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Margot Friedländer ist tot

Margot Friedländer ist tot

Nurmalsoeben

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Sie war wohl DIE Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende, die den meisten Menschen in Deutschland ein Begriff war. Heute ist sie im Alter von 103 Jahren in Berlin gestorben. Das Kulturmagazi ttt hat ihre unfassbare Lebensgeschichte kurz so zusammengefasst: "Im Winter 1943 veränderte sich ihr Leben für immer. Die gerade 22-jährige Margot Bendheim war im Begriff, mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus Hitler-Deutschland zu fliehen. Zu Hause in Berlin-Kreuzberg wollte sie ihre Familie treffen. Doch ihre Mutter und ihr Bruder wurden vorher verhaftet und nach Auschwitz gebracht, wo sie ermordet wurden. Margot stand völlig allein da und tauchte für ein Jahr in Berlin unter. 1944 wurde auch sie verhaftet und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie überlebte. Nach der Befreiung durch die Rote Armee im Jahr 1945 wanderte sie gemeinsam mit ihrem Mann in die USA aus. Ihn hatte sie in Theresienstadt kennengelernt und dort auch geheiratet. 1997 starb ihr Mann, nach mehr als fünf Jahrzehnten Ehe, was Margot in eine tiefe Krise stürzte. Das jüdische Kulturzentrum, bei dem ihr Mann zuletzt angestellt war, lud sie zu einem Schreibworkshop ein, der ihrem Leben eine neue Richtung gab. 2001 begann sie im Rahmen des Workshops „Write your memories“, ihre Kindheitserinnerungen niederzuschreiben, die sie ihr Leben lang unterdrückte. Der deutsche Filmemacher Thomas Halaczinsky wurde auf sie aufmerksam und drehte den Dokumentarfilm „Don't call it Heimweh“. Auf Einladung des Berliner Senats kehrte sie 2003 zum ersten Mal nach fast sechs Jahrzehnten zurück. Mit 88 Jahren entschied sich Friedländer, Berlin erneut eine Chance zu geben und kehrte zurück. Sie begann ein Leben, geprägt von öffentlichen Auftritten, bei denen sie nie vergaß zu erwähnen, dass viele Deutsche sich an den Verbrechen beteiligt hatten, aber es auch Menschen gab, die ihr Leben riskierten, um ihr zu helfen." Friedländers Appell an uns alle, der unvergessen bleiben wird, lautete: "Seid Menschen!" Machen Sie's gut, Frau Friedländer. Möge Ihnen die Erde leicht sein.  


misses-cat

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Antwort auf Beitrag von Nurmalsoeben

Ich hoffe sie hat alle Seelen  die ihr wichtig wären wiedergefunden bzw sie haben auf sie gewartet. Ihre Eltern, ihr kleiner Bruder, ihr Mann, alle die ihr voraus gegangen sind.   Sie hat so wahnsinnig wertvolle Arbeit geleistet, was sie in den letzten 15 Jahren ihres Lebens uns gegeben und hinterlassen hat sollte uns immer begleiten


Ally79

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Antwort auf Beitrag von misses-cat

Was für eine beeindruckende Frau. Ihre Rede beim deutschen Fernsehpreis hat mich sehr berührt. 


Kerstin123

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Antwort auf Beitrag von misses-cat

"Sie hat so wahnsinnig wertvolle Arbeit geleistet, was sie in den letzten 15 Jahren ihres Lebens uns gegeben und hinterlassen hat sollte uns immer begleiten" Dem kann ich nur zustimmen, sie war die Stimme der Versöhnung  Zitat Margot Friedländer  "Für meine Botschaft brauche ich nicht viele Worte. Es gibt kein christliches, jüdische oder muslimisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. Wir sind alle gleich. Seid Menschen."


Lauch1

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Und was sind jetzt konkret Deine Konsequenzen daraus für die ESC Basel für den Parteitag der Deutschen Linken?


