Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Ingrid Henkes:

Persönliche Veränderung durch Gewisterkind

Ingrid Henkes

 Ingrid Henkes
Analytische Kinder- und Jugendlichen­psycho­therapeutin

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Frage: Persönliche Veränderung durch Gewisterkind

SUGA87

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Hallo Frau Henkes,  Ich bin Mutter von 2 Kleinen Mädchen (fast 4 Jahre und 1 Jahr). Wir stellen seit der Geburt unserer zweiten Tochter fest, dass sich das Verhalten unserer großen Tochter deutlich verändert hat.(war immer fröhlich, selten geweint oder geschrien) Angefangen hat es damit, dass unsere zweitgeborene als Neugeborene sehr viel geschrien und geweint hat. Wir haben aber immer versucht der Großen zu erklären warum das Baby weint oder was es haben könnte. Seit dieser Zeit beißt sie Nägel, weint und schreit extrem laut unsere Große Tochter weger jeder Kleinigkeit. Auch frech und launisch ist sie öfter. Auch hören will sie nicht wirklich, wenn man alles 5x gesagt hat ist es immer noch nicht angekommen erst wenn man lauter wird oder mit Bestrafung (z. B. Kein Sandmännchen vorm Bett gegen) kommt funktioniert es. Wir dachten wenn unsere zweite Tochter größer wird, wird es besser, im Gegenteil. Die Große ist oft auch sehr grob zu der Kleinen, wirft sie um wegen nichts oder packt sie. Ich muss dazu sagen unsere kleinere hat immer noch oft sehr schlechte Tage wo sie viel schimpft und weint, zudem kann dieser kleine Mensch schon sehr wütend werden (stroach wie man in Bayern sagt), so ein Verhalten kenn ich von der Großen in diesem Alter gar nicht. Selbst wenn die Große einmal lieb zu ihr wäre lässt die kleine es nicht zu und schreit sofort auf. Harmonie zwischen den beiden ganz ganz selten. Kann es sein das die Große durch das geschimpfte und schreien der kleinen getriggert wird? Ich habe auch schon mehrmals mit ihr über das Verhalten gesprochen warum sie das macht aber sie kann mir keine Antwort darauf geben. Versuchen auch exklusiv Zeit zugeben, und schauen das keine zu kurz kommt. Es ist aber momentan einfach nur noch anstrengend und man möchte nichts unternehmen weil wie gesagt wegen jeder Kleinigkeit ein Drama gemacht wird. Dann gibt es am Tag vereinzelt Momente mit der Großen in denen sie kuscheln will, lieb ist und von der einen Sekunde auf die andere ohne Grund wie ausgewechselt: lass mich, geh weg usw.  Vielleicht haben sie einen Tipp oder Erfahrungen damit. Oder vielleicht sagen sie auch das es normal ist mit fast 4 so ein Verhalten. Wir sind um alles dankbar. 


Ingrid Henkes

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Guten Tag, Ihre Beschreibungen lassen mich vermuten, dass es verschiedene Gründe für das Verhalten Ihrer Tochter gibt. Zum einen ist da sicherlich das ganz normale Verhalten von Vierjährigen, die mit den Eltern um Grenzen und Macht kämpfen. Dann hören die Kinder oft nicht und versuchen auch schon mal frech zu werden. Das gehört zur Entwicklung, auch wenn es für Eltern oft eine sehr anstrengende Phase ist. Wenn Sie mit diesem Verhalten Ihrer Tochter möglichst gelassen umgehen, kann Ihr Tochter merken, dass Sie sich durch das Verhalten Ihrer Tochter nicht erschüttern lassen, sondern als die verantwortlichen Erwachsenen entscheiden, auch wenn Ihre Tochter das gern anders hätte. Kinder benötigen die Erfahrung, sich nach allen Kämpfen wieder unter den Schutz der Eltern stellen zu können. Gleichzeitig können Sie Ihrer Tochter vermitteln, dass Sie Ihren Wunsch nach Einfluss verstehen und ihn in manchen Situationen auch erfüllen können. Vierjährige haben schon den z.T. unbewussten Wunsch nach mehr Autonomie und Selbstbestimmung. Sie müssen ja zunehmend lernen, unabhängiger zu werden. Wenn sie bei den Eltern gelegentlich etwas durchsetzen können, fühlen sie sich schon recht wirkmächtig und das ist eine notwendige Erfahrung auf dem Weg zur Autonomie. Außerdem scheint Ihre Tochter nach einem Jahr mit der Schwester die sogenannte Entthronung durch die Schwester noch nicht verarbeitet zu haben. Auch das ist nicht ungewöhnlich. Viele Kinder brauchen nach drei Jahren als Einzelkind längere Zeit, um das neue Geschwister akzeptieren zu lernen und nicht mehr wütend auf den "Eindringling" zu sein. Vermutlich haben Sie Ihrer Tochter die neue Situation völlig richtig erklärt. Aber die Abwehr Ihrer Tochter beruht auf starken Gefühlen des Verlustes der elterlichen Liebe. Sie wissen, dass das nicht so ist. Aber Ihre Tochter weiß das (unbewusst) nicht. Diese Gefühle sind nicht mit dem verstand auszuräumen. Vermutlich hat Ihre Tochter sich gedacht, dass Sie sich um das neue Kind so intensiv kümmern,  weil es so viel schreit. Da lag es nahe, dass sie das auch probierte, um Ihre Aufmerksamkeit wieder für sich zu haben. Geben Sie Ihrer Tochter Zeit, um sich an die neue Familiensituation zu gewöhnen und vermitteln Sie ihr, dass Ihre Liebe zu ihr unteilbar ist. Zeigen Sie ihr, wie wichtig sie für Sie ist. Sie können ihr auch Aufgaben geben, die ihren Status als "Große" positiv besetzen. In den Kuschelsituationen zeigt Ihre Tochter ihnen, was mit ihr los ist. Sie möchte so gerne die Nähe zu Ihnen, dann aber fürchtet sie, die zu verlieren. Deshalb stößt sie Sie von sich aus weg. Dann ist sie wenigstens aktiv und muss es nicht passiv ertragen wie bei der Geburt der Schwester. Ihre Tochter kann Ihnen sicherlich noch nicht darauf antworten, warum sie sich so verhält. Sie können sie jedoch nach ihren Befürchtungen fragen und ihr dann durch Ihr Verhalten zeigen, dass diese unbegründet sind. Zum Schluss möchte ich Ihnen noch empfehlen, nicht auf Unternehmungen zu verzichten, die Ihnen Freude machen. Das würde bedeuten, dass Sie die Entscheidung darüber (indirekt) Ihrer Tochter überließen. Das kann und sollte sie mit vier Jahren aber noch nicht entscheiden. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes


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