alba
Liebe Frau Bukowsky! Mein Partner und ich führen seit acht Jahren eine Beziehung mit vielen Höhen und Tiefen. Ich sage mal, er ist ein Freigeist, fühlt sich in normalen Jobs nicht wohl, hat aber viele kreative Ideen, immer wieder ein selbstständiges Projekt und hat sich immer gut durchgeschlagen. Ich war zu Beginn unserer Beziehung Studentin und teilzeitbeschäftigt, mir hat sein Lebenswandel nichts ausgemacht. Wir haben bald zusammen gewohnt, die Aufgaben waren verteilt, jeder hat seinen Teil geleistet (ich ein wenig mehr, aber damals konnte ich damit leben). Auch so hatten wir viel gute Zeit miteinander. Sehr bald habe ich aber bemerkt, dass er sehr kritisch ist - gegenüber anderen Personen. Auch bei meiner Familie und meinen Freunden war er immer schnell mit einem (häufig negativen) Urteil. Trotzdem hatten wir eine schöne Zeit, ich habe mir einfach gedacht, er hätte wenig Selbstbewusstsein. 2020 bin ich dann unvorhergesehen schwanger geworden. Ich habe mich trotzdem sehr gefreut. Seit das Kind da ist, sind die Höhen und Tiefen extremer geworden und zuweilen auch sehr belastend. Er ist viel daheim, hat zeitweise gar nichts mehr gearbeitet und auch nicht versucht etwas zu finden. Zwar hat er sich eine Zeitlang ums Kind gekümmert, weil ich wieder arbeiten musste - wir hätten sonst einfach gar kein Einkommen gehabt. Anfangs war das auch okay. Aber er wurde immer kritischer und es hält sich bis heute. Inzwischen arbeite ich 80 % in einer gut bezahlten Stelle, Kind war die letzten Jahre schon KiTa und ist tagsüber nicht daheim. Er ist meist alleine und: macht nichts. Oft schläft er bis zum Nachmittag, nachts starrt er ins Handy. Er mag Philosophie und sieht sich alle möglichen Theorien an, kümmert sich aber sonst hin und wieder ums Einkaufen (meistens mache ich das oder muss ich), und sonst nur ums Essen (das "darf" ich nicht, ist das "Einzige" das er hat). Andere Aufgaben macht er nur auf meine Bitte hin und dann mault er meistens kurz oder verschiebt sie auf später. Insgesamt ist er aber eher untätig. Er hat ein Projekt am Laufen, in das ich voll involviert wurde, weil er "Kommunikationsprobleme" mit den Partnern hat. Jetzt schickt er mich vor. Wenn er das Projekt in den Sand setzt, geht viel Geld verloren, das wir wirklich brauchen können, so fühle ich mich natürlich verantwortlich. Er meckert ständig an den Personen herum, und im Endeffekt auch an mir, weil ich dann wieder nicht so agiere, wie er es gerne hätte (aber er schickt mich vor, selbst will er nicht). Auch sonst kritisiert er laufend mein "Verhalten". Ich sei destruktiv. Es sei schwierig mit mir zu "arbeiten", mit mir zusammen zu leben, ich würde ihn dauernd ignorieren, mir nicht merken was er sagt. Das stimmt zum Teil vielleicht auch, aber meistens verstehe ich seine Kritik nicht. Oft denke ich sogar an "Gaslighting" und in letzter Zeit häufen sich die Ereignisse, wo ich am Ende an mir selbst zweifle oder mir fast wünsche, er hätte irgendein "Symptom" oder was "klinisches", da ich nicht mehr weiß ob jetzt ich oder er noch zurechnungsfähig ist. Das sind so kleine Dinge wie, ich frage ihn, ob er bei einer Sache mitkommt, bei der ein wenig Geduld gefragt ist und er antwortet: Ich kann mitkommen, will aber keine halbe Stunde oder länger warten, sondern nur hingehen und wieder zurück. Und wenn ich sage, ja, eine halbe Stunde muss er rechnen, dann kommt keine Antwort. und wenn ich nochmal nachfrage, patzt er mich an und sagt, er hätte mir eine sehr