Frage: Vorgehensweise alleine einschlafen lernen

Guten Tag, ich war mit meiner 8 Monate alten Tochter bei einer Schlafberatung, die mir folgendes geraten hat: Das Baby ab sofort immer wach ins Bett zu legen und versuchen, dort einschlafen zu lassen. Bei Schreierei, die sicher sofort einsetzt, auch sofort zur Stelle sein und trösten. Mit 8 Monaten haette das Kind schon genügend Vertrauen aufgebaut und die Bindung waere gut genug. Darüber hinaus sagte sie, wir müssten unserem Kind dieses auch zumuten und zutrauen, um seine Entwicklung zur Selbstständigkeit zu fördern. Unsere Tochter schläft bisher bei uns im Familienbett, wird noch oft - und grad zum Einschlafen und nachts - gestillt. Ausserdem hat sie nachts des öfteren Wachphasen, die sie damit dann auch selbst in den Griff kriegen soll. Bitte geben Sie mir Ihre Einschätzung dazu - ist das wirklich der einzige Weg? Wir scheuen die Schreierei, und wollen es eigentlich sanfter angehen. Vielen Dank

von Ernste am 04.03.2013, 08:18



Antwort auf: Vorgehensweise alleine einschlafen lernen

Hallo, die Aussage der Schlafberaterin erscheint mir etwas widersprüchlich, oder Sie haben den wesentlichen Teil der Empfehlung weggelassen. Wenn Sie einen Säugling wach zum Schlafen in sein Bettchen legen, fängt er in der überwiegenden Zahl der Fälle an zu schreien spätetens wenn die Bezugsperson rausgeht. Jetzt sollen Sie "wieder zur Stelle sein" und trösten, aber was passiert, wenn Sie dann wieder rausgehen. Er schreit natürlich wieder und wahrscheinlich sogar erst einmal noch lauter. Das ist der entscheidende Punkt. Der Säugling soll ja "lernen", ohne Begleitung einzuschlafen! Und so geschieht, das, was als Schlafkonditionierung zu bezeichnen ist. Das geht dann so weiter: Wieder zu ihm zurückkehren, wieder rausgehen, wieder zurückkehren usw. (die Zeiträume zum wieder hineingehen minutenweise länger werden ). Spätestens beim 3. Durchlauf ist der Stresspegel beim Säugling so hoch, dass er überhaupt nicht mehr einschlafen kann. Was bei ihm emotional passiert ist, dass sich Angst zunehmend mit Wut mischt (je kleiner, desto mehr Angst, je größer, desto mehr Wut) und schließlich in Verzweiflung mündet. Es sind der Kontrollverlust über das Geschehen mit ihm und die grenzenlose Ohnmacht, die den Säugling so stressen, dass er irgendwann nur noch vor Erschöfung einschläft. Er wird dann aber in den Traumschlafphasen regelmäßig wach und schreit wieder sofort, weil er seinen Stresspegel aus Cortisol und Adrenalin noch gar nicht abgebaut hat. Heute weiß man aus Tierversuchen (eigentlich genügt die Erfahrung), dass derart gestresste Tiere (wie eben auch kleine Menschen) gar nichts lernen (können), weil die (glutamaterge) Anregung der Gedächtniszellen im Hippocampus zum Erliegen kommt (ein bestimmts codiertes Einweißmolekül fällt dabei aus). Nur die Kampf oder Flucht-Reaktion bleibt aktiv, nützt dem Säugling aber nichts weil er weder das eine noch das andere realisieren kann. Es bleibt die grenzenlose Angst bis zu Verzweiflung. Mit der Zeit wird das sog. Stress-Toleranz-Fenster immer kleiner und der seelische Kollaps setzt immer früher ein. Der Säugling/das Kleinkind kann sich nur noch durch Abtrennen der Gefühle von der erlebten Situation retten. Jetzt setzt ein Scheinerfolg ein, denn der Säugling schreit nicht mehr, wenn Sie ihn wach ins Bettchen legen. Er hat abgespeichert, dass ihm sein schreien nichts hilft (ein "Korrelat" der Fluchtreaktion, Erstarrung/freezing). Ist das ein erzieherischer Erfolg??? Ist das Lernen?? Dasselbe Phänomen setzt ein in den nächtlichen Wachphasen, wobei der Säugling dann still im Bettchen liegen bleibt und an die Decke starrt, wenn er schon schlafkonditioniert ist. Die Eltern merken es nicht, denn fast immer schläft der Säugling im eigenen Zimmer. Das Urvetrauen des Kindes in seine Bindungspersonen ist nun ziemlich zerstört und die Bindung wird vermeidend unsicher. Was vielleicht einmal gut begonnen hat, wird nun zerstört. Dagegen steht alles das, was hier im Forum und auch von vielen anderen Entwicklungspsychologen/innen zum Thema "gemeinsames Schlafen" vertreten wird. Durch das durch die Bindungsperson(en) "ko-regulierte", ruhige und entspannte Einschlafen unter richtigen Voraussetzungen im gemeinsamen Zimmer gelingt durch Reifung mit der Zeit das selbstständige Einschlafen und Schlafen, wobei die Bindung nur immer weiter gefestigt wird. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 07.03.2013



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