Frage im Expertenforum Gestärkt durch die Kinderwunschzeit an Dipl.-Psych. Miriam Hartz:

Sportverzicht wegen Kinderwunsch

Dipl.-Psych. Miriam Hartz

Dipl.-Psych. Miriam Hartz
Systemische Paar- und Sexualtherapeutin,
Zertifizierte Kinderwunschberaterin (BKiD)

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Frage: Sportverzicht wegen Kinderwunsch

Cyclist85

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Sehr geehrte Frau Hartz, meine Frau (38) und ich (39) befinden uns nun seit zwei Jahren in KiWu-Behandlung. Grund dafür ist mein schlechtes Spermiogramm. Wir haben in den letzten zwei Jahren sehr viele Tiefen erlebt, uns aber immer wieder hochgekämpft. Wir haben einige ICSIs naturelle gemacht, die aber leider nicht zum Erfolg geführt haben. Nun stehen wir vor der Entscheidung einer Samenspende, aber auch hier scheinen die Hürden unüberwindbar. Wir sind kraftlos und desillusioniert. Dazu kommt, dass ich seit langer Zeit auf meinen geliebten Sport (Radsport) verzichte, weil nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass dies die Chancen verschlechtert. Auf die offensichtlichen Parameter im Spermiogramm hatte es aber bisher nie einen Einfluss, ob ich in den Monaten zuvor intensiv Sport getrieben habe, oder ob ich pausiert hatte.  Trotzdem habe ich nun zwei Jahre (mit Ausnahmen) sehr reduziert Sport getrieben und dadurch auf viele schöne Momente und meinen so wichtigen Ausgleich verzichtet. Zudem ist der Sport für mich sehr viel mehr, es ist eine Selbstverwirklichung und ich konnte keine Ziele mehr verfolgen. Wenn wir nun auf Spendersamen setzen würden, könnte ich natürlich wieder Sport treiben. Aber es ist nicht gesagt, dass dies zum Erfolg führt und dann wäre die Überlegung doch wieder zur ICSI zurückzukehren. In dem Fall müsste ich dann erst wieder mind. 3 Monate verzichten, um eventuelle Beeinträchtigungen auszuschließen. Dies würde aber wieder Zeit kosten, die wir nicht haben. Mein eingeschränktes Spermiogramm liegt nicht im Sport begründet, sondern es gibt körperliche Ursachen. Daher gehe ich davon aus, dass der Sport gar keinen Unterschied macht. Meine Frau dagegen möchte jedes kleinste Risiko ausschließen und hätte daher gern, dass ich weiterhin für alle Eventualitäten verzichte. Aber ich kann einfach nicht mehr, der Kinderwunsch hat jedes bisschen Lebensglück zerstört und ich möchte so sehr wieder leben. Für meine Frau bedeutet ein Baby alles und sie würde auch fast alles dafür tun. Von mir erwartet sie das gleiche, was ich auch verstehen kann. Aber ich kann einfach nicht mehr auf das Leben verzichten 😭  Ich bin sehr verzweifelt und weiß nicht weiter. Vielleicht können Sie uns ein bisschen helfen. Vielen Dank. Viele Grüße, Thorben 


