Frage im Expertenforum Kochen für Kinder an Dipl. oec. troph. Birgit Neumann:

Fütterstörung ?

Dipl. oec. troph. Birgit Neumann

Dipl. oec. troph. Birgit Neumann
Diplom Ökotrophologin und Ernährungsberaterin

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Frage: Fütterstörung ?

Belli211

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Hallo Frau Neumann, meine Frage ist etwas umfassender weil viele Faktoren eine Rolle spielen. Meine Tochter Flora isst am liebsten Obst, Nudeln, Käse, Gelbwurst und fängt natürlich auch irgendwann an damit zu spielen. Aber sie isst zumindest kleinere Mengen davon solang sie es selbst essen kann. Wenn wir sie füttern gibt es schon oft vor dem ersten Happen Geschrei .. bewusst einen Löffel zu sich nehmen macht sie in den seltensten Fällen! Erst wenn wir sie ablenken oder ihr etwas zum spielen geben können wir sie füttern.. mehr als 100 Gramm haben wir allerdings noch nie geschafft ! Es ist auch so als ob sie nie Hunger hat .. aber wie gesagt wenn sie es selbst essen kann dann klappt es auch ohne Ablenkung aber auch nur kleine Mengen.. ich biete ihr nach den Mahlzeiten immer noch eine Flasche an damit sie sich satt trinkt, aber davon nimmt sie nur wenig zu sich. Dazu kommt allerdings, dass sie in der Nacht knapp 1 Liter Milch trinkt! Ich gehe davon aus, dass sie sich in der Nacht schon so satt trinkt, dass sie tagsüber einfach keinen Hunger mehr hat und sie deshalb diese geringen Mengen und sättigende Speisen(Brei) nur mit Ablenkung zu sich nimmt weil der Appetit und der Hunger fehlt. Ich würde mich freuen wenn sie ihre Einschätzung dazu abgeben würden .. ob es sich um eine Fütterstörung handeln kann oder sich mein Verdacht bestätigt... Wir werden nun versuchen das Hungergefühl sanft in den Tag zu geleitet um sie tagsüber richtig füttern zu können. Vielleicht haben sie noch einen Tipp oder andere Ansätze? Liebe Grüße


Birgit Neumann

Birgit Neumann

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Hallo Belli211 wie alt ist denn deine Tochter? Magst du das noch kurz schreiben? Grüße


Belli211

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Sie ist 11 Monate alt !


Birgit Neumann

Birgit Neumann

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Hallo Belli211 ah, okay, danke für deine Rückmeldung, denn so kann ich sehr viel besser auf deine Frage eingehen. Du hast vermutlich total recht mit deiner Annahme, dass deine Tochter nachts zu viel Milch trinkt und tagsüber dadurch einfach keinen Hunger hat. 1 l Milch ist wirklich viel. Deine Tochter möchte nicht (mehr) gefüttert werden und hat aber total Spaß daran, selbständig zu essen und die verschiedenen Speisenangebote ausgiebig zu erkunden. Das ist super. Es ist der ganz gewöhnliche Entwicklungsweg, den deine Tochter beschreitet. Reduziere die Milch und biete deiner Tochter breifreie Beikost zum eigenständigen Kennenlernen und Essen und höre auf, deine Tochter zu füttern. Deine eigentliche Frage wäre damit beantwortet. Du brauchst deine Tochter nicht zu füttern und kannst sie stattdessen selbständig essen lassen. Dazu kann es Pre-Milch nach Bedarf geben - oder Säuglingsmilch in einer Menge bis zu ca 500 ml täglich. Reicht dir das als Antwort und zum Aufatmen schon aus? Oder bräuchtest du noch ein paar Tipps und Anregungen dazu, wie du euren Familientisch mit der Familienkost konkret gestalten könntest? Dann lies weiter im Anhang. Ich möchte dich nicht von vornherein mit zu viel Text und zu viel Information oder Inspiration überschütten. Wenn du aber möchtest, dann kannst du noch die ein oder andere Textzeile zum Thema Familienkost in einem Nachfolgeposting lesen. Also dann Viele Grüße Birgit N.


