Frage im Expertenforum Ergotherapie bei Kindern an Kristin Windisch:

5 Jähriger (fast) hat noch Windel an und Wutausbrüche

Kristin Windisch

 Kristin Windisch
Staatlich anerkannte Ergotherapeutin
Zertifizierte Fachergotherapeutin für Pädiatrie GfpF

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Frage: 5 Jähriger (fast) hat noch Windel an und Wutausbrüche

Jullla

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Hall Kristin, unser (fast) 5 jähriger Sohn ist kognitiv sehr weit. Jedoch scheint sein Körpergefühl und Sozialverhalten noch nicht so weit zu sein. In der Kita sind alle in seiner Gruppe Windelfrei. Er möchte immer in der Kita eine Windel tragen. Zu Hause und im Urlaub klappt es ohne (außer Nachts). Zwar geht da auch mal was daneben wenn er im Spiel vertieft ist, aber grundsätzlich merkt er, wenn er zur Toilette muss. Dann das Sozialverhalten. In seiner Kitagruppe sind leider nur (und sorry dafür) Kinder aus sozialschwachen Haushalten und einfach Assi. Die Jungs kloppen sich in der Kita und wollen natürlich ihr Kräfte messen. Mein Sohn hat da gar keine andere Chance außer mitzumachen. Die Erzieher kriegen es nur geregelt, wenn sie die Kinder aufteilen und trennen. Zu Hause bekommt er seit er ca. 4 ist regelmäßig ausrastet und schmeißt mit Sachen (und das mit allem: Kuscheltieren, Spielzeug, Schneekugel etc.) und ist teilweise richtig gefährlich. Es ist auch schon vorgekommen dass ich ihn in sein Zimmer gesteckt habe und die Tür zugehalten habe, damit keiner verletzt wird. Manchmal hab ich Angst. Wir haben es auch schon mit einem Wutkissen probiert, das nimmt er nicht an. Manchmal kämpfe ich dann mit ihm, dann wird irgendwann ein Spiel daraus und er beruhigt sich. Aber ich möchte das nicht. Was kann ich tun? Er ist auch schon eher ein sehr lebhaftes Kind. Kann auch nur am Tisch sitzen wenn er motiviert ist auf das Essen. Ansonsten steht er auf, setzt sich hin, steht wieder auf, spielt. Das war schon immer so und da haben auch keine herkömmlichen Erziehungsmaßnahmen geholfen.    Hast du eine Idee, wie ich ihn unterstützen kann und damit es nicht traumatisch wird?    Danke und LG