Nurmalsoeben

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Antwort auf Beitrag von Lauch1

Ich habe diesen Nachruf hier eingestellt, um eine Frau zu würdigen, die ihre Mission zwar eindringlich, aber nie wütend und poltrig, sondern mit einer bewundernswerten Großherzigkeit und Menschenfreundlichkeit verfolgt hat. Ich möchte daher diesen Thread freihalten von den forumsüblichen Provokationen und Zankereien und bitte dich, das zu respektieren. Du kannst aber gern einen Thread zum Thema "persönliches Engagement gegen Antisemitismus" erstellen und damit eine eigene Diskussion anstoßen.


Lauch1

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Danke habe ich (im Gegensatz zu anderen die auffallend still waren) oft genug, zuletzt anlässlich der Ermordung der Familie Bibas. Bitte respektiere Du dass ich Gratismut immer wieder aufzeigen werde und mir sicher nicht von Dir oder sonst wem den Mund verbieten lasse. 


mariaT

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Dank dir! Auch für deine (vergebliche) Mühe hier.


Lauch1

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Antwort auf Beitrag von Nurmalsoeben

Und gerne stelle ich Margot Friedländers eigene Worte ein, ihre Traurigkeit über die immer schlimmer werdende Situation von Juden weltweit:   "WDR: Wir erleben gerade wieder schlimme Dinge: Davidsterne werden an Häuser geschmiert, israelische Flaggen heruntergerissen und Juden trauen sich nicht mehr auf die Straße. Wie fühlen Sie sich damit? Friedländer: Menschen müssen respektiert werden - ganz egal, welche Religion sie haben. Denn ich sage immer: Wir sind alle gleich. Wenn wir geboren werden, ist es ganz egal, ob von einer jüdischen Frau oder von einer mit einer anderen Religion. Das Kind ist ernährt worden von der Mutter und weiß von gar nichts. Es hat keine Religion. Es ist ein Mensch. Seid Menschen! Respektiert Menschen! WDR: Erschrecken Sie die Dinge, die gerade wieder passieren? Friedländer: Das ist ganz entsetzlich. Ich hätte nie gedacht, dass das möglich ist. Das ist seit drei, vier Jahren wieder so.  WDR: Warum ist das so? Friedländer: Das weiß ich nicht. Man hätte von Anfang an mehr erklären müssen, was damals gewesen ist. So hat es damals auch angefangen. Dass die jungen Deutschen sich so schnell anstecken können von den anderen und aufgehetzt werden. Statt deutlich zu sagen, dass wir das nicht wollen. Weil wenn man hier lebt, muss man sich auch dem Sinn der Gesellschaft und was Deutschland will hier anpassen. Diese Migration, die gekommen ist, da sind welche schon als Kleinkinder mit Antisemitismus aufgewachsen und aufgehetzt worden. Ich bin nicht überrascht. Nur enttäuscht und traurig. Ich hasse nicht. Aber ich bin traurig." https://www1.wdr.de/nachrichten/margot-friedlaender-102.html    


Zwergenalarm

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Ich finde es schlimm, dass uns die Zeitzeugen weggestorben sind, ohne, dass es zu einer gescheiten und vollumfassenden Aufarbeitung gekommen ist.  Alle schreien heute zwar auf (berechtigt), wenn es zu Verfolgung und Ausgrenzung kommt, aber kaum jemand kümmert sich um den geschichtlichen Vergleich, warum es damals gesellschaftlich und politisch überhaupt erst soweit kommen konnte.  Interessant wäre es auch gewesen, die damaligen Täter und Mitläufer zu Wort kommen zu lassen, warum ihre Köpfe in die eine und nicht in die andere Richtung gewandert sind. Insofern hatte eine Margot Friedländer wahnsinnig viel zu sagen, aber auch viele andere, die einfach nie gefragt wurden. Unsere Groß- und Urgroßeltern zum Beispiel. Deren Geschichte und Handeln wird gerne aus heutiger Sicht interpretiert, aber selten in den damaligen Kontext gesetzt.  