klare Antwort gegeben und ich hätte ihn wieder ignoriert - bin ich jetzt wirklich so neben mir, dass ich seine Antwort nicht verstehe? Ist es ein Ja oder ein Nein? Oder wir vereinbaren, am Nachmittag nach dem Essen etwas zu erledigen und dann ist der Nachmittag da und er legt sich einfach ins Bett und ich frage ihn, ob wir jetzt fahren oder er doch keine Lust hat (immerhin hat er sich ins Bett gelegt) und er meint einfach nur: Ich warte gerade auf dich. (und dann wartet er oft, bis ich fertig angezogen in der Tür stehe und geht er erst mal duschen oder so). Oder ich wache nachts auf und habe Bauchschmerzen und frage ihn (auch noch wach) ob er auch was merkt (wir hatten eine Lasagne und hätte ja was sein können) und er nur so, nein, du? - und auf mein ja kommt ein aggressiver Kommentar, ich habe dir schon so oft gesagt, dass du diese künstlichen Brötchen nicht essen sollst!! Ich hatte an dem Tag aber gar keine Brötchen gegessen, und er meinte dann, ich würde lügen, das Brötchen liegt doch in der Küche! (und ja, da lag ein Semmerl unseres Sohnes, das aber eben noch da war, ich esse generell wenig Weißbrot und ich habe es eben nicht gegessen). Das schlimme ist, dass er auch sehr gute Phasen hat. Da ist er wie ausgetauscht. Ich weiß nie, wie er drauf ist, wenn er aufwacht. Ich habe Angst vor seinen Reaktionen. Ich bin auch nicht immer bestens gelaunt, vor allem habe ich viel um die Ohren. Das Kind klebt auch an mir, vor allem an Papas schlechten Tagen. An seinen guten Tagen mögen sich die beiden sehr - an schlechten Tagen haben wir einen teilnahmslosen Papa, der zusieht wie der Kleine Essen am Boden verteilt und mir dann dafür die Schuld gibt. Da ich leider selbst sehr emotional bin, eskaliert die Situation oft und am Ende bin dann wieder ich schuld - weil ich zu emotional bin, keine Kritik aushalte und generell nur mich selbst sehen würde. Besonders wenn es um dieses Projekt geht, dreht er ständig durch mit mir. Und ich dann auch, ich habe einfach Angst, dass es schief geht, weil doch so viel dranhängt. Er hat mich wirklich "überredet" mitzumachen und jetzt ist es oft so, dass er beleidigt ist und meint, wenn ich seine Kritik nicht aushalte, soll ich es eben alleine machen... dabei hat er mich dazu überredet. Ich bekomme oft die "Schuld" für alles und ich glaube langsam wirklich, dass es so ist. Vor allem, weil ich ihn gewähren lasse, aber dann auch wieder, weil ich immer gleich so heftig reagiere und ich mich durch die Angriffe zum Teil wirklich herabgesetzt fühle. An manchen Tagen kann ich sie ignorieren, aber ich sitze oft weinend in der Küche und weiß einfach nicht was ich falsch gemacht habe und wie ich an ihn herankomme - und dazu kommt sein Widerwille, einen größeren Beitrag zu leisten, ich arbeite ja schon, kümmere mich 80-90 % ums Kind und Haushalt (außer eben Kochen) UND stecke in SEINEM Projekt voll drinnen. Meistens tue ich es ihm zuliebe, um meinen Seelenfrieden zu haben, aber es reicht einfach nie... Zugleich fühle ich mich von ihm abhängig, ich habe keine Ahnung, wie ich von ihm loskomme. An guten Tagen ist er so nett, dass ich ihn am liebsten die ganze Zeit umarmen möchte. Dann ist auch die Stimmung so gut, dass wir wirklich Freude miteinander haben und ich hätte gerne, dass es öfter so ist. Ich weiß, dass war nun sehr viel Text, aber ich fühle mich einfach nicht mehr wohl und weiß einfach nicht mehr weiter. ich weiß nicht mal, was ich konkret fragen könnte - haben Sie eine Einschätzung dazu?