Kristin Windisch

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Hallo, Thema Windel: man müsste mal schauen, ob der Kita-Windelwunsch daher kommt, weil er sich in der Kita prinzipiell nicht zur Toilettennutzung traut (Bedürfnis nach privatem Rückzugsbereich, Ekel vor den Toiletten, nicht allein ins Bad wollen, etc.) oder weil er da mehr ins Spiel versunken ist und Sorge hat, dass die Kinder seine nasse Hose mitbekämen. Tendentiell wäre sonst die Empfehlung, wenn es zu Hause ohne Windel klappt, dass dann auch in der Kita so umzusetzen, vielleicht mit dem 5.Geburtstag (5 jährige tragen keine Windel mehr, als Erklärung fürs Kind, wenn es um ein altersgerecht entwickeltes Kind geht) bzw. dem Start vom Frühling (erleichtert einen schnellen Toilettengang, als wenn man erst aus der Skihose raus muss...). Sollten Ängste in der Kita dahinter stecken, kann man zumindest beachten, dass er Pants anhat, die er selber schnell hoch und runterziehen kann, und er so zumindest die Option hat, die Toilette zu nutzen und die Pants als Backup hat. Dafür gibt aber auch spezielle Boxershorts mit Saugkern, die dann gar nicht nach Windel aussehen und auch was auffangen können, waschbar und wiederverwendbar sind. Thema Wut: Wutstrategien besprechen, ausprobieren, schauen was ihm hilft und diese dann als Bilder/Wutplakat auf Kinderhöhe sichtbar aufhängen, damit er sofort weiß, was er machen kann/erlaubt ist, wie er die Wut abbauen kann. Das kann man erstmal spielerisch als Rollenspiel mit den Kuscheltieren einüben und dann,wenn er wütend ist mit unterstützen, in dem man es selber vormacht/mitmacht. Als Regulationsstrategien bzw. zum Adrenalinabbau eignet sich alles, was anstrengt und/oder Druck-und Zugreize auf den Körper wirken lässt (sog. propriozeptive Reize): also z.B. Hampelmann, oder 10x vom Bett/Sofa runterhüpfen, Hock-Streck-Sprünge, Schubkarre zusammen 3 Runden über den Boden, einen Softball/Knautschsack mit den Händen oft zusammenpressen (Wut reindrücken bis sie kleiner wird), die Wut in die Wand reindrücken (wegschieben), ins Kissen reinschreien so laut man kann, wenn das draußen angewendet wird eignet sich auch Runden rennen sehr gut. Tauziehen, etc. Wichtig ist: es muss anstrengen, denn so kann das hohe Adrenalin über die Muskelkraft wieder abgebaut werden. Das benötigt grade anfangs und in dem Alter noch viel Anleitung und Mitmachen. Wichtig sind 2 Punkte zur Verhaltensänderung bei Wut (v.a.wenn er es täglich in der Kita gegenteilig sieht): 1. Optionen bieten, was erlaubt ist, um das Adrenalin wirklich abbauen zu können, denn die Wut muss raus 2. ganz klare Konsequenzen, wenn er etwas macht, was eindeutig nicht erlaubt ist (jemanden bewerfen, verletzen) mit vorheriger Absprache/Erklärung in ruhigen Momenten - nicht in der Wutsituation an sich, da sind die Kinder nicht aufnahmefähig! Das kann auch als Dialog geschehen bei einem 5 jährigen, vielleicht hat er ja selber Ideen dazu ("jetzt haben wir ja gesagt: jemanden bewerfen ist verboten. Was machen wir, wenn du dich nicht daran hältst, was machst du sehr gern und das lassen wir dann weg, wenn du doch jemanden verletzt hast?"... Und es muss wirklich etwas dazu eingesetzt werden, wo es dem Kind nicht egal ist, wenn es das an dem Tag dann nicht machen darf. In dem Moment, wo er sich dann wirklich nicht dran hält, reicht die Ansage "heute kein ...!" und dann die Wutabbaustrategien anwenden oder ihm einen Rückzugsraum anbieten. Optimal ist es natürlich, vorher schon abzufangen, dass sich die Wut gar nicht so weit hochschaukelt, bevor er etwas wirft. Das gelingt über Gefühle anerkennen und spiegeln " du bist grad ärgerlich darüber, das verstehe ich. Ich sehe, dass du ein verärgertest Gesicht machst/ deine Stimme hört sich ganz wütend an. Lass uns eine Sache machen, die dir hilft, dass die Wut nicht zu viel wird und dann können wir danach nochmal drüber sprechen. Zuerst eine Regulation anbieten (fragen: hat das schon gereicht, ist die Wut schon kleiner oder brauchst du noch eine Runde/eine andere Übung?), dann eine Kompromisslösung finden (verhandeln, Mitbestimmung). Gut eignen sich in ruhigen Momenten auch "Vorbild-Geschichten" in denen eine Tierfamilie oder ein Junge (es eignet sich den Namen mit dem gleichen Anfangsbuchstaben wie vom eigenen Kind zu wählen /die gleiche Haarfarbe/ gleiche Interessen zur Identifizierung mit der Hauptfigur der Geschichte) wütend wird und sich in der Geschichte 1.)falsch verhält und man erklärt, wie es den anderen drumrum damit geht, wenn man beworfen wird, oder Angst bekommt (auch als Frage möglich: was meinst du wie geht es dem Freund von dem Jungen, wenn er ihn wegen einem Streit bewirft? wird er dann noch Lust haben mit ihm zu spielen?) und 2.) einmal mit der Variante, wie die Hauptfigur dann richtig handeln kann/was als Wutstrategie eingesetzt wird, bis man sich wieder ruhiger fühlt. Man kann dann fortführend auch das Kind die Geschichte zuende erzählen lassen (was könnte der kleine Igel jetzt tun, wenn er so eine große Wut im Bauch hat, kannst du ihm helfen, was er jetzt machen kann?). Das ist natürlich ein langer Prozess umzulernen, wie er seine Wut nun stattdessen ausleben kann, der wird einige Wochen angeleitet, umgelernt, unterstützt werden müssen. Wichtig ist es dann auch die Momente, wo es schon gelingt, dann hervorzuheben, zu loeben, stolz der Familie davon erzählen, etc. Zusätzlich kann man noch thematisieren, wie er in der Kita damit umgehen kann, wenn jemand anderes wütend auf ihn zugeht, wie darf er da reagieren?Wie kann er sich wehren, was ist erlaubt/was ist nicht ok. Reicht das alles nicht aus, kann ergotherapeutisch z.B.mit dem Alertprogramm und verhaltensmodifizierenden Maßnahmen unterstützt werden, ein stark eingefahrenes negatives Verhalten wieder umzulernen und seinen eigenen Erregungsgrad einschätzen und verändern zu können. Alles Gute, Kristin Windisch


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