Sille74

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Wobei allerdings unsere Großeltern bzw. bei den Jüngeren inzwischen Urgroßeltern oft nur sehr ungern über diese Zeit gesprochen haben, auch wenn sie "nur" Mitläufer und nicht wirklich aktive Täter waren. Meine eine, an sich sehr kommunikative Oma wurde bei dem Thema ziemlich zugeknöpft und meine andere Oma, eine für ihre Generation normalerweise sehr intellektuelle Frau, war bei dem Thema auch nicht sehr mitteilsam und v.a. zidmluch unreflektiert.


Zwergenalarm

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Antwort auf Beitrag von Sille74

Interfamiliär ist das sicher noch einmal ein eigenes Thema. Und keiner gibt gern zu, dass er völlig falsch gelegen ist. War bei meinen Großeltern nicht anders. Ich meine aber, dass in den wenigen Dokus, in denen die Täterseite (fast wichtiger wären m.E. sogar die Mitläufer) zu Wort kommt, die Fragen mit soviel Anklage gestellt werden (oder wurden), dass eine ehrliche Reflexion des Interviewten über das ´warum´ beinahe unmöglich war, ohne dass er sich völlig nackich macht. Und eigentlich wäre es für eine künftige Vermeidung schon ziemlich wichtig zu wissen, was völlig normale Menschen, wie eben unsere Großeltern, zum "Glauben" geführt hat. Diese Chance haben wir verpasst. Und irgendwie fragt auch heute keiner objektiv danach.


Caot

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@zwergenalarm Eigentlich ist das "wie der Glaube" entsteht, gut erforscht. Es ist langsam, schleichend und immer auf Angst aufbauend. Und letzten Endes ein psychologischer Schutzmechanismus, dass der Betroffene irgendwie eigene Schuld daran trägt. Dazu gibt es wissenschaftliche Ausarbeitungen.  Und auf meine Großeltern herunter gebrochen, gab es das nicht in ihrer Welt. Diese Welt bestand aus dem Elternhaus, der schweren Arbeit, aus dem Dorf. Es gab 4 Jahre Grundschule und ein Radio.    Spannend ist, das "Aufbegehren" nach wie vor schwer ist. Zu sagen das etwas nicht richtig ist, und zwar alleine, ist auch in unserer aufgeklärten Zeit problematisch, wenn man Angst vor Konsequenzen hat. Die meisten Menschen sind im realen Leben nicht mutig. 


Zwergenalarm

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Antwort auf Beitrag von Caot

Erforscht ja, aber halt auf einer wissenschaftlichen Ebene. Das erreicht dich, mich und viele andere, aber ganz viele eben auch nicht, die dann einfach als "dumm" abgestempelt werden. Mir fehlt in der Aufarbeitung die Komponente des bildungstechnisch einfachen Gesellschaftsteils, der viel zu sehr damit beschäftigt ist sein eigenes "Werkel" am Laufen zu halten, als sich darüber hinaus noch mit dem großen Ganzen beschäftigen zu können. Umso mehr, wenn man das Gefühl hat, sowieso nichts bewegen zu können und die Politik mehr mit sich selbst beschäftigt als mit sonst was scheint. Das war damals so, und zeichnet sich heute auch wieder ab. Das ist ein unguter Nährboden. Und ich stimme dir vollkommen zu, dass "Aufbegehren", vor allem, wenn man allein mit seinen Eindrücken ist, echt schwierig ist. Und das kann man vermutlich auch nicht lernen. Dazu ist man gemacht, oder eben nicht. Zutiefst menschlich. Ich kann Lauchs Definition von "Gratismut" gut nachvollziehen. In der Gruppe mutig sein, und mit dem Zuhören aufhören, ist echt leicht. Schwierig ist es, sein eigenes Bauchgefühl zu verteidigen, weil vielleicht ist man doch selbst der "Geisterfahrer" und nicht alle anderen.