Dipl.-Psych. Miriam Hartz

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Lieber Thorben, vielen Dank, dass Sie mir so offen schreiben. Ihre Worte berühren – sie zeigen eindrücklich, wie tief Sie in einem inneren Dilemma stecken, wie groß Ihre Erschöpfung ist und wie viel Sie in den letzten Jahren für den gemeinsamen Kinderwunsch gegeben haben - insbesondere den Sport, der für Sie nicht nur Ausgleich, sondern ein Teil Ihrer Identität ist. Dass das schmerzt, kann ich sehr gut nachvollziehen – besonders, wenn unklar ist, ob der Verzicht überhaupt etwas verbessert. Die Studienlage zum Einfluss von Radsport auf die Spermienqualität ist, wie Sie auch beobachtet haben, nicht eindeutig. Wenn ärztlich keine klare Empfehlung zum Verzicht ausgesprochen wurde, könnte es hilfreich sein, das nochmals konkret abklären zu lassen – um entweder mit einem guten Gefühl wieder loszulegen oder sich für einen zeitlich begrenzten Verzicht zu entscheiden. Manchmal hilft es, Dinge erträglicher zu machen, wenn sie ein klares Ende haben. Vielleicht könnten Sie mit Ihrer Frau besprechen: Wie lange möchten wir der Behandlung noch Raum und Energie geben? Wie viele Versuche wollen wir uns noch zugestehen – realistisch, finanziell und emotional tragbar für uns beide? Ein klarer, begrenzter zeitlicher Rahmen gibt oft Kraft, sich noch einmal gemeinsam aufzuraffen. Und noch etwas: Auf der körperlichen Ebene liegt die Belastung der Behandlung aktuell stark bei Ihrer Frau. Im Verhältnis trägt sie die größeren Einschränkungen. Oft wünschen sich die Partnerinnen in solchen Momenten ein sichtbares, emotionales Zeichen: Ich bin nicht allein mit dem, was ich körperlich durch die Hormonstimulation tragen muss und auf was ich alles verzichten muss. Der Wunsch nach Sportverzicht steht somit auch für den symbolischen Beitrag zur „beziehungsdynamischen Gerechtigkeit“, also zur Balance. Gleichzeitig löst die Diagnose eines eingeschränkten Spermiogramms bei Männern Schuldgefühle aus. Das Muster ist dann häufig Schutz durch Rückzug anstatt klar im Kontakt zu bleiben und zu sagen "Es tut mir einfach leid, dass es so ist und wir werden das gemeinsam schaffen" Falls Sie spüren, dass der Sportverzicht Sie innerlich eher weiter entfernt als verbindet, könnte eine wichtige Frage sein: Wie kann ich meiner Frau auf andere Weise zeigen, dass ich mit dem Herzen dabei bin? Vielleicht durch gemeinsame Erlebnisse, bewusste Zuwendung oder etwas, das sie liebt und vermisst hat? Wann habt ihr beide Euch lebendig gefühlt, bevor euch der Kinderwunsch so vereinnahmt hat? Was könnt ihr – trotz allem – wieder als WIR entdecken? Und zuletzt: Die Frage nach der Samenspende ist eine große Entscheidung. Vielleicht rührt Ihre tiefe Verzweiflung auch daher, dass dieser Schritt ein inneres Abschiednehmen bedeutet – und noch nicht ganz gemeinsam getragen ist. Wenn sich Ihre Frau weiter „nach vorn stürzt“ und Sie das Gefühl haben, nicht mehr mitzukommen, entsteht eine Schieflage. Es ist so wichtig, dass Sie beide dabei gemeinsam in die gleiche Richtung schauen – auch, wenn es schwerfällt. Ihr Wunsch, wieder leben zu wollen, ist berechtigt. Ihr Schmerz ist verständlich. Und der Kummer Ihrer Frau auch! Vielleicht ist jetzt genau der richtige Moment, all diese Gefühle gemeinsam anzuschauen und sich zu fragen: Wie können wir als Paar wieder zueinander finden – mit unseren individuellen Bedürfnissen, dem Kinderwunsch, mit unserer Erschöpfung und mit unserer Hoffnung? Ich wünsche Ihnen von Herzen Kraft, Klarheit und liebevolle Verbundenheit als Paar, Alles Gute für Sie beide, Miriam Hartz


Cyclist85

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Liebe Frau Hartz, vielen Dank für die einfühlsamen Worte. Mit vielen haben Sie sicher ziemlich ins Schwarze getroffen. Meine Frau hat eh schon das Gefühl, dass es eine Schieflage bei uns gibt. Dass sie sich wesentlich mehr um den KiWu kümmert, als ich das tue. Und das stimmt auch, sie opfert alles dafür und ich kann und will das nicht tun. Ich muss endlich wieder leben, der KiWu muss nebenher laufen. Für mich gibt es ein Leben vor und eins nach dem KiWu und ich habe eine solche Sehnsucht nach meinem alten, unbekümmerten Leben. Leider ist dies eng mit meinem Sport verknüpft und daher tendiere ich stark dazu, meinen Sport wieder anzufangen, mir wieder Ziele zu setzen, wieder zu leben.  Ich hatte Angst, dies meiner Frau ggü. anzusprechen und quäle mich seit Wochen damit. Nun habe ich mit ihr darüber gesprochen und leider war meine Angst berechtigt. Sie kann mich nicht wirklich verstehen und fühlt sich allein gelassen mit dem KiWu. Ja, es liegt an mir. Aber muss ich mich deshalb über meine Kräfte aufopfernd und alles geben? Ich kann mich jetzt also entscheiden, entweder ich mache wieder Sport und versuche meinen Lebensmut wiederzufinden, oder ich verzichte weiterhin und gebe mich dem Schicksal hin. Beides fühlt sich falsch an. Unterm Strich bleibt die Gewissheit, dass wir beide keine Kraft mehr haben und ich langsam Angst habe, dass es unserer Beziehung schaden könnte. Wie es meine Frau formulierte, einer von uns beiden bleibt auf der Strecke bei dieser Entscheidung. Ich für meinen Teil kann mich nicht damit abfinden, dass es nur noch den KiWu gibt. Ich habe es in der Hand, dies zu ändern. Aber leider nur für mich. Meine Frau gibt weiterhin 120%, obwohl sie schon lange nicht mehr kann. Ich weiß wirklich nicht, wie wir hier wieder raus kommen sollen. Wir haben dieses Schicksal nicht verdient. Viele Grüße und schöne Ostertage für Sie, Thorben 


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