Frage im Expertenforum Frühgeburt an Prof. Dr. med. Gerhard Jorch:

Hirnblutungen

Prof. Dr. med. Gerhard Jorch

Prof. Dr. med. Gerhard Jorch
Kinderarzt und Neonatologe

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Frage: Hirnblutungen

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Sehr geehrter Herr Prof. Jorch, vor einigen Wochen hatte ich schonmal eine Frage zur ungleichen Größenentwicklung meiner eineiigen Zwillinge. Nun habe ich noch eine weitere Frage. Kurz nochmal die wichtigsten Informationen: Geboren in der 30. SSW nach Feto-Fetalem-Transfusionssyndrom, Plazentainsuffizienz, Praeeklampsie und HELLP mit 1300g und 860g. Beide hatten am 3. Lebenstag Hirnblutungen, die Kleinere auf einer Seite eine Grad 2 und die Größere auf beiden Seiten, auf der rechten Seite eine Grad 2 und auf der linken Seite eine Grad 4. Bis auf den Größenunterschied und die Tatsache, daß alles etwas später kommt (laufen erst mit 19 Monaten, sprechen beginnen sie seit einigen Wochen....), entwickeln sie sich völlig normal. Sie sind jetzt 2 Jahre alt. Die größere Tochter mit der Hirnblutung 4 Grades hatte Anfangs einen Hydrocephalus und ein OP Termin zum einsetzten eines Rickham Reservoires stand schon fest. Der Chefarzt der Neonatologie entschied dann doch noch ein Wochenende zu warten und es hat sich tatsächlich stabilisiert! Eine OP war nicht erforderlich. Vor allem im Krankenhaus (zumindest haben wir es damals so wahrgenommen) haben wir fast nur Horrornachrichten bezüglich der Entwicklunsaussichten unserer Tochter gehört. Seit dem hören wir immer wieder sehr unterschiedliches. Davon, daß es eigentlich sehr häufig vorkommt, daß sich Kinder mit Hirnblutungen 4. Grades normal entwickeln bis dazu, daß es ein Wunder sei. Im SPZ sagte man uns beim letzten Kopfultraschall mit offener Fontanelle, daß das Hirn nach außen sichtlich mehr Platz habe weil eben so viel Hirnmasse kaputt gegangen sei. Ich kann das natürlich nur sehr laienhaft wiedergeben. Im Hinterkopf habe ich immer die Angst, daß doch noch irgendetwas kommt. Soweit ich es verstanden habe sind es doch meist motorische Probleme die auftreten und diese kann man ja nun weitestgehend ausschließen. Es läßt mich einfach nicht los und ich würde mich freuen Ihre Erfahrungen dazu zu hören. Vor kurzem habe ich geträumt daß bei meiner Tochter nun doch noch ein Rickham Reservoir eingesetzt werden muss, das könne so spät als Folge noch vorkommen, man habe leider vergessen es uns zu sagen. Sie entwicklen sich super und ich habe als Mutter auch ein gutes Gefühl, aber ich hätte gerne einen Erfahrungsbericht und eine Meinung eines erfahrenen, unabhängigen Arztes dazu. Vielen Dank!


Prof. Dr. med. Gerhard Jorch

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Eine Hirnblutung 4. Grades ist schon ein sehr schwerwiegender Befund, bei dem die Chancen auf vollständige Heilung eher gering sind. Aber "gering" heißt nicht "nicht möglich". Vorteilhaft ist, wenn die Blutung einseitig ist, da eine Hirnhälfte viele Funktionen der anderen mit übernehmen kann. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Hauptmasse des Hirns nach der 30. SSW seine Entwicklung noch vor sich hat. D.h. wenn mit 30 SSW 20 % des Hirns zerstört sind und das Hirn danach sich gut entwickelt, sind am Ende vielleicht 95 % funktionstüchtig, Außerdem muß man den Begriff "Behinderung" relativ sehen. Wenn z.B. beide Beine eines Menschen spastisch gelähmt sind, gilt das ohne Zweifel als schwere Behinderung. Dennoch kann dieser Mensch bei guter Intelligen und starker Persönlichkeit eine Familie gründen, seine gesunden Gene an seine Kinder weitergeben, einen gut bezahlten Beruf ausüben u.s.w. Als Neonatologe sieht man die Prognose eher zu pessimistisch, da man die Verläufe nicht kennt bzw. die schlechten Verläufe stärker wahrnimmt. Mit ging es früher als neonatologischer Oberarzt auch so. Heute als Chefarzt mit stark neuropädiatrisch geprägter Tätigkeit sehe ich manches anders. Sicher ist eine Prognose ohnehin erst, wenn sie eingetreten ist.


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Hallo, wir haben die selbe Diagnose: Unser Sohn aus der 30. SSW hat auch eine 4/2er Hirnblutung. Jetzt mit 2,5 Jahren können wir sagen, dass es für uns sehr gut ausgegangen ist. Er hat zwar eine leichte Hemiparese armbetont, das wirkt sich jedoch bis jetzt noch kaum aus. Außenstehende sehen nichts, selbst der Professor an der Uniklinik schreibt, dass man die Hemisymptomatik nur am bevorzugten Greifen mit einer Hand bemerkt. Beim Laufen sieht man kaum etwas, rennt, klettert, nur das Treppensteigen geht noch nicht so gut wegen dem Gleichgewicht, er spielt unbeeinträchtigt z,B, Lego mit beiden Händen, isst selbstständig, hat beide Hände am Glas beim Trinken, etc, er wirkt nur manchmal etwas verkrampft (=leichte Spastik) und ich denke wir müssen mehr als normal das alleinige Anziehen, Schuhe binden, etc üben. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass er großartig gehandicapt sein wird, er findet schon immer einen Weg, wenn er z.B. irgendetwas nicht halten kann oder mehr Kraft braucht, klemmt er sich den Gegenstand einfach unter den Arm, oder greift um, das Ergebnis ist dann das gleiche, als wie er den Gegenstand in der Hemi-Hand gehalten hätte! Und auch seine Frustationserlebnisse halten sich in Grenzen, er kennt es ja nicht anderst! Therapien haben wir nur 2/KG pro Woche. Evtl. machen wir noch ein spezielles Trainingsprogramm für die Hand, wenn er älter ist. Geistig scheint alles in Ordnung,er plappert wie ein Buch und ist sehr clever und smart :-). Bei der U7 haben wir das ersehnte Kreuz bei „altersentsprechend entwickelt“ bekommen. Nächstes Jahr geht er ganz normal in den Kindergarