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Liebe Frau Henkes, ich mache mir Sorgen um meinen 29 Monate alten Sohn. Hintergrund dieser Sorge ist eine sehr unsensible Äußerung einer Erzieherin meines Kindes, in der sie (beim Abholen auf dem Gang des Kindergartens!) die Verdachtsdiagnose einer Autismus-Spektrum-Störung gestellt hat. Seitdem befinde ich mich in einem Zustand permanenten Beobachtens, Reflektierens, Hinterfragens – die Situation ist für uns alle im höchsten Maße belastend. Nach eingehender Beobachtung kann ich folgende „Auffälligkeiten“ bei meinem Kind feststellen: 1. Mein Sohn hat großes Interesse an Anhängern (Fahrradanhänger, Autoanhänger). Dies mag zu einem großen Teil daran liegen, dass wir sehr ländlich leben und er beim Spazieren gehen täglich viele Anhänger sieht, die er mir dann immer zeigt. Er hat auch andere Interessen, sodass ich eigentlich kein Problem sehen würde. Allerdings möchte er tatsächlich jedes Mal, wenn wir im Garten sind, seinen Fahrradanhänger im Schuppen ansehen und zeigt diesen auch jedem Besucher. Außerdem erzählt er regelmäßig fremden Menschen (z.B. der Verkäuferin beim Einkaufen) von seinem Fahrradanhänger. Ich habe das Gefühl, dass das auch ein bisschen aus Unsicherheit kommt (weil er nicht weiß, was er sonst sagen soll, wenn die Person ihn anspricht) aber etwas seltsam/ „spleenig“ finde ich es schon. 2. Mein Sohn ist enorm sprechfreudig. Er spricht auf jeden Fall altersangemessen, auch Grammatik kommt immer mehr dazu. Allerdings hat er teilweise noch Echolalie, z.B. sagt er immer „Brauchst du Hilfe?“ wenn er meine Hilfe benötigt. Außerdem antwortet er manchmal statt mit „Ja“ mit der Wiederholung der Frage (z.B. „Willst du Tee trinken?“ – „Tee trinken“). Er kann aber auch normal mit Ja/Nein antworten und versteht, was die Begriffe bedeuten. Zudem findet er es sehr lustig, Zeilen aus Büchern oder Liedern zu rezitieren (er kann viele auswendig) – das macht er aber nicht irgendwie stoisch-mantramäßig, sondern durchaus in Interaktion mit uns. Er produziert zu einem überwiegenden Teil eigene Sätze und spricht nur noch zu einem kleineren Anteil echolalisch. Dennoch wird Echolalie ja als wichtiges Autismus-Symptom gelistet, weshalb ich verunsichert bin. 3. Zusammenhängend mit der Sprechfreude (und was die Erzieherin mit zu ihrer Äußerung veranlasst hat): manchmal kommt es vor, dass mein Kind seine Äußerungen mehrmals hintereinander wiederholt (damit hört er meist direkt auf, sobald er vom Gesprächspartner eine adäquate Reaktion erhalten hat) oder dass er innerhalb eines bestimmten Zeitraumes wiederholt dieselbe Äußerung trifft. Zum Beispiel hat er wohl an einem Vormittag sehr häufig die Bestätigung einholen müssen, dass heute Mama (und nicht Papa) zum Abholen kommt. Oder im Auto hat er mir mehrfach erzählt, dass wir eben durch einen Tunnel gefahren sind. 4. Ein Problem ist aus Sicht der Erzieherin auch das fehlende Interesse an anderen Kindern bzw. die starke Orientierung an erwachsenen Bezugspersonen. Das erlebe ich im Privaten eigentlich nicht so, er beobachtet (z.B. auf dem Spielplatz) genau, was andere Kinder machen, beschreibt dies und möchte oft das Gleiche tun. Ich sehe keine Rückzugstendenz, er freut sich auch, gemeinsam mit anderen z.B. in der Nestschaukel zu schaukeln und gibt anderen Kindern z.B. die Hand, wenn ich ihm dies vorschlage. Nur von alleine kommt bisher eher wenig Interaktion, auch wenn das Interesse grundsätzlich da zu sein scheint. 