Liebe Alba, vielen Dank für deine lange Nachricht. Bitte entschuldige, dass du ein paar Tage auf eine Antwort warten musstest. Aus deiner Nachricht wird sehr gut nachvollziehbar, wie du dich in deiner Beziehung fühlst. Du beschreibst, dass du das gesamte Einkommen für den Haushalt verdienst und dazu den Großteil der Hausarbeit und Sorgearbeit für euer Kind erledigst. Das ist nicht fair! Ihr seid eine Familie und führt einen gemeinsamen Haushalt. Da sollten die vielen anfallenden Aufgaben so aufgeteilt werden, dass es sich für beide erwachsenen Personen gut anfühlt. Leider ist es noch immer so, dass Frauen in heterosexuellen Beziehungen, viele Haushalts- und Sorgearbeit und auch die damit einhergehende Planung zugeschoben wird. Du beschreibst, dass dein Partner sich Aufgaben (Essen) heraussucht, die er machen möchte und bei dem Rest darauf wartet, dass du ihm Aufgaben zuteilst. Diese Planung, die Haushalt und Sorgearbeit organisiert und Aufgaben verteilt wird auch Mental Load genannt. Mental Load lastet häufig auf Schultern von Frauen und wird in vielen Fällen von Männern und der Gesellschaft nicht gesehen, da dieser unsichtbar bleibt. Mental Load ist aber gleichzeitig sehr anstrengend und kostet viele Ressourcen. Eine Möglichkeit, um eine Übersicht zu bekommen, was du alles übernimmst und wieviel Zeit dafür für dich anfällt, könnte die "Who cares?"-App (https://whocares-app.de/) sein. Sie ist ein hilfreiches Werkzeug, um Ressourcen sichtbar zu machen, die von dir in Tätigkeiten zuhause investiert werden. Das kann eventuell auch dabei helfen ins Gespräch darüber zu kommen, was ihr beide in euren gemeinsamen Lebensentwurf investiert und wo es Ungerechtigkeiten gibt. Es ist schön, dass dein Partner kreativ ist und sich für vieles interessiert. Das kann Personen viel Kraft im Leben geben. Wenn sein Interesse aber auf Kosten von dir geht, ist das nicht ok. Er hat sich für ein riskantes Projekt entschieden, bei dem er deine Unterstützung braucht. Gleichzeitig ist es nicht zufrieden damit, wie du ihn unterstützt. Auch das klingt für uns, als würde er sich hier nicht fair verhalten. Neben der unfairen Aufteilung von Aufgaben schreibst du auch über Verhaltensweisen deines Partners, die sich für uns sehr kritisch anhören. Er hält sich nicht an Absprachen, kritisiert dein Verhalten, macht dir Vorwürfe, verfügt über deine Zeit, macht aggressive Kommentare und beschuldigt dich zu lügen. Das klingt für uns nicht nur unfair, sondern könnte auch gewaltvolles Verhalten darstellen. Gewalt ist nicht immer physisch, sondern spielt sich oftmals im unsichtbaren oder verborgenen Bereich ab und drückt sich über psychische Verhaltensweisen wie du sie beschreiben hast, aus. Du schreibst, dass du an dir selbst zweifelst, teilweise seine Schuldzuweisungen annimmst, dich herabgesetzt fühlst und viel weinst. Viele Personen, die in einer gewaltvollen Beziehung leben, beschreiben ähnliche Auswirkungen wie du. Du führst auch aus, dass du Angst vor seinen Reaktionen hast, Dinge tust, um den Seelenfrieden zu bewahren und dich abhängig fühlst. Auch dies können Hinweise darauf sein, dass eure Beziehung eine gewaltvolle Dynamik entwickelt hat. Das mag jetzt erstmal sehr überwältigend klingen. Aber du bist nicht allein damit. Da sehr viele Personen von ähnlichen Problemen betroffen sind, gibt es glücklicherweise auch ein gutes Hilfesystem, an das du dich wenden kannst. Bitte suche dir Unterstützung. Wenn sich eine gewaltvolle Dynamik entwickelt hat, steigert sich diese häufig im Laufe der Zeit und wird schlimmer. Manchmal sind Beziehungsdynamiken so festgefahren, dass externe Unterstützung wichtig ist. Für Unterstützung kannst du dich kostenlos und anonym an Frauenberatungsstellen in deiner Nähe wenden: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/hilfe-vor-ort.html. Die Beraterinnen dort kennen sich gut mit Konflikten aus und können dir helfen, deine Situation besser einzuordnen und zu überlegen, was dir in der Beziehung helfen könnte. Neben den oben beschriebenen Anlaufstellen kann auch das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" nützlich sein. Sie beraten rund um die Uhr unter 116 016 oder du kannst auch über Chat Kontakt aufnehmen. Ambivalenzen und gute Phasen in Beziehungen sind ganz normal. Auch Personen in gewaltvollen Beziehungen beschreiben diese und sind dadurch häufig noch verunsicherter, wie sie die Beziehung einordnen sollen. Vertraue deinem Bauchgefühl. Wenn du dich nicht wohl fühlst, dann gehe deinem Gefühl nach und suche dir Unterstützung. Wir finden: Emotional zu sein ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Emotionalität zeigt uns, wie es uns geht und hilft uns dabei, mit anderen in Kontakt zu kommen und unterstützt zu werden. Du kannst das schaffen! Alles Gute und viel Kraft Xenia und Leonie
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