Nurmalsoeben

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Du meinst "innerfamiliär", nicht "interfamiliär" oder? Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass gerade Mitläufertum im Nationalsozialismus "schlecht untersucht" oder auch "hinterfragt" wäre, wissenschaftlich sowieso nicht. Es war ja z. B. auch Gegenstand des Sozialexperiments, das später in dem Buch "Die Welle" beschrieben wurde. Die Grundprinzipien von autoritären Ideologien sind im Prinzip immer gleich, Manipulation der öffentlichen Meinung und Zwang/Angstmache. Und auf privater und gesellschaftlicher Ebene war die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, gerade auch des Mitläufertums, zwischen den Generationen allerdings sehr konfliktreich. Daraus ist ja nicht zuletzt die 68er-Bewegung entstanden. Ich frage mich aber auch, wie eine objektive Nachfrage auf privater/gesellschaftlicher Ebene funktionieren soll, wenn die ältere Generation Scham empfindet und mit Verdrängung arbeitet und bei der jüngeren Generation Bestürzung und Abscheu über die Folgen vorherrschen. Ich weiß auch nicht, ob man die offenen Konflikte, die daraus entstanden sind, als "verpasste Chance" sehen sollte. Vieles wäre ganz ohne Konflikt möglicherweise gar nicht zur Sprache gekommen. In meiner eigenen Familie war in der Urgroßeltern- und Großelterngeneration als Boden für den Nationalsozialismus auf jeden Fall ein latenter Rassismus vorhanden, den z. B. meine Großtante lebenslang nicht abgelegt hat. Von latentem Antisemitismus ist mir nichts bekannt, aber in meiner Familie herrschte - wie bei vermutlich vielen Familien dieser Generation - auch ein großer Konformitätsdruck oder sogar -wunsch. Sich gesellschaftlichen oder politischen Standards entgegenzustellen, war da als Tendenz nicht angelegt. Zumal gesellschaftliches Ansehen eine große Rolle spielte. Viel Angstmache hat es da nicht gebraucht, um freiwillig mitzumachen.


Zwergenalarm

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Antwort auf Beitrag von Nurmalsoeben

Und du siehst keinen Zusammenhang zwischen politischer Entwicklung, gesellschaftlicher Probleme und Geburt einer Diktatur? Die Welle ist ein schlechter Vergleich, denn die setzt den "Führer" ja bereits voraus. Die Frage müsste eher lauten, warum die Jugendlichen so schnell so bereitwillig mitgemacht haben. Warum gab es nicht mehr, die nicht mitgemacht haben? Liegt das in der Natur des Menschen generell, oder geht dem Ganzen gesellschaftlich etwas voraus? Wie ich schon schrieb......wenn ich als Frager Scham und Verderben bereits in die Frage lege, wie will ich da eine echte Antwort erhalten? Ich habe viel gelesen und gesehen zu dem Thema, aber wenig Objektives. Aber ich nehme Tipps gerne an. 


Nurmalsoeben

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Diktaturen entstehen natürlich auf dem Boden gesellschaftlicher Unzufriedenheit. Zufriedene gesellschaftliche Mehrheiten haben keinen Grund, autoritäre Führungsfiguren zu wählen. Unzufriedenheit kann aber auch durch Demagogie geschürt werden, und eine (sehr wichtige) Ursache für den Aufstieg rechtsnationaler Tendenzen in Europa und der Welt sehe ich in der demagogischen Eskalation von latenten Ängsten, Frustrationen und Unzufriedenheiten. Das ist eine psychologische Taktik, die z. B. gezielt von Russland eingesetzt wird, um westliche Gesellschaften zu destabilisieren. Neben Unzufriedenheit, Ängsten, Frust und Wut arbeiten faschistische Bewegungen aber auch mit dem Wunsch nach Zugehörigkeit. Wer wenig hat, worauf er sonst stolz sein kann, findet z. B. leichter Trost in Nationalstolz. Oder findet Sicherheit in einem strikten Regelwerk, das ihn zwar zu regelgetreuem Verhalten zwingt, ihm im Gegenzug aber zusichert, Teil von etwas Größerem zu sein. Gerade das (also wie ausgeprägt der Wunsch nach Zugehörigkeit ist und dass man dafür bereit ist, z. B. moralische Prinzipien über Bord zu werfen) hat auch "Die Welle" exemplarisch gezeigt. Der von mir vorher beschriebene Konformismus ist sicher auch eine Voraussetzung dafür.


Nurmalsoeben

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"Wie ich schon schrieb......wenn ich als Frager Scham und Verderben bereits in die Frage lege, wie will ich da eine echte Antwort erhalten?" Meinst du, es war notwendig, das in die Frage zu legen? Natürlich wurden auch Vorwürfe gemacht, aber Scham und Schuld waren als Gefühle bei vielen (vor allem bei den Nichtüberzeugten) ohnehin vorhanden. Vor allem, als die ersten Zahlen und die Bilder aus den befreiten KZs bekannt wurden. Mir ist nicht ganz klar, wie man das mit einer einfühlsameren Fragetechnik hätte umgehen können. Und Scham ist ein sehr starkes Gefühl, das die meisten verstummen lässt.


Zwergenalarm

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Antwort auf Beitrag von Nurmalsoeben

Und hast du das Gefühl, dass heute die Frage nach dem "Warum" objektiv gestellt wird? Jetzt, wo Täter und Opfer bereits verstorben sind?  


Nurmalsoeben

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Antwort auf Beitrag von Zwergenalarm

Ich finde die Frage widersprüchlich, ob ich aus meinem Gefühl heraus eine Frage als "objektiv gestellt" bewerte. Das kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht objektiv bin. Dass ich nicht den Eindruck habe, dass das "Warum" mit der Großeltern- und Urgroßeltern-Generation zu wenig thematisiert wurde, habe ich schon zum Ausdruck gebracht. Mir persönlich hilft es auf jeden Fall mehr, die Perspektive der Opfer des Nationalsozialismus kennenzulernen, weil ich die aus meiner Familie aus Mitläufern und Nazis nicht kenne. Mit der Vergangenheit meiner Familie habe ich mich schon auseinandergesetzt, aber nicht "objektiv", sondern wütend - mit meiner Großtante habe ich mich auch gestritten. Aber vielleicht erklärst du noch mal genauer, was du meinst? Oder, noch besser, was dein eigenes Gefühl dazu ist?  


Zwergenalarm

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Antwort auf Beitrag von Nurmalsoeben

Stell dir vor, man bewertet die Anfänge losgelöst vom Grauen, dass dann kam. Was hat ganz normale Leute dazu gebracht weit vorher mitzugehen? Nehmen wir einen Stauffenberg. Dem kam die Idee zum Widerstand auch erst in der Mitte des Kriegs. Vorher hat er bis zu einem gewissen Grad sehr wohl an "sein" Deutschland geglaubt. Oder auch eine Sophie Scholl war anfangs ein Jungmädel, das es immerhin bis zur Scharführerin gebracht hat. Also muß es vorher was gegeben haben, das selbst für behirnte Menschen nicht sichtbar war. Aus meiner Sicht müsste man, um die Anfänge zu verstehen, die späteren Verbrechen ausblenden. Ich finde man müsste die Anfänge im damaligen Kontext bewerten und nicht aus heutiger Sicht interpretieren. Dann versteht man vielleicht auch besser, warum sich ein großer Teil der Bevölkerung mitreißen ließ. In dem Zusammenhang empfinde ich die Darstellungen von Sönke Neitzel, oder auch Heike Görtemaker noch am objektivsten, wobei Neitzel doch immer wieder angegriffen wurde. Auch diverse Aufsätze von Franz Stefan Gady.  


Caot

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Aber auch dazu gibt es Untersuchungen, was erst einmal ganz normale Leute dazu gebracht hat mitzugehen. Propaganda, wirtschaftliche Not, Suche nach einfachen Lösungen, auch der erste Weltkrieg und deren Schmach.  Meine Großmutter gab immer die wirtschaftlich schweren Zeiten an. Der hat uns Arbeit gebracht, erklärte sie immer.


Zwergenalarm

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Antwort auf Beitrag von Caot

Ja vielleicht liege ich auch falsch. Spannend finde ich diesen Geschichtsteil jedenfalls weiterhin.


