Hashty
SIe fordern Grenzschließungen, horten Lebensmittel und träumen vom Ende der Demokratie: Wie Rechtsradikale versuchen, die Corona-Pandemie für ihre Ziele zu nutzen. Ein Gastbeitrag von Matthias Quent Am Dienstagabend wurde in München eine 45-jährige Münchnerin mit chinesischen Wurzeln von einem Nachbarn angriffen und mit Desinfektionsmittel besprüht. Der Täter schrie laut Polizei das Wort "Corona". Aus der ganzen Welt wird im Zusammenhang mit dem Virus über eine massive Zunahme von antiasiatischen Diskriminierungen berichtet. Das Netz ist voll mit Erfahrungsberichten, auch aus Deutschland, Menschen bringen anderen Ekel und Ablehnung entgegen – daraus spricht vor allem die Unfähigkeit, rational mit der Bedrohung umzugehen. Auch politisch funktioniert der Mechanismus. Die Konstruktion von Sündenböcken ist das wichtigste Werkzeug von reaktionären Radikalen: so, wie zum Beispiel Donald Trumpden Menschen in Europa die Schuld am Coronavirus zuschreibt; so wie Islamistinnen und Islamisten versuchen, Israel die Schuld zu geben. Damit wird über die Ohnmacht im Angesicht einer Naturkatastrophe hinweggetäuscht – und auch über eigene Fehler. Häufig verlaufen diese Sündenbockkonstruktionen rassistisch, wie etwa in den zahlreichen berichteten Fällen, in denen als asiatisch identifizierte Personen diskriminiert und sogar angegriffen werden, weil ein unzulässiger Zusammenhang zwischen Aussehen und viraler Ansteckungsgefahr hergestellt wird. Schon jetzt versuchen Rechtsradikale, die Situation auszunutzen, und fordern zum Beispiel generelle Grenzschließungen. Sie verbinden die Corona-Krise mit der humanistischen Krise an der griechisch-türkischen Grenze und missbrauchen die Pandemie dazu, jede Aufnahme von geflüchteten Menschen in Notsituationen abzulehnen. Ihr Interesse an der Schaffung eines Ausnahmezustands liegt nicht nur in der Sorge um die "Volksgesundheit", von der etwa AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen spricht, begründet: Rechts-außen hofft, politisches Kapital aus der Angst und den besorgniserregenden Aussichten schlagen zu können. Was die Entscheidung des Verfassungsschutzes zur AfD mit der Pandemie zu tun hat Am Donnerstag verkündete das Bundesamt für Verfassungsschutz: Der völkisch-nationalistische "Flügel" der AfD wird als "rechtsextremistisch" eingestuft. Der Rechtsradikalismus und die Corona-Pandemie haben mittelbar mehr miteinander zu tun, als man denkt: Beides sind Gefahren, die frühzeitig einzudämmen sind. Dafür kommt die Beobachtung eines Teils der AfD durch den Verfassungsschutz – mal wieder – zu spät. Schnittstellen zwischen der Corona-Pandemie und der Gesellschaftspathologie des Rechtsradikalismus sind Untergangsdenken, Krisendynamik, Antisemitismus, Rassismus und Verschwörungslegenden. Zutreffend beschrieb Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, anlässlich der Bekanntgabe der Beobachtung des Flügels: Durch Rechtsradikale werden "Untergangszenarien in die Köpfe projiziert, um radikale Maßnahmen zu rechtfertigen. Rechtsextremistische Gruppierungen beschwören den Tag X eines Bürgerkrieges oder versuchen ihn durch Mord und Totschlag herbeizuführen". Es mangelte in den vergangenen Monaten nicht an Beispielen für rechtsterroristische Bestrebungen und Anschläge, die für sich reklamieren, durch massive Gewalt entweder eine imaginäre künftige Katastrophe – beispielsweise "Volkstod" oder "großen Austausch" – verhindern zu wollen oder einen gewalttätigen Umsturz herbeizuführen. Rechtsradikale sind der Überzeugung, die moderne westliche, liberale und industrielle Welt sei durch "Dekadenz", Feminismus, Migration und Vielfalt dem Untergang geweiht. Der vom chinesischen Wuhan auf alle Kontinente verbreitete Covid-19-Erreger dürfte für viele von ihnen ein erneuter Beleg für den vermeintlichen Niedergang des globalisierten Liberalismus sein. Dabei hat bereits im Mittelalter der tödliche Pesterreger große Entfernungen überwunden. Damals wurden Juden verdächtigt, für die Pandemie verantwortlich zu sein: Antijüdische Pogrome waren die Folge. Corona als Gefahr für die Demokratie Aus einem künftigen Zusammenbruch, aus den Ruinen der Demokratie, so die Hoffnung der Rechten, soll eine völkisch-nationalistische Erneuerung hervorgehen. Sie attestieren dem Liberalismus einen Verlust an völkischer Substanz und völkisch-nationalistischen Werten, der bisweilen als Werteverfall, als Kultur- und Identitätsverlust chiffriert wird. Damit können verbreitete Sorgen und rasche soziale Veränderungsdynamiken gleichsam abgerufen wie geschürt werden. Der Thüringer AfD-Chef Höcke, dessen Name bei der Pressekonferenz des Verfassungsschutzes immer wieder genannt wurde, kommentierte im vergangenen Jahr den brennenden Notre-Dame in Paris mit den Worten: "Welches Bild könnte unsere apokalyptische Zeit besser beschreiben?" Der Historiker Robert Owen Paxton definierte die "obsessive Beschäftigung mit Niedergang, Demütigung oder Opferrolle einer Gemeinschaft" als wesenhaft für den Faschismus. Für den Historiker Timothy Snyder war die apokalyptische Propaganda gar ursächlich für den Holocaust: "Wenn sich am Horizont eine Apokalypse abzeichnet, scheint es sinnlos zu sein, auf wissenschaftliche Lösungen zu warten, dann muss natürlich gekämpft werden, dann kommt die Stunde der Blut-und-Boden-Demagogen." Einige Rechtsradikale (und auch Islamisten) wollen den von ihnen diagnostizierten Niedergang der demokratischen Welt akzelerieren, also beschleunigen. Mittel zum Zweck sind Gewalt und Terroranschläge, mit denen Angst und Schrecken verbreitet werden. Der Rechtsradikalismus ist auch in den Parlamenten eine Krisenideologie, die darauf abzielt, gesellschaftliche Krisen zu beschleunigen und auszubeuten – so wie die AfD in Thüringen eine Regierungskrise ausgelöst hat, um die Demokratie zu schwächen. Corona ist eine Gefahr für die Gesundheit und die Wirtschaft – und auch für die Demokratie. Vor allem, weil nicht wenige Rechtsradikale in unseren Parlamenten auf die Gelegenheit warten, den Liberalismus anzugreifen und die Entsolidarisierung zwischen Menschen voranzutreiben. Nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen im Herbst 2019, bei denen etwa ein Viertel der Stimmen an die AfD ging, schrieb Götz Kubitschek, der rechtsradikale Vordenker, dessen Name die Verfassungsschützer heute ebenfalls oft nannten: "Ja, es ist tatsächlich fast alles vorhanden für eine politische Wende in Deutschland: Wähler, Unmut, Konturen eines Programms, Mandatsträger auf allen Ebenen, eine ins Tausend gehende Mitarbeiterschaft, ein sich ausdifferenzierendes Vorfeld, Theorie, Bücher und Zeitschriften, Initiativen, Stiftungen, Begriffe, vorzeigbare Gesichter. Wenn der nächste gewaltige kalte Realitätsschock in die Deutschen fährt, wird es für den Unmut ein sehr viel besser und breiter angelegtes Auffangbecken geben als noch vor vier oder fünf Jahren." Matthias Quent ist Soziologe und Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Rechtsradikalismus, Radikalisierung und Hasskriminalität. In seinem Gastbeitrag analysiert er die Zusammenhänge zwischen Rechtsradikalismus und der Corona-Pandemie.
Der Mann meiner Kollegin ist Chinese - und was der „von Zuhause“ erzählt, sprengt alles! Er sagt, da Mauern Nachbarn die Wohnungstür der Nachbarn zu, weil diese irgendeine Verbindung nach Wuhan haben.... Es gibt Dummheit in allen Formen und Farben!
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