Frage: Überforderung

Hallo, so richtig habe ich keine Frage. Viel mehr möchte ich mich gerade einfach nur entlasten. Ich fühle mich gerade so schwer und schäme mich. Ich bin voller Schuld. Ich bin Mama von eineiigen Zwillingsjungs, die gerade 19 Monate sind. Es sind tolle Jungs, trotz Frühgeburt (32+0) super entwickelt, schlau, intelligent,  neugierig. Allerdings ist es so, dass beide Jungs seit einiger Zeit beißen und kneifen. Mich ins Gesicht vor allem. Sie gucken dabei sehr interessiert, warten auf meine Reaktion. Ich sage deutlich nein, was sie sehr lustig finden. Insgesamt lachen sie überhaupt immer, wenn ich nein sage. Sie testen sehr, machen aber extra verbotene Dinge und rufen dabei in meinem Ton laut "Nein!". Ich fühle mich irgendwie nachgeäfft und höre jetzt schon von allen Seiten, dass ich mehr Grenzen setzen muss. Aber wie denn bitte? Nun hatten wir heute mehrere Situationen: Zuerst mich kneifen und beißen, dann nicht schlafen wollen trotz größter Müdigkeit. Leider wachen sie jetzt neuerdings um 5 Uhr auf bzw ein Kind wacht auf und weckt den anderen und mich (Familienbett) . Dementsprechend ist die Stimmung grundsätzlich gereizt, weil wir alle müde sind. Dann die Aggressivität der Jungs mir gegenüber... Dies hat dazu geführt , dass ich die Jungs von mir weggehauen habe, als wären sie eine Fliege, ich habe sie also gewaltsam in den Kinderwagen gedrückt, damit sie schlafen. Solche Situationen haben wir neuerdings einmal täglich, weil wir alle so gereizt sind. Schlafmangel ist furchtbar!!!!! Es ist nicht okay und ich wollte immer eine liebevolle Mutter sein und es gelingt mir nicht (immer!). Zudem bin ich selbstständig und zusatzlich noch emotional belastet. Die Jungs sollen erst mit 3 Jahren in die Kita. Bindung ist mir wichtig. Haben Sie Tipps, wie wir das Familienleben besser gestalten können? Wie deuten Sie das Beißen und Kneifen? Sind das unerfüllte Bedürfnisse? Wie damit umgehen, wenn sie verbotene Dinge tun und dabei mein Nein rufen und mich nachäffen quasi? Wie die Schlafsituation entschärfen? Eigentlich mag ich unser Familienbett. Wir haben tagsüber so wenig Zeit zum Kuscheln und wir genießen es nachts sehr. Und vor allem was kann ich konkret in Überforderungssituationen tun? Ich fühle mich so schrecklich hilflos und habe tolle Kinder, die nichts fur die überforderung ihrer Mutter können!!!! Mein Partner unterstützt mich. Er arbeitet aber viel. Wenn er zuhause ist, ist er die Nummer 1 und ich bin abgeschrieben,  was auch ganz nett ist.  Tut mir leid für den langen Text. Danke für Ihre Arbeit!!!