5. Er verwendet recht wenig „klassische“ Gestik, zum Beispiel schüttelt er nicht den Kopf für Nein oder nickt für Ja, sondern drückt sich eigentlich immer verbal aus. Wenn er etwas nicht möchte, dann drückt er zum Beispiel die Hand weg, statt den Kopf zu schütteln. Winken zur Verabschiedung hat er eine Zeit lang auf Aufforderung gemacht, aktuell möchte er es nur noch selten machen. Zeigen (auf interessante Gegenstände/ Gegenstände außer Reichweite etc.) tut er auf jeden Fall, wobei das zuletzt auch ein bisschen durch die verbale Kommunikation abgelöst wurde. Ansonsten finde ich ihn eigentlich recht unauffällig, er hat keine motorischen Stereotypien, ist flexibel was Routinen etc. anbelangt, hält Blickkontakt, kuschelt gerne etc. Ich suche aber auch schon förmlich nach Auffälligkeiten und vertraue meiner eigenen Wahrnehmung teilweise nicht mehr. (Zur Einordnung: beim Kinderarzt waren wir bereits, dieser sieht zum aktuellen Zeitpunkt keine konkreten Anhaltspunkte für die Verdachtsdiagnose. Einen Termin im SPZ haben wir beantragt, allerdings beträgt die Wartezeit hierfür mindestens ein Jahr.) Wie schätzen Sie die Situation ein? Kann man bei diesem Verhalten in dem Alter schon von klar autistischen Zügen sprechen? Kann ich auch z.B. einen Kinderpsychologen aufsuchen und macht dies überhaupt Sinn (er hat ja mMn eigentlich keinen wirklichen „Leidensdruck“…) Herzlichsten Dank für Ihre Mühe
Guten Tag, ich denke nicht, dass Sie sich Sorgen machen müssen. Autismus ist eine psychiatrische Diagnose, zu der Erzieher/innen nicht die Ausbildung und Kompetenz haben. Ihr Sohn ist in Beziehung zu Ihnen und auch zu anderen Menschen. So interessiert ihn der Fahrradanhänger, aber er möchte ihn auch Besuchern zeigen. Das würde ein autistisches Kind nicht tun. Auch wenn Ihr Sohn sich zur Zeit noch mehr an Erwachsenen als Kindern orientiert, geht er doch in Kontakt und zeigt Interesse an Kindern. Eine gewisse Echolalie ist im Alter Ihres Sohnes normal. Sie hilft Kindern beim Spracherwerb. Ihr Sohn äußert sich nicht sinnfrei sondern in Intraktion mit anderen. Ein Zweieinhalbjähriger darf ruhig mehrmals nachfragen, wenn es im Kiga eine Änderung in der Abhol-Routine gibt. Er mag vielleicht durch diese Information verunsichert gewesen sein. Das alles sind keine Hinweise auf Autismus. Kleine Sprach- oder motorische Eigenheiten sind völlig in Ordnung und kommen bei vielen Kindern vor. Viele verschwinden im Laufe der Entwicklung. Manche bleiben als persönliche Eigenarten oder Vorlieben länger bestehen und gehen später in die Familienchronik ein. Das kennen Sie sicher. Sie können sich auf die Aussage Ihres Kinderarztes verlassen. Wenn es Sie beruhigt, können Sie den Termin im SPZ stehen lassen. Benötigen werden Sie ihn in einem Jahr vermutlich nicht. Lassen Sie Ihrem Sohn die Zeit, die er braucht, um sich auf seine Art und in seinem Tempo zu entwickeln. Das wird ihm schon gelingen. Sie haben ihn und seine Entwicklung gut im Blick (aber bitte nicht zuviel) und fördern ihn darin. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes
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