Sille74

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Aber wenn es schon innerhalb der Familie so schwer ist, offen zu reden, dann ist es doch auch nicht verwunderlich, dass kaum einer öffentlich darüber reden wollte. Ich glaube auch, dass viele im Nachhinein gar nicht so recht wussten, was sie an der ganzen Sache so fasziniert hat (so habe ich damals gefragt - und das finde ich vergleichsweise neutral und nicht übermäßig vorwurfsvoll -: "was hat Dich fasziniert"?).  Meine Großmütter (meine Großväter habe ich nicht kennenlernen dürfen) waren sehr unterschiedliche Frauen. Die eine war schon fast 30 bei der Machtübernahme, hat den 1. Weltkrieg schon bewusst erlebt und auch die Niederlage. Sie hat somit auch die Instabilität und die Wirren der Weimarer Republik sehr bewusst wahrgenommen und erlebt, erzählte von Schießereien in der Stadt. Es fiel mal der Satz, dass "endlich Ruhe" war, nachdem die Nationalsozialisten das Ruder übernommen haben. Sie fand als sportbegeisterte Person aber auch die olympischen Spiele toll, dass die nach Berlin geholt wurden, sie hat diese besucht (und auch ich muss sagen, die Bilder, die sie davon hatte, sind klasse, trotz des ganzen Nazi-Pomps oder vielleicht manchmal sogar gerade deswegen, inszenieren konnten die ja). Oder die Reisen, die über die Nazi-Gewerkschaft, nicht KdF, organisiert wurden ... Die andere war noch eine sehr junge Frau, schwärmte auch bei uns noch vom BDM oder vom Erlebnis, als "der Führer" mal in die Stadt kam ... Interessant ist, dass es in dieser Familie auch immer wieder kleineren Widerstand gab. So weigerte sich meine Urgroßmutter bis zum Schluss standhaft, mit "Heil H..." zu grüßen. Meine Oma selbst hatte Kontakt mit einer jüdischen Bekannten bis zu deren Deportation ... , was auf großes Missfallen der örtlichen Nazis stieß. Sie war nicht mit ihr befreundet, hat sie aber auch in der Öffentlichkeit noch gegrüßt, sich mit ihr unterhalten, als dies längst nicht mehr erwünscht war. Dazu, das große Ganze zu hinterfragen, wenn doch schon ein Unbehagen da war, hat all dies - für mich schwer nachvollziehbar - aber nicht geführt, geschweige denn, sich für die jüdische Familie einzusetzen oder zu größerem, aktiven Widerstand (was ich mir aber auch nicht anmaßen würde, zu sagen, dass das hätte passieren müssen ... aber wenigstens ein Hinterfragen ...) Dass die jetzt arg eingeschüchtert gewesen wären oder so, den Eindruck hatte ich bei beiden Omas nicht. Mir scheint es eher so, als ob die Nazis durch ihre Allgegenwart und durchaus als schön oder sogar großartig erlebten Angebote und Aktionen, schon auch im Sinne von "wir sind wieder wer!" die Menschen eingefangen haben und dadurch die durchaus auch wahrgenommenen, schlimmen Seiten in drn Hintergfund getreten sind. Aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar, aber ich erlaube mir da nicht, zu urteilen. Ich weiß einfach nicht, wie ich mich in der Situation verhalten hätte. 


Silvia3

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Antwort auf Beitrag von Nurmalsoeben

Als ich den Auftritt von Margot Friedländer bei der Feier anlässlich des 80. Jahrestags der Kriegsendes sah, schoss es mir spontan durch den Kopf, dass diese Frau wohl nicht sterben kann, weil sie ihre Geschichte noch so vielen Menschen erzählen muss. Am nächsten Tag war sie nicht mehr da. Ein unglaublicher Verlust für Deutschland. Sie hat auch in hohem Alter noch mit einer unglaublichen geistigen Klarheit über die fürchterlichen Ereignisse während des 2. Weltkriegs gesprochen. Ihre menschliche Wärme, ihre Fähigkeit zu vergeben und ihr unermüdlicher Einsatz gegen das Vergessen und für mehr Menschlichkeit haben diese kleine Frau zu einer ganz großen Persönlichkeit gemacht.