Mein Sohn (Kaiserschnitt-Geburt) lag die ersten 14 Tage auf der Intensivstation (anderes Spital). Ich konnte nur für 3-4 Stunden täglich bei ihm sein. Mittlerweile ist er 13 Monate alt, bestens entwickelt, ein freundliches, ausgeglichenes und kommunikatives Kind. Nun meine Frage: Ich werfe es mir heute noch vor, damals am Anfang seines Lebens nicht 24 Stunden bei meinem Sohn gewesen zu sein, ich habe es damals nur wirklich beim besten Willen nicht geschafft. Ich hatte auch immer die Angst, daß diese Trennung sich irreparabel auf die Mutter-Kind-Bindung auswirken könnte, habe aber nicht das Gefühl, als wäre es tatsächlich so. Dennoch habe ich Angst, es könnte noch ein „Knacks“ sprich „gefühlsmäßiges Defizit“ geblieben sein, wenn ich auch glaube, das der mehr bei mir, als bei meinem Sohn geblieben ist. Was können sie mir über die absolut erste Bindung in den ersten Lebenstagen sagen und können sie mir die Angst nehmen, mein Sohn hätte ein nicht wieder aufholbares Gefühlsdefizit?
Mitglied inaktiv - 07.05.2007, 08:02
Antwort auf:
Bindung in den ersten Lebenstagen
Stichwort: Mutter und Neugeborenes
Hallo, zu den Bindungsbestrebungen des Neugeborenen in den ersten Lebenstagen existieren sehr veschiedene Ansichten, die alle wahrscheinlich ewig unbewiesen bleiben werden. Denn nie wird sich exakt messen lassen, wie wichtig diese ersten Lebenstage in der Mutter-Kind-bindung sind. Daher bestehen die Ansichten auch mehr aus Mystfizierung als aus logischer Schlußfolgerung oder wissenschaftlicher Betrachtung.
Es ist aber eindeutig erwiesen, daß das Neugeborene eine höhere Affinität zur leiblichen Mutter besitzt als zu irgendeiner anderen Frau. Geruch der Mutter, Herzrhythmus, bekannte Geräusche noch aus dem Mutterleib u.a. sorgen dafür, daß das Neugeborene, hätte es eine Wahl, sich immer für die eigene Mutter entscheiden würde. Nur was das qualitativ für die Bindung ausmacht, muß wohl immer offen bleiben.
Wenn ein Neugeborenes aus dem Kreissaal weg adoptiert wird, dann wird dieses Kind seine Adoptionsmutter ohne jeden Zweifel als seine leibliche Mutter annehmen, sofern ihm nicht eines Tages gesagt wird, daß es anders sei. Das Gegenteil zu behaupten, hieße die Muttergefühle einer Adoptivmutter tiefgreifend zu verunsichern. So betrachtet steht jeder, der auf die Frage der Wichtigkeit der ersten Lebenstage und -wochen für die Bindung eine uneingeschränkt positive Antwort gibt, in einem ethischen Dilemma. Wenn wirklich nur die leibliche Mutter die Bindung gerantieren könnte, dürfte man keine Adoption zulassen und müßte man auch die schlechteste Mutter immer noch für die beste des Kindes halten. Die Wirklichkeit zeichnet aber ein anderes Bild.
Die Frage spitzt sich indes nur an der unzulänglichen Mutter zu, derjenigen, die ihr Kind nicht wirklich akzeptiert. Jede andere Mutter ist natürlich die beste Mutter für ihr Kind und die "Auserwählte", selbst wenn sie anfangs nicht 24 Stunden am Tag bei ihrem Baby sein kann. Die Bindung entsteht in einem ganzen Lebensjahr und nicht in wenigen Stunden oder Tagen. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 07.05.2007