von Tiffi153 am 23.06.2023, 11:16



Antwort auf: Überforderung

Liebe Tiffi153, zunächst einmal möchte ich Dir im Namen vieler vieler Mehrlingsmamas für Deine Offenheit danken. Ich bin mir ganz sicher, dass überall im Land gerade wissende Tränchen getrocknet wurden beim lesen. Einfach nur, weil Du mit Deinem Text und Deinen Fragen so vielen Eltern von Doppel- und Dreifachwundern aus der Seele sprichst. Meine erste glasklare Empfehlung: Vernetze Dich mit anderen Zwillings- und Drillingsmüttern. Wir sehen es nicht nur in unseren geschlossenen facebook-Gruppen, sondern auch im extrakind-Mitgliederbereich, in unseren systemischen Beratungsangeboten und bei den Hausbesuchen: Warmer, wertschätzender und tatsächlich verständnisvoller Austausch ist unersetzlich. Wir alle kennen Eltern (mindestens unsere eigenen) an denen wir uns orientieren können, die uns zeigen "so ähnlich möchte ich das mit meinen Kindern auch machen" oder "das kommt für mich nicht in Frage". Andere Mehr-als-eins-auf-einmal-Eltern kennen die wenigsten von uns. Es fehlt also bei allem was wir den ganzen Tag so tun und lassen an Orientierung, an Modellen, an Schablonen. Weißt Du - und ich möchte damit ausdrücklich nicht werten oder klassifizieren, nur UNTERSCHEIDEN - wenn ein Regionalligist sich mit einem Bundesliga-Kicker über Torchancen unterhält, so mag es bei beiden Sportlern um großartigen Fußball gehen. Um die gleichen Vorzeichen geht es aber ganz sicher nicht. Es macht nun mal einen riesigen Unterschied, ob ein, zwei oder drei Babys gleichzeitig Herz und Alltag stürmen. Und NEIN (!) auch ein noch so geringer Altersunterschied ist nicht "so ähnlich wie Zwillinge".  Du schreibst es selbst. Deine Kinder sind wunderbar. Aber sie sind eins mehr als Du - ganz gleich, was sie tun. Wer nie erlebt hat, wie es ist, wenn einem die twinados in einer kurzen unbeobachteten Sekunde stiften gehen (in unterschiedliche Richtungen versteht sich...) oder wie das ist, "je nach Lebensgefahr" zu entscheiden, ob man zuerst den einen Einjährigen von der Spülmaschinenklappe fischt oder den anderen aus dem Hunde-Wassernapf rettet, kann da nicht mitreden.  Omnipräsenz. Eine riesige Verantwortung für mindestens zwei minikleine Menschen. Hohe (eigene) Ansprüche ans Elternsein. Das Gefühl nie allen gerecht werden zu können. Möglicherweise eine lange (und noch nicht verarbeitete) Zeit des Kinderwunsches. Das Gefühl, mit seinen Gedanken, Fragen und Unsicherheiten allein zu sein. Fehlende "rote Fäden" (siehe oben). Schlafmangel. Fremdbestimmung. Gleichzeitigkeit. Das alles ist ein super Nährboden für Selbstzweifel, Stress und negative Gefühle wie Traurigkeit oder Wut. "Warum schaffen alle anderen immer alles und ich nichts?" Kennst Du diese Frage? Ich verspreche Dir: Wir alle haben uns sie in den letzten Monaten mindestens einmal gestellt. Ich gehe gleich in einer zweiten Antwort auf Deine Fragen ein, was konkret Du tun kannst. Ich wollte nur vorab mal sagen: Du machst einen Hammer-Job! Bis gleich. Alexandra von extrakind

von Alexandra Jaeger & Team am 23.06.2023



Antwort auf: Überforderung

Danke. Vielleicht ist eine 2. Mail auch gar nicht mehr unbedingt notwendig.  Die erste hat schon sehr gut getan. 

von Tiffi153 am 23.06.2023, 12:19



Antwort auf: Überforderung

So. Jetzt zum zweiten Teil meiner Antwort. Scharf zu sprechen, zu schreien, körperlich zu werden, zu hauen, die Kinder zu schubsen oder zu drücken, sind ab jetzt Dinge, die Du Dir auf Deine "rote Liste des Mama-seins" schreibst. Sag Dir regelmäßig in ruhigen Situationen, dass Du das Recht hast, müde zu sein, zu zweifeln oder dich zu ärgern. Und formuliere in Deinem Kopf "wenn-dann-Sätze". Unser Gehirn lässt sich trainieren. Allerdings nicht in einer brenzligen Situation, sondern nur davor. "Wenn ich wütend werde...dann"-Sätze lassen sich hingegen meist auch abrufen, wenn Du außer Kontrolle zu geraten drohst und die Situation bereits kippt. "Wenn ich wütend werde...atme ich tief, lange und hörbar aus." ist zum Beispiel so ein Satz. Prusten. Oder schnauben wie ein Pferd. Hilft ungemein. Bitte verlasse kurz den Raum, wenn Du merkst dass die Lämpchen in Deinem Kopf bereits auf tief-orange stehen. Ein Glas kaltes Wasser trinken. Kaltes Wasser über Deine Hände laufen lassen. Kopfrechnen (10 minus 3 =, 14 plus 27 =, 9 x 4 = ....Leg Dir eine SOS-Strategie zurecht, auf die Du Dich verlassen kannst. Und vermeide das Wort "nein". Deine Kinder entdecken gerade ihre Sprache. Sie wissen schon, dass das da ein Hund und jenes ein Baum ist. Sie kennen ihre Schuhe. Einen Ball. Oder eine Ente. Aber was genau ist "nein"? Die Steckdose? Die Tasse auf dem Tisch? Papas Handy? Der Küchenstuhl auf den sie gerade klettern wollen? Alles nein? Sage stattdessen stop oder halt und benenne konkret was Du möchtest. "Halt. Die Tasse bleibt auf dem Tisch." Du merkst ich könnte stundenlang darüber sprechen. Mache ich ja auch. Also. Wenn Du Dir tiefere Beratung wünscht, melde Dich gern. Unsere Hebammen, Pädagoginnen, Erziehungs- und Schlafberaterinnen, vor allem aber unsere systemische Beraterin Stephanie sind für Dich da. In unseren facebookgruppen "Zwillinge und Drillinge 2020" bis 2024. Telefonisch. Oder per Mail. Liebe Grüße von Mehrlingsmama zu Mehrlingsmama! Alexandra von extrakind

