Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Dr. med. Ludger Nohr:

Übergriffig und Boshaft und kein Schuldbewusstsein

Dr. med. Ludger Nohr

Dr. med. Ludger Nohr
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Frage: Übergriffig und Boshaft und kein Schuldbewusstsein

BobbyMarlene78

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Zunächst an alle Mitleser: Ich bin auf der Suche nach einer FACHLICHEN Einschätzung. Ich bitte also jeden, der nichts zur LÖSUNG beitragen kann, sich Bemerkungen und Ratschläge zu verkneifen. Die bekomme ich nämlich ständig ungefragt an den Kopf geworfen und das erhöht nur unangenehm den Druck auf mich und meinen Sohn. Lieber Herr Nohr, unser Erstgeborener ist nun 7,5 Jahre und geht seit August ganz regulär in die Schule. Bereits als Kleinkind fiel auf, dass er, besonders wenn er ausgelassen war, zu anderen Kindern übergriffig wurde. Er hat sie dann z.B. geschubst. Im Kindergarten (kam mit 3) hat er leider keinen Anschluss gefunden, da er eigtl kein Interesse am spielen hat und die Gruppenkonstellation auch etwas schwierig war...so kam es, dass unser Sohn eigtl nur noch bei den Erziehern saß um sich mit denen zu unterhalten. Er ist sehr wissbegierig, kann sich vorgelesenes sehr gut merken und detailiert wiedergeben. Er kann sich und seine Umwelt auch sehr gut reflektieren. Er ist insgesamt ziemlich schlau, manchmal wird er "altklug" genannt. Das hat ihn bei den Kindern natürlich nicht weiter nach vorn gebracht und auch die Erzieher hatten nicht immer genug Zeit seinen "Belangen" (hauptsächlich zugehört bekommen) entgegen zu kommen. Häufig wurde ich beim abholen darüber informiert, dass er jmd gehauen oder geschubst hat bzw mit der Kita Einrichtung randaliert hat. Da hat er z.B. einen Tisch weggetreten oder einen Stuhl über den Kopf gehoben. Wir haben dann natürlich mit ihm gesprochen, dass das nicht geht etc. Wir dachten aber auch, dass sich die, m.E. große Frustration in der Schule legen würde, da er da ja a) nicht mehr so auf eine Schnittmenge zu anderen Kindern angewiesen ist und b) er dort die Chance bekommt zu zeigen was er kann und weiß und die Lehrer das sicher toll finden. Leider ist er in der Schule nun auch schon mehrfach aufgefallen. Weil er jmd gehauen hat oder Mobiliar über den Kopf hebt. Die Kinder haben Angst vor ihm und er scheint das gut zu finden. Team- und Gruppenarbeit ist ihm ein Graus. Gestern muss er sich über die angeordnete Gruppenarbeit so geärgert haben, dass er zu einer Hortkraft gesagt haben soll "...wenn ich mein Taschenmesser dabei gehabt hätte, hätte ich die anderen Kinder am liebsten erstochen"....Wortlaut nur sinngemäß. Er hatte sich wohl darüber geärgert, dass die die Lösung nicht gesehen haben. Als ich ihn gestern danach fragte sagte er, er würde das natürlich nicht machen. Er wolle nur ausdrücken wie dolle wütend er war. Nun ist aber von "Gefahr für die Öffentlichkeit" die Rede. Ich bin kurz vorm verzweifeln. Er geht seit Januar zum Sozialkompetenztraining bei der Ergotherapie, allerdings verspreche ich mir davon wenig, da er da in keinem Bereich des Programms Probleme hat. Wir gehen seit jüngstem klettern und schwimmen und er macht seit Sommer Geräteturnen....die Sportarten passen alle zu seiner Persönlichkeitsstruktur. Leider ist es so, dass ihm sooo viel in den Schoß fällt, dass er "sich anstrengen" gar nicht kennt....Die Hausaufgaben macht er komplett in maximal 10 Minuten ohne Hilfe und fehlerfrei etc Er soll nun einen Intelligenztest machen um ggf Fördermöglichkeiten zu ordern und ich gedenke ihn beim Kinderpsychologen vorzustellen. Aber da ist Termin die nächsten 6 Wochen nicht zu kriegen. Können Sie eine Einschätzung dazu abgeben? Wie kann denn ein kleines Kind so wütend sein und was können wir tun um ihm zu helfen sich zu integrieren und innere Anspannung abzubauen? VG und vielen Dank im voraus...schön, dass wieder ein Psychologe im Forum ist


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Vielen Dank für das ausführliche und offene Schreiben. Ihr Sohn ist anders als viele anderen und das ist immer schwer, weil es einen an den Rand drückt. Er scheint andere Fähigkeiten und Grenzen zu haben und Empathie, also sich einfühlen in jemand anderen, fällt ihm wohl noch schwer. Warum das so ist, kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Es gibt verschiedene Entstehungsmöglichkeiten für dieses komplexe Geschehen und deshalb auch keine einfachen Ratschläge. Vielleicht ausser dem, zu versuchen, sein Verhaltern AUCH aus seinem Leid, seiner Angst, seiner Verunsicherung zu verstehen. Trotzdem müssen sie natürlich mit dem Verhalten real umgehen, Grenzen setzen, klar bleiben. Aber wenn möglich, ohne moralische Bewertung/Abwertung. Ich halte eine Vorstellung beim Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten für sinnvoll, weil das erstmal alle entlasten kann und dort sowohl das Kind, das Familiensystem und die Beziehungen betrachtet werden können. Wichtig ist, dass das nicht als Strafe oder Ausdruck von Defizit erklärt wird, da er sowieso schon den Eindruck haben wird, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Auf spielerischem Weg und in den Gesprächen mit den Eltern geht es nicht um Schuld (!), sondern darum, bessere Lösungen für Kind und Eltern zu finden. Der Therapeut/die Therapeutin hat dadurch, dass er/sie emotional nicht involviert sind, viel leichter die Möglichkeit, eine wohlwollende und nicht bewertende Situation zuzulassen, die ihrem Sohn die Möglichkeit gibt, sich einzulassen ohne Angst vor Falschsein. Das ist für Eltern, gerade wenn es schon so lange dauert und man immer wieder zwischen Enttäuschung, Ärger und Mitgefühl schwankt, sehr schwierig. Erwarten sie keine schnellen Veränderungen aber sie sind möglich, wie ich aus vielen Jahren PT mit Kindern weiß. Und leider ja, die Wartezeiten sind zu lang. Fragen sie bei verschiedenen Th. an und gehen sie nur zu jemandem, den alle akzeptieren. Viel Erfolg. Ludger Nohr


mellomania

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es gibt normalerweise auch über die schule die möglichkeit, eine kooperation mit dem sonderpädagogischen dienst für emotionale und soziale entwicklung einzugehen. der antrag wird von der schule über das schulamt ans zuständige sbbz geschickt die dann einen kooperationslehrer schicken, der sich die situationen und deinen sohn ansehen. das könnte eventuell schneller gehen als der termin bei einem therapeuten. auch das gewohnte umfeld, also die schule, bleibt erhalten.


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