intensivmedizinischen Maßnahmen heute schon Kinder ab etwa der 24.SSW am Leben halten, wir wissen aber, dass der Preis dafür ggf. ein sehr hoher sein kann. Je früher die Kinder auf die Welt kommen, umso höher ist ihr Risiko, dann doch noch zu versterben und wenn sie so früh überleben, ist das Risiko von nicht unerheblichen Beeinträchtigungen der Entwicklung sehr hoch.
Dieses sind vor allem neurologische Störungen aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Hirnentwicklung. Diese macht die Kinder anfällig für Behinderungen, die oft erst im Kleinkindalter erkannt werden. Das sind Störungen der Intelligenzentwicklung, der psychomotorischen Entwicklung, Hör- und Sehstörungen.
Einer Studie des New England Journal of Medicine zufolge betrug die Rate von Kindern ohne Behinderungen bei einer Geburt in der 22. Woche bei null Prozent. In der 23. Woche war es ein Prozent, in der 24. Wochen drei Prozent und in der 25. Woche 8 Prozent.
Es ist für Ihre Freundin in der Tat eine nicht einfache Zeit und auch die dazu notwendigen Entscheidungen erfordern sehr viel innere Stärke, aber eben auch sehr intensive und offene Aufklärungsgespräche zu den Vor- und Nachteilen, aber auch den Risiken des einen oder anderen Vorgehens.
Liebe Grüße
VB
Quellen:
Neurologic and Developmental Disability at Six Years of Age after Extremely Preterm Birth, Marlow, D.M., Neil, Wolke, Ph.D., Dieter, Bracewell, M.D., Melanie A. and Samara, M.Sc., Muthanna for the EPICure Study Group, NEJM 2005; 352: 9-19
ACOG PRACTICE BULLETIN NR. 38, SEPTEMBER 2002, Perinatale Versorgung von Feten an der Grenze zur Lebensfähigkeit
von
Dr. med. Vincenzo Bluni
am 15.12.2011