von Alexandra Jaeger & Team am 23.06.2023



Antwort auf: Überforderung

Als Mama von 2 (sehr temperamentvollen) Kindern mit geringem Altersabstand kann ich das nicht so stehen lassen, es ist bestimmt nicht "so ähnlich" sondern "ganz anders", aber deswegen nicht weniger heftig und auch ich bin sehr erschöpft und komme fast täglich an meine Grenzen und darüber hinaus. Ich stelle mir die Zeit mit 2 neugeborenen Zwillingen (und auch danach) sehr, sehr anstrengend vor. Aber ein Neugeborener Zwilling kann dem anderen Zwilling nicht ins Gesicht schlagen, ihm über den Kopf kratzen oder Gegenstände in die Wiege werfen. Ein eifersüchtiges Kleinkind kann das. Omnipräsent muss ich auch sein, habe aber auch nur 2 Hände. Ein Kleinkind und ein Baby haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse was Ernährung und Schlaf betrifft, das ist auch nicht einfach. Und sie wecken sich auch nachts gegenseitig auf und auch ich schlafe oft viel zu wenig. 

von Baghira222 am 26.06.2023, 16:55



Antwort auf: Überforderung

Liebe Baghira222, danke für Deinen Input. Weder als Fünffachmama, noch als Mehrlingseltern-Beraterin würde ich mir anmaßen, Deine Leistung als zweifach-Löwenbändigerin abzuwerten. Wie so oft im Leben ist es aber wichtig, nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Insbesondere die "Gleichzeitigkeit" mit der alle Dinge im Leben einer Mehrlingsfamilie passieren, machen den Unterschied, um den es hier im Forum- für Zwillings- und Drillingseltern geht, aus. Zwillinge sind nicht "ein Kind mehr". Zwillinge sind Zwillinge. Zwillinge sitzen im Zweifel gleichzeitig auf der Spülmaschinenklappe und im Blumentopf. Zwillinge sind gleichzeitig wach. Oder eben nicht. Und beides ist hart. Zwillinge weinen zusammen. Oder nacheinander. Auch schön. Sie wollen zusammen getragen und getröstet werden. Oder eben genau nicht. Zwillinge haben (meist) den gleichen Entwicklungsstand, können nicht einen Augenblick warten, verstehen noch nicht oder sagen wir mal "genau gleich gut", dass Mama sich nicht zerreißen kann. Und: Zwillinge sind – egal was sie tun – immer einer mehr als Mama oder Papa. Fühle auch Du Dich lieb gegrüßt. Das ist hier ausdrücklich kein "Bessere-Mama-Wettkampf" sondern ein sicherer Ort für Mehr-als-eins-auf-einmal-Mamas deren Arme und Gedanken manchmal ihr Doppel- oder Dreifachwunder nicht fassen können. Im wahrsten Sinne des Wortes. Alles Liebe für Dich. Du machst einen klasse Job! Alexandra von extrakind

von Alexandra Jaeger & Team am 26.06.2023



Antwort auf: Überforderung

Diese Gleichzeitigkeit erlebe ich ganz genauso. Es gibt meiner Meinung nach 2 Unterschiede zwischen Zwillings-Mamas und "2 unter 2"-Mamas: 1. Den Zeitpunkt der Überforderung durch die Gleichzeitigkeit (bei Zwillingsmamas sofort, bei "2u2"-Mamas erst nach der Geburt des 2. Kindes) 2. Den Entwicklungsstand der Kinder (bei Zwillingen gleich oder zumindest ähnlich, bei 2u2 sehr verschieden, was nochmal ganz andere Herausforderungen mit sich bringt) Ich kann die Überforderung und Erschöpfung auf jeden Fall sehr, sehr gut nachempfinden. 2 Kinder sind immer eines mehr als Mama oder Papa, egal ob Zwillinge oder Baby und sehr junges Kleinkind, auch ich habe nur 2 Hände.

von Baghira222 am 26.06.2023, 21:03



Antwort auf: Überforderung

Hallo, ich habe auch Zwillingsjungs in dem Alter. Und ich habe einige Bekannte mit 2 Kindern. Und ich kann folgendes sagen: Ich glaube, dass jede Mutter oft verzweifelt ist und überfordert. Das geht ja Müttern mit einem Kind sogar oft schon so! Wenn dann noch ein Geschwisterchen dazu kommt, ist das Chaos oft perfekt. Das erlebe ich im Freundeskreis immer wieder. Als Mehrlingsmama ist man allerdings in einem anderen Dilemma: Egal, was du tust, du hast immer, aber auch wirklich immer, eine Hand zu wenig. Von Anfang an. Du müsstest dich eigentlich zerreißen und es zerreißt dich aber innerlich: Wenn 2 Babys gleichzeitig Hunger haben, ich habe gleichzeitig gestillt, es war aber häufig ein Desaster,  weil einer geruckelt hat und dadurch ist der andere von der Brust gefallen,  so dass beide geschrien haben. Ein Baby möchte auf den Arm, das andere auch. Für welches entscheidest du dich? Beide Kinder weinen und wollen getröstet werden. Für welches Kind entscheidest du dich? Beide Kinder haben Hunger und wollen gefüttert werden. Nacheinander geht beiden zu langsam, es war immer ein riesen Theater! Wer von den 2en soll denn warten? Wer bekommt zuerst? Gleichzeitig füttern, also Paralellfüttern, ging ihnen aber nicht schnell genug! Auch beim Stillen nachts: Alle 2 Stunden hatte irgendjemand Hunger. Nun laufen die Zwerge schon seit Monaten. Wir sind auf dem Spielplatz.  Beide rennen in unterschiedliche Richtungen. Wem rennst du hinterher? Und was mir immernoch sehr zu schaffen macht: Du kannst zu keinem der Kinder so eine Nähe aufbauen wie zu einem bzw 2 "Einzelkindern". Du hast nie Zeit intensiv zu kuscheln, weil eben einer keine Lust hat auf Kuscheln oder nicht ruhig liegen bleibt... Du hast nie die Möglichkeit gehabt, die Babys intensiv zu tragen. Du musstest immer ablegen und den nächsten nehmen! Du konntest noch nie einem die volle Aufmerksamkeit schenken,  immer "stört" der andere. Von Anfang an. Und das macht Schuldgefühle. An jedem Tag. In jeder Situation.  Jede Mutter gibt ihr bestes. Und Muttersein ist immer schwierig. Für mich ist es der schwierigste Job der Welt! Und 2 Mäuse auf einmal bedeutet oft in der Schwangerschaft schon doppelter Stress. Zumindest war es bei mir so. Und ich finde es furchtbar,  dass das Muttersein in unserer Gesellschaft so wenig honoriert wird und es selbst unter Müttern eine Art Wettkampf gibt. 

von Sarahmueller am 27.06.2023, 13:03



Antwort auf: Überforderung

Guten Morgen, Ich lesen diesen Beitrag nun schon seit der Einstellung. 😀 Es spricht mir aus der Seele. Unser Zwillingspärchen ist 27 Monate alt. Und ich Frage mich jeden Tag, wann wird es besser? Die beiden gehen seit 3 Monaten in die Kita. Können es kaum abwarten, bis sie dort sind. Aber von 6 bis 8 Uhr hab ich schon 100 mal die Nerven verloren. 😞. Aber die Kita hilft mir. Ich bekomme mal ne Auszeit. Bin jetzt nicht mehr jeden Tag 24 Stunden auf 180. Nur am Wochenende. Wir haben auch bewusst die Kinder bis 14 Uhr in der Kita, über Mittag und Mittagschlaf. Damit ich mal Kraft tanken kann. Das hilft ungemein. Für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar.    Mein Fazit: Wir haben alle einen Urlaub mit Massage verdient, unsere Nerven liegen blank, aber wir haben mindestens 2 süße Schätze jeden Tag um uns herum.  Fühl dich gedrückt. Irgendwann wird es besser. Der Zeitpunkt ist nur unterschiedlich. 

von BenLau2021 am 04.07.2023, 08:15



Antwort auf: Überforderung

Vielen lieben Dank  Ich wünsche euch und euren Mäusen alles Liebe und Gute! P.S: Ich nehme jetzt immer die Wurzel von 24 mal 3. Keine Ahnung, was raus kommt,  aber es hilft tatsächlich etwas in brenzligen Situationen. Und vielleicht sollten wir unsere Mäuse auch in die Kita schicken, wenn sie 2 Jahre alt sind. So war ja auch eigentlich der ursprüngliche Plan. 

von Tiffi153 am 11.07.2023, 22:12