Birgit Neumann

Birgit Neumann

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Hallo Belli211 hier nun wie versprochen, weitere Infos zur Familienkost: Die Entwicklungsphase um den 10. Lm herum ist gekennzeichnet dadurch, dass Babys einen großen Entwicklungs -und Wachstumsschub machen. Auch im motorischen und kognitiven Bereich sind große Fortschritte bemerkbar. Babys zeigen dies auch dadurch, indem sie ihre Essgewohnheiten ändern. Manche Babys möchten plötzlich gar keinen Brei mehr essen. Manche wollen nicht mehr gefüttert werden, manche essen plötzlich sehr viel weniger als gewohnt. Manche Babys möchten viel seltener gestillt werden, manche sehr viel mehr und manche Kinder werden sehr aktiv und neugierig und wollen alles essen und probieren, was Mama und Papa haben. Als Eltern hat man oft die Vorstellung, dass die Beikost und der Übergang zur Familienkost planbar sei und Schritt für Schritt abläuft. Doch in den meisten Familien passiert die Umstellung in einer eher scheinbar chaotischen Weise, ohne logischen Aufbau und unplanbar. Und das ist völlig in Ordnung. Du darfst dich zunächst von deiner Vorstellung lösen, dass du deine Tochter (mit Brei) füttern müsstest. Mit 11 Monaten kann deine Tochter schon prima alleine essen. Du schreibst ja auch, dass sie es das gerne möchte und kann. Zunächst würde ich dir raten darauf zu achten, dass dein Baby während den Mahlzeiten wirklich gut und sicher sitzt. Schau, dass ihre Füße auf einer Unterlage Halt finden und sie dadurch sicher und schaukelfrei sitzt, sie dadurch ihre beiden Hände frei bewegen kann, ohne hin und her zu wippen. Lege vor sie , gut sicht- und greifbar, verschiedene weiche Stückchen hin. Vermeide es, deinem Baby die Stückchen in den Mund zu geben und lass sie alle Speisen selbständig greifen und befühlen. So kann sie die Stückchen selbständig an und in den Mund führen, um diese vielleicht zu essen. Das hast du alles schon beobachten können, schreibst du, nämlich dass sie die Speisen ausgiebig befühlt. Je mehr Hunger sie haben wird (wenn weniger Milch) und je besser sie die Speisenangebote kennen wird (wiederholtes Wiedererkennen), je lieber sie die Speisen mag, desto mehr wird sie langfristig davon essen. Mit der festen (breifreien) Kost erlebt deine Tochter nicht nur Geschmack, sondern auch Konsistenz. Und auch an diese muss sie sich erst gewöhnen. Sie muss sich im wahrsten Sinne des Wortes - herantasten - durch Befühlen mit den Händen, was du als spielen bezeichnest. Spielen ist die Lernform des Babys/Kindes. Am Esstisch darfst du deine Tochter achtsam begleiten und altersentsprechend, ihrem Entwicklungsstand entsprechend, ihren motorischen Fähigkeiten entsprechend fordern, fördern ohne sie dabei zu überfordern. Beobachte dein Baby und reagiere angemessen auf den Ist-Zustand. Was kann dein Baby und was kann es noch nicht? Wo kannst du vielleicht etwas mehr fördern und wann ist es besser zu stoppen? Etabliere neue Gewohnheiten. Lass deine Tochter alle geeigneten Speisen vom Familientisch probieren. Ich gehe hier an diese Stelle nicht auf die Details zu den "geeigneten Speisen" ein. Du kannst gerne nochmal nachfragen, wenn du unsicher bist. Gib deinem Baby viele Gelegenheiten, um neue Eindrücke durch selbständiges Entdecken der Speisen zu erleben und biete immer eine Basis mit Speisen, Zutaten und Gerichten, die dein Baby gut und verlässlich isst. Unter Familienkost versteht man nicht nur die Speise an sich. Familienkost bedeutet auch das gesamte Arrangement bei Tisch. Es ist der gemeinschaftliche Aspekt der Mahlzeit. Das gemeinsame Sitzen und Essen. Das Sehen der gedeckten Speisen bei Tisch, Das Sehen der anderen Esser bei Tisch. Das gemeinschaftliche Erlebnis, wenn alle das gleiche essen. Dein Baby möchte imitieren. Es möchte das gleiche haben wie ihr Eltern. Es zählt nicht die Quantität sondern eher Qualität und es zählt eher der Gesamteindruck. Dein Kind erlebt nicht nur den Geschmack, sondern ebenfalls die Struktur und Konsistenz, die Temperatur, Gesichtsausdrücke von euch Eltern, die Haltung von euch Eltern und vieles andere mehr. Es geht darum, dass deine Tochter sich anpassen kann, das sie die prinzipielle Möglichkeit erhält, um Neues kennenzulernen. Dafür reicht es zunächst aus, wenn sie immer wieder sieht was gegessen wird. Und wenn sie davon kleine Stücke probieren kann, wenn sie das Neue vorerst nur durch einen kleinen gustatorischen, also geschmacklichen Eindruck spürt, dann ist das schon ganz prima. Der Mund ist quasi eine Eintrittspforte für Essen. Im Mund wird das Essen geprüft. Geprüft hinsichtlich der wahrnehmbaren Eigenschaften. Geschmack, Mundgefühl, Temperatur,. Und zwar mit den Geschmacksknospen und dem Tastsinn im Mundraum - was gefällt, das wird auch geschluckt. Alle Kinder mögen eine weiche, samtige Textur. Sie mögen lauwarm und süß. Diese Speisen wie bspw ein Grießbrei oder Haferbrei sind darum eine ideale Kost für Essanfänger. Damit dein Kind aber auch lernt andere Konsistenzen und Aromen, andere Temperaturen, anderen Geschmack zu mögen und zu akzeptieren, sollte sie andere Speisen mit vielen weiteren Eigenschaften (fester, knuspriger, kalt, rauh) in den Mund nehmen können und bewerten. Bei Nichtgefallen wird die Speise ausgespuckt. Aber: beim nächsten Mal gefällt die Speise häufig schon viel besser - es sind sogar bis zu 10 dieser Kontakte nötig, um Kinder an Neues zu gewöhnen. Bereits kleine Mengen von neuen Speisen sind für den Anfang aber schon ganz prima. Wenn du die Essfreude bei deiner Tochter kultivieren kannst, dann schaffst du die besten Vorraussetzungen, damit sie langfristig zu einer unkomplizierten Esserin heranwachsen kann. Es ist jetzt besser, wenn du deine Tochter in ihren Bedürfnissen so unterstützst und begleitest, dass sie Essen mit positiven Eindrücken und Erlebnissen verbindet. Reduziere die Milchmahlzeiten und schau, dass deine Tochter viele freudige Essmomente erleben kann. Auch wenn sie momentan aufgrund noch fehlenden Hungers keine großen Mengen isst, oder eher nur "spielt", ist das alles genau richtig und wichtig. Meld dich ruhig nochmal, wenn du weitere Fragen oder Anmerkungen hast. Also dann Grüße Birgit N.


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