Frage: Ein Update

Liebe Katrin, Ich hatte dir Mitte Februar geschrieben ("Wie Bindung intensivieren?"). Es ging darum, eine engere Bindung zu meinem damals wenige Wochen alten Herzkind aufzubauen, die wegen dem krankenhauslastigen Lebensstart und auch wegen unserer familiären Situation (2 unter 2 - naturgemäß nicht endlos Zeit für das einzelne Kind) schwierig war. Du hast mir sehr wertvolle Tipps, sowie das Gefühl, mich und meine Sorgen ernst zu nehmen, gegeben. Dafür herzlichen Dank, es hat mir wirklich weitergeholfen. Du hast deiner Antwort hinzugefügt, dass ich gerne Rückfragen stellen oder berichten darf. Nun melde ich mich mit einem Update. Es geht uns im Großen und Ganzen gut. Die Kleine Maus, inzwischen 5 Monate alt, entwickelt sich gut und die Kardiologen sind sehr zufrieden. Aus medizinischer Sicht haben wir zwar noch einen Weg vor uns, der noch mehrmalige Eingriffe erforderlich macht, aber die Ärzte gehen davon aus, dass unsere Tochter ein völlig normales Leben führen wird, ohne nennenswerte Einschränkungen. Stillen war lang schwierig, ich habe es unterschätzt, wie schwer es sein kann, ein "Sondenkind" vollstillen zu wollen. Wir wurden ohne Sonde entlassen, zunächst viel Fläschchen und Pumpen, aber im Alter von ca 3,5 Monaten war es dann soweit: die Pumpe ging zurück und ich konnte sie völlig normal stillen. Nächtliches wecken war nicht mehr nötig, ich konnte sie von da an einfach nach Bedarf stillen. Mit der Zeit konnte auch ich lernen, ihr da zu vertrauen. Dass sie von sich aus genug trinkt, um weiterhin zuzunehmen. Inzwischen klappt das super. Der Weg dort hin war schwierig und ich bin froh, dass ich eine tolle Hebamme hatte, die mich lange unterstützt und mich als ich aufgeben wollte, zum weitermachen motiviert hat. In meinem ersten Beutrag hatte ich das fehlende Nähebedürfnis meiner Tochter thematisiert. Inzwischen zeigt sie sehr deutlich, dass sie Nähe möchte. Sie ist bisher nicht auf mich fixiert, sondern freut sich eigentlich über jeden, der sie bespaßt. Trage akzeptiert sie Inzwischen (wenn zu Beginn auch mal motzend), aber z.B. auf meinem Oberkörper schlafen mag sie halt einfach nicht. Da ich mittlerweile aber sehe, dass sie meine Nähe durchaus genießt, sehe ich nun auch die positiven Aspekte, die es mit sich bringt, wenn das Kind nicht auf mir schlafen will ;-) also sie schläft sehr gerne auf meinem Arm, am liebsten mit meiner Hand an ihrem Köpfchen/Wange. Sie mag eher andere Positionen als meine Große und ist insgesamt weniger vehement in ihrer art, das einzufordern, aber das ist ja völlig ok - sie soll ja keine Kopie ihrer großen Schwester sein. Ich sehe inzwischen, dass sie Nähe braucht und genießt. Sie ist ein richtiger Sonnenschein und wir sind unglaublich froh, dass es ihr trotz allem so gut geht. Sie ist normal entwickelt, eine sehr aufmerksame Beobachterin, schon erstaunlich geschickt mit ihren Händchen, lacht und erzählt viel. Wie du ja auch geschrieben hast, war ich auch bei der Osteopathie mit ihr. Blockaden liegen soweit wohl keine vor, die Kleine hat die Behandlungen jeweils sehr genossen. Das klingt jetzt alles prima. Was nun jedoch schwierig ist: ich war bis zur Geburt DIE Bezugsperson für unsere "große" Tochter. Als die Kleine zur Welt kam, war sie 18,5 Monate, in wenigen Tagen wird sie 2 Jahre alt. Nun habe ich immer wieder ein bisschen Angst, sie zu "verlieren". Natürlich ist es gut, dass sie Inzwischen ein viel engeres Verhältnis zu meinem Mann hat - die beiden mussten ja 3 Wochen ohne mich zu Hause klar kommen als wir im KH waren). Allerdings fehlt uns die Exklusiv-Zeit. Manchmal habe ich das Gefühl, bei der Großen tagsüber nur Dinge zu erledigen (anziehen, wickeln, essen machen, schlafen legen usw.). Natürlich rede ich so viel wie möglich mit ihr, versuche möglichst viel mit ihr gemeinsam zu machen und auf sie einzugehen, mit ihr zu spielen, ihr Dinge zu erklären, mit ihr zu singen usw. Aber letztendlich hab ich den Eindruck, dass ich sie dauernd vertrösten muss. Oft kann ich sie nicht gerade dann auf den Arm nehmen, wenn sie es gerade möchte. Ich habe oft nicht die Zeit, sie Dinge, die sie gerne selber machen will, machen zu lassen (z.B. anziehen), ich habe meistens nicht die Möglichkeit, ihr nach dem aufwachen aus dem Mittagschlaf eine halbe Stunde exklusive Kuschelzeit einzuräumen, die sie aber eigentlich braucht, um "gut" wieder in den Tag zu finden. Das kann vereinzelt mal klappen, aber meistens kann die Kleine halt nicht einfach so lange auf mich verzichten. Im Gegenteil: die will immer mehr auf dem Arm sein oder aktiv beschäftigt werden (worüber ich mich ja sehr freue ubd was ich ihr auch geben will). Abends und Am Wochenende wenn mein Mann da ist, kümmert er sich vorrangig um die Große. Die Kleine nimmt er nur mal kurz, wenn ich mal was im Haushalt zu erledigen habe. Er war auch noch nie mal eine runde mit ihr im Kinderwagen fahren. Die Kleine ist immer bei mir. Daher habe ich nur begrenzte Möglichkeiten, auf die Große einzugehen. Manchmal verlangt sie trotzdem explizit nach mir, heute Abend wollte sie jedoch zu meinem Mann auf den Arm und sagte, dass ich xxx (die Kleine) nehmen soll. Das ist schon irgendwie ein seltsames Gefühl. Bzw. hinterlässt bei mir eben den Eindruck, dass sie sich bei Papa ubd Oma inzwischen besser aufgehoben fühlt als bei mir, weil die wenn sie Zeit mit ihr verbringen, ihr die ganze Aufmerksamkeit schenken und voll auf sie eingehen können. Ich kann das leider nicht. Sind vermutlich Luxus-Probleme, hauptsächlich sollte (und bin!!) Ich froh, dass sich vieles so positiv entwickelt hat und unsere Kleine bei einem eigentlich eher schweren Herzfehler nochmal unheimlich Glück im Unglück hatte. Dennoch beschäftigt mich das. Und ich merke, dass es mich empfindlich macht. Obwohl ich ja weiß, dass man nicht jedes Wort eines Kleinkindes auf die Goldwaage legen sollte und sie sich manchmal innerhalb von Sekunden unentscheiden kann und es auch normal ist, wenn sie selbst nicht wissen, was sie gerade wollen, bin ich echt schnell getroffen, wenn sie mal lieber zu Papa oder Oma will als zu mir. Sorry für den langen Text. Meine Sorge, dass die Kleine keine Nähe will, hat sich eigentlich nach und nach gelegt. Sie zeigt das nicht so offensichtlich, wie ich das von der Großen Schwester kannte, aber inzwischen ist es dennoch sehr deutlich wahrnehmbar. An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank für deine tolle Antwort

von Maluna am 06.06.2023, 23:48



Antwort auf: Ein Update

Liebe Malina, danke für deine Geduld auf meine Antwort. Aber jetzt :). Ich bedanke mich herzlich für deine Rückmeldung und freue mich wirklich sehr, dass die Bindung und Beziehung zu deiner jüngeren Tochter so sehr an Stabilität gewonnen hat :). Und selbstverständlich auch die wunderbare Tatsache, dass die gesundheitliche Situation so zuversichtlich ist! Und ja, auch deine beschriebene Ambivalenz, auch deiner älteren Tochter ( natürlich!) gerecht werden zu wollen, kann ich sehr gut verstehen. Vor allem möchte ich dir sagen, dass deine Frage bzw., dein Befinden bitte kein "Luxusproblem" darstellt, sondern eine sehr essentielle Überlegung in Bezug auf die Geschwistersituation und das Eltersein/ die eigene Individualität ist. Gerade in Bezug auf ein chronisch krankes Kind und die Rolle des Geschwisterkindes, ist ein Feingefühl wichtig. Kinder spüren sehr schnell, wann Eltern in welchen Lebensituationen belastbar sind und wann sie sich mit ihren Bedürfnissen zurückhalten oder, je nach Alter des Kindes, sogar einen stärkenden/ tröstenden Anteil für die Eltern übernehmen. Du beschreibst euren Alltag sehr plastisch und wie eure Rollenverteilung in Bezug auf die Kinderbegleitung sich verteilt. Deine Tochter befindet sich vermutlich derzeit in der Autonomiephase der sog. ICH Entwicklung. D.h. , deine Tochter lernt derzeit ihre eigene Wirksamkeit in Bezug auf ihre Bedürfnisäusserung zu erkunden. D.h., sie benennt ihren klaren Willen und erfährt darauf eine Reaktion. Daran kann eure Tochter ihre Selbstwirksamkeit messen und natürlich auch die Grenzen und Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen. Zudem ist diese Altersspanne ausgesprochen interessant für ein Kind, um die verbundene elterliche emotionale Reaktion zu beobachten. Auch eine einseitiger elterlicher Bezug ist normal. Eure Tochter wird spüren und sich merken , was und bei wem sie ihre Anliegen anbringen kann. Das ist ausgesprochen klug; so kann euer Kind in eine (unbewusste) Selbstfürsorge kommen, die ihr gut tut. Als Elternteil, der vermeintlich "abgelehnt" wird, kann diese Situation zunächst befremdlich sein. Aber! Oft werden die Elternteile " abgelehnt" , die hauptsächlich für das Kind da sind. D.h. das Einfordern von Papa oder Oma... zeigen, dass 1. eine gute Bindung zwischen euch allen besteht und 2. eure Tochter die ergänzenden Anteile von euch Eltern/ Bezugspersonen unterscheiden kann und sie bewusst sucht. Fazit: eurer Tochter scheint es gut zu gehen ! Aus deinen Zeilen lese ich auch viele Ressourcen heraus. Kann es für euch vorstellbar sein, dass ihr ganz bewusst Qualitätszeiten einführt? Schaut doch einmal, ob der Papa einfach doch mal die Betreuung eures jüngeren Kindes übernimmt und du mit deiner älteren Tochter diese Exklusivzeiten auf eure Art und Weise nutzt :). Oder ob das Aufwachen und Kuscheln ggf. seinen Platz bekommen kann, wenn eure jüngere Tochter z.B. neben euch oder in der Nähe liegt und deine ältere Tochter ritualisiert nachmittags ein wachgekuschelt werden kann ... Qualitätszeiten müssen nicht lang sein. So könnte auch eine gewisse Zeit am Tag fest zum Spielen eingeplant werden o.ä.. Falls deine jüngere Tochter einen Pflegegrad hat, können über diesen viele Leistungen von Haushaltshilfe bis hin zu Betreuungen in Anspruch genommen werden. So kannst du entlastet werden und hast mehr Raum für die Kinder. Weiterhin kann ich dir das Geschwisterkindernetzwerk empfehlen. Und....manchmal kann ein Austausch mit einem Coachingexperten vor Ort hilfreich sein....Dort gibt es Gelegenheit kleinschrittig zu schauen, wie geht es mir wirklich? Wo stehe ich mit meinen Bedürfnissen im Alltag. Deckt möglicherweise ein von mir wahrgenommenes Problem ein anderes zu? Als Beispiel: Ist mein Bedürfnis nach Nähe, Annahme, Verständnis und Anerkennung möglicherweise etwas, was ich generell sehr brauche oder mir mehr von meinem Partner wünschen würde? Was hindert mich daran, die Betreuung der jüngeren Tochter stärker durch meinen Mann einzufordern? Wo liegen die Gründe, dass du deine Verlustangst momentan so deutlich fühlst? Manchmal ist eine sehr intensive Lebensphase eine Einladung, sich selbst ein wenig näher zu kommen. Vielleicht kennst du ähnliche Gefühle bereits und sie sind aus aktuellem Anlass wieder sehr viel stärker spürbar. Du und ich stehen nicht in einem direkten Dialog. Meine Hypothesen sind Ideen, die zutreffen können, aber natürlich auch nicht :). Fühle dich gerne hinein, wie es dir geht mit diesen Gedanken?! Ich nehme dich als sehr feinfühlig und reflektiert war und glaube, dass du bei deiner Tochter nichts verpassen wirst!!! Falls du Fragen hast, melde dich gerne. Liebe Grüße von Katrin

von Katrin Simon am 11.06.2023



Antwort auf: Ein Update

Liebe Katrin, Ganz herzlichen Dank für deine ausführliche und empathische Antwort. Danke, dass du dir die Zeit nimmst, bzw. Dir die Mühe machst, dich so detailliert in die Situation hineinzuversetzen und so toll und hilfreich geantwortet hast. Du scheinst entweder wirklich viel Erfahrung oder ein sehr gutes Gespür für Menschen zu haben - wahrscheinlich beides. Jedenfalls habe ich mich bzw. uns in dem was du spekulativ und ohne mich zu kennen geschrieben hast, sehr gut wiedererkannt. Allerdings würde es sowohl den Rahmen des Forums sprengen, als auch meine Bereitschaft, weitere Details im Internet zu veröffentlichen (wenn auch anonymisiert), daher lasse ich das einfach mal so stehen. Ich wollte dir nur rückmelden, dass ich deine Antwort als überaus hilfreich empfunden habe und deine Worte mich durchaus ermutigt haben, Dinge ernster zu nehmen, die mir zwar durchaus bewusst waren bzw. sind, denen ich aber bislang eine eher untergeordnete Priorität beigemessen habe. Ich hoffe sehr, du liest diese Antwort noch. Vielen Dank für die bewundernswerte Bereitschaft, wirklich auf die Fragen hier einzugehen, obwohl sie anonym gestellt werden.

von Maluna am 12.06.2023, 11:29



Antwort auf: Ein Update

Liebe Maluna Ich danke DIR für deine Rückmeldung und ich freue mich, dass du einen Ansatz für dich finden konntest, um ihm zu folgen. Diese Entwicklung wird sicher nicht immer linear gelingen, aber allein die Sensibilisierung für diese Anteile und des Bewusstwerdens sind der Anfang für eine Veränderung :). Ich wünsche dir, dass du viele wertvolle Erkenntnisse gewinnst und sie dich stärken werden. Bis bald und liebe Grüße von Katrin

von Katrin Simon am 22.06.2023