Sehr geehrter Herr Doktor Paulus,
ich habe 6 Monate vor der SS in der Pathologie mit Formalin gearbeitet. Wir hatten oft stundenlang täglich die gleichen Nitrilhandschuhe an.
Ich arbeitete bis ich schwanger wurde.
Leider waren meine Handschuhe unbemerkt abgelaufen, d. h. das Haltbarkeitsdatum auf der Packung war überschritten. Dies schon mehrere Jahre. Ich hatte die gleiche Charge die ganzen 6 Monate über, aus mehreren Packungen.
Ich hatte oft Probleme mit schlimmen Handekzemen, unmittelbar zum Zeugungszeitpunkt fiel es leicht Formalin-fixierten Händen auf, dass die Handschuhe offensichtlich nicht mehr dicht waren. Ich meldete es auch als Arbeitsunfall und es wurde aufgenommen, aber es hat bisher niemand daran gedacht, dass das gerade in der SS problematisch sein könnte.
Handekzeme hatte ich seitdem ich nicht mehr damit arbeite auch nicht mehr in dem Ausmaß.
Kann ein Hautkontakt mit Formalin (ich glaube, 4-10% bei uns) über mehrere Stunden mehr als eine Hautfixation machen? Nimmt man das auf? Wie schnell wird es abgebaut?
Ich weiß, dass Formalin inhalativ gar nicht schlimm zu sein scheint, aber zur Hautaufnahme finde ich nichts.
Kann ich meinem Baby damit geschadet haben? Wenn ja, wie?
Danke
von
Äpfelchen
am 05.02.2021, 16:29
Antwort auf:
Hautkontakt Formalin in der Frühschwangerschaft
Tierversuche legen nicht den Verdacht nahe, dass eine Formaldehyd-Exposition in der Schwangerschaft zu einem erhöhten Fehlbildungsrisiko führt.
Formalin wird über die Lungen und den Gastrointestinaltrakt resorbiert. Am Arbeitsplatz sollte die Atemluft nicht mehr als 0,3 ppm enthalten (ACGIH, 1995-1996). Der Geruch kann von den meisten Menschen bei Konzentrationen von 0,8 ppm wahrgenommen werden (CHRIS, 1992).
In Deutschland gilt für Formaldehyd eine maximale Arbeitsplatzkonzentration von 370 µg/m3 (DFG 2000). Für das Bauwesen ist für Gebäude bei einer Zertifizierung nach der Deutschen Gesellschaft nachhaltiges Bauen (DGNB) ein Formaldehyd-Grenzwert von 120 µg/m³ definiert.
In einer Kohortenstudie mit 316 OP-Schwestern, die neben Narkosengasen auch Formalindämpfen im ersten Schwangerschaftsdrittel ausgesetzt waren, zeigte sich ein signifikanter Anstieg der Abortrate (Saurel-Cubizolles et al 1994). In Fall-Kontroll-Studien mit 61 Kosmetikerinnen (John et al 1994) und 206 Laborassistentinnen (Taskinen et al 1994) ergab sich ein schwacher Zusammenhang zwischen Formalin-Exposition im ersten Schwangerschaftsdrittel und Spontanaborten (Odds Ratio=2,1, 95%-Konfidenzintervall 1,0-4,3 bzw. Odds Ratio=3,5, 95%-Konfidenzintervall 1,1-11,2). In einer älteren Fall-Kontroll-Studie mit 164 Krankenschwestern konnte kein Zusammenhang zwischen einer Arbeitsplatzexposition mit Formalin und Spontanaborten hergestellt werden (Hemminki et al 1985).
Eine Übersichtsarbeit von Toxikologen kam 2001 zu dem Schluss, dass die Formalin-Exposition an typischen Arbeitsplätzen keine Gefahren für die Beschäftigten bei Kinderwunsch bzw. in der Schwangerschaft mit sich bringt (Collins et al 2001).
In der Natur kommt Formaldehyd zum Beispiel in Säugetierzellen beim normalen Stoffwechsel als Zwischenprodukt vor. Im Menschen werden auf diese Weise pro Tag etwa 878 bis 1310 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht gebildet. Für einen Menschen mit einem Körpergewicht von 70 Kilogramm entspricht dies 61 bis 92 Gramm Formaldehyd pro Tag. Die Halbwertszeit beträgt 1 bis 1,5 Minuten. Insofern wäre selbst bei geringfügiger Aufnahme über die Haut nicht mit einer lang anhaltenden Wirkung zu rechnen.
Da es sich bei Ihnen ja nicht um eine dauerhafte berufliche Exposition während der Schwangerschaft in hohen Konzentrationen gehandelt hat, sehe ich kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko.
von
Dr. Wolfgang Paulus
am 08.02.2021