Sehr geehrter Herr Dr. Posth,
meine Tochter ist knappe 9 M. alt. Ich betreue sie rundum; sie schläft neben uns, ich lasse sie niemals schreien, ich trage, spiele, stille (nicht mehr voll) und bin immer an ihrer Seite. Meine Mutter sieht sie alle 1-2 Tage für ca. 1h, meist mit mir zusammen. Was mich sehr verwirrt, ist, dass sie seit ein paar Wochen sofort zu meiner Mutter will, wenn sie sie sieht. In Stresssituationen (viele Fremde, Müdigkeit, Hunger) wendet sie sich normalerweise an mich, aber wenn meine Mutter auch anwesend ist, an sie, obwohl ich da bin. Sie schreit auch, wenn meine Mutter geht. Das hat sie bei mir noch nie getan. Sie ist so auf meine Mutter fixiert, dass ich (und mein Mann) fast Luft sind, wenn sie in der Nähe ist. Gefremdelt hat sie nur kurz und mild, mit 4,5 Monaten.
Bin ich nicht die Hauptbezugsperson, ist unsere Bindung nicht sicher? Kann die Phase der Anhänglichkeit (an mich) noch kommen? Und was kann ich noch für unsere Bindung tun?
Vielen Dank im Voraus!
von
Tina77
am 20.08.2012, 07:44
Antwort auf:
Bindung
Hallo, wenn eine Großmutter so dicht mit in der Familie drin ist und sich auch liebevoll um ihr Enkelkind kümmert, dann erwirbt sie den Status einer ganz wichtigen Ersatzbezugsperson. Das haben viele Völker längst erkannt und daraus das Großelternerziehungsprinzip gemacht. Das heißt, die Eltern gehen zur Arbeit aufs Feld oder in die Städte, und die Großeltern übernehmen die Pflege und Erziehung des Kindes. Solche Modelle sind aber eher aus der Not geboren, als reine Überzeugungsprodukte. Aus dem Prinzip leitet sich auch der Spruch ab von einem Dorf, das ein Kind zur Erziehung braucht. So etwas darf man nicht idealisieren, es sind Notlösungen, die u.U. den Bindungsprozess auch gefährden können. Aber ein beliebte Großmutter zu Hause ist eine richtige Form der Bindungserweiterung. Der etwas ältere Säugling liebt diese Möglichkeit, weil sie das Loslösungsprinzip einläutet oder sogar vorwegnimmt. Das heißt, der Säugling empfindet sein Vorgehen als ein Schritt in die Selbstständigkeit und den hält er hoch, sobald er kann. Als Mutter darf man sich davon nicht gekränkt fühlen. Sie werden den Wert dieser Ersatzbindung noch sehr zu schätzen lernen. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 22.08.2012