Frage: Ängste im Vorschulalter

Guten Tag Frau Henkes, mein Sohn ist 6 Jahre alt und wird Ende Juli 7. Momentan besucht er noch den Kindergarten, im Herbst wird er eingeschult. Er ist ein fröhliches, neugieriges Kind. Neue Situationen haben ihn schon immer etwas verunsichert, teilweise geängstigt. So hatte er beispielsweise mit drei Jahren eine mehrwöchige Zeit der Eingewöhnung im Kindergarten, lange hat er dort nur beobachtet. Nach einigen Monaten war er aber sehr gut im Kindergarten angekommen, und ging auch gerne hin. In der Corona Zeit war er viel zu Hause, da ich mit seiner kleines Schwester in Elternzeit war. Ich vermute durch diese Zeit haben sich seine Unsicherheiten in neuen Situationen verstärkt, vor allem zeigt sich dies aber im letzten halben Jahr. Los ging es im Herbst als es in seiner Kindergartengruppe einige personelle Wechsel gab und einige seiner Freunde in die Schule gekommen sind. Die ersten Wochen wollte er nicht mehr in den Kindergarten gehen, der Abschied morgens ist ihm sehr schwer gefallen. Auch während der Kindergartenzeit ist er vermehrt auf die Erzieherinnen zu gegangen und hat immer wieder gesagt, dass er eigentlich nach Hause zu seiner Mama möchte. Auch zu Hause hat er ständig meine Nähe gesucht, wollte beispielsweise nicht mehr dass ich alleine den Müll runter bringe oder in den Keller gehen. Mittlerweile hat sich die Situation im Kindergarten wieder stabilisiert, er fühlt sich hier wieder sehr wohl und geht gerne hin. Auch hier bei uns zu Hause ist es kein Problem mehr ihn mal kurze Zeit alleine zu lassen. Wenn wir unterwegs sind, oder er mit anderen unterwegs ist, zeigen sich aber immer wieder diese Ängste. Wenn wir auf dem Spielplatz sind möchte er beispielsweise immer das ich in Sichtweite bin. Auch wenn er mit anderen Kindern spielt prüft er zwischen drin immer wieder ob ich weiter in Sichtweite bin und ruft sofort nach mir wenn er mich nicht sieht. Auch wenn er beispielsweise mit seinen Großeltern unterwegs ist achtet er immer darauf, dass sie in seiner Nähe sind. Seit einigen Monaten haben wir einen neuen Nachbarsjungen mit dem er sich angefreundet hat. Die ersten Monate hat er sich nicht alleine zu ihm getraut, ich bin immer mit hin gegangen. Mittlerweile traut er sich alleine hin, dann ist es ihm aber sehr wichtig, dass die Mutter des Nachbarsjungen in der Nähe ist. Er scheint immer die Nähe eines vertrauten Erwachsenen zu brauchen um sich wohl zu fühlen. Früher war er aber schon problemlos auch bei anderen Kindern alleine zu Besuch, ohne das die Eltern immer in der Nähe sein mussten. In der Corona Zeit gab es hier natürlich leider wenig Möglichkeit das wieder auszubauen.  Es gibt aber auch Situationen in denen er recht schnell alleine klar kommt. Er macht grade zum Beispiel einen Kurs an der Musikschule bei dem alle paar Wochen die Lehrer wechseln. Beim ersten Termin hat er sich nicht mit hineingetraut, beim zweiten hat der Lehrer vorgeschlagen, dass ich direkt vor der Tür warte, da ging es problemlos. Seit dem klappt es sehr gut das er alleine rein geht. Auch wenn ein neuer Lehrer kommt ist er zwar vorher etwas nervös, dann funktioniert es aber gut. Hier ist aber natürlich auch, genau wie im Kindergarten, immer ein vertrauter Erwachsener, in diesem Fall der Lehrer, in der Nähe.  Ich denke ihm fehlt momentan die Selbstsicherheit Situationen, in denen kein Erwachsener in der Nähe ist um im Notfall einzugreifen, alleine zu regeln. Ich habe ihn beispielsweise gefragt, warum er bei unseren Nachbarn immer möchte, dass die Mutter in der Nähe ist. Er meinte dass er Angst davor hat, sein Freund könnte die beiden in seinem Kinderzimmer einschließen und dann könnte er nicht mehr raus. Wobei er selbst noch nie etwas vergleichbares erlebt hat. Im Kindergarten war mal die Tür im Bad kaputt und einige Kinder konnten kurze Zeit nicht hinaus, er war zwar nicht dabei, aber diese Situation hat in wohl sehr geängstigt.  Ich hoffe ich konnte ihnen einen guten Einblick in die Thematik geben. Wir  fragen uns natürlich, wie wir ihn am besten unterstützen können hier selbstbewusster zu werden und seine Ängste zu überwinden, vor allem auch im Hinblick auf die große Veränderung mit dem Schulstart im Herbst. Vielen Dank für Ihre Antwort und beste Grüße, Julie 

von Julie3 am 04.04.2022, 11:36



Antwort auf: Ängste im Vorschulalter

Guten Tag, Sie beschreiben typische Unsicherheiten von Kindern dieser Altersgruppe. Sechsjährige machen sich bereits viele Gedanken über das Leben und die Welt und suchen eigene Erklärungsmuster. Vor allem haben sie eine rege Phantasietätigkeit. In diesem Alter können Kinder sich schon sehr gut "was wäre wenn"-Situationen vorstellen und sich ausmalen, wie es ihnen damit ergehen würde (wenn der Freund sie einsperren würde). Für viele Situationen haben sie bereits Bewältigungsstrategien, die sich z.T. aus der Imagination speisen (Ich würde den Dieb verjagen..."). Gleichzeitig wissen Sechsjährige, dass sie noch recht schwach und für Vieles - vor allem Schutz und Sicherheit - auf Erwachsene angewiesen sind. Deshalb brauchen sie phasenweise wieder mehr die Anwesenheit Erwachsener. Ihr Sohn benötigt ja nicht mehr unbedingt Sie als Eltern, sondern es können auch weniger vertraute Erwachsene sein, denen er zutraut ihm im Notfall zu helfen. Sie können Ihren Sohn durch diese Phase begleiten, indem sie ihm die notwenige Nähe bieten. Er wird dadurch nicht unselbständiger, sondern wird sie nur in Anspruch nehmen, solange er sie benötigt. Es hilft Ihrem Sohn, wenn Sie mit ihm - in möglichst entspannten - Gesprächen herausfinden, was er befürchtet und vor allem, was er selber schon tun kann. Da wird ihm bestimmt schon Vieles einfallen und Sie können ihn auf weitere Ideen bringen. Wenn Kinder sich als Handelnde verstehen können und das Gefühl haben, eine Situation zu ihren Gunsten verändern zu können, müssen sie sich nicht mehr ohnmächtig angesichts realer oder phantasierter Bedrohungen fühlen. Das mindert Ängste ungemein. Der anstehende Schuleintritt wird Ihren Sohn unbewusst sicher auch schon beschäftigen. Er weiß ja von sich, dass er in neuen Situationen unsicher wird. Helfen Sie ihm auch hier, Ideen zu entwickeln, wie er sich verhalten kann. Vielleicht können Sie auch ganz praktisch mit ihm schon den Schulweg üben oder am Wochenende mal auf den Schulhof gehen und z.B. schauen, was es für Spielgeräte gibt. Wenn Ihr Sohn den Eindruck hat, dass er seine Schule schon ein wenig kennt, reduziert sich das Fremdheitsgefühl. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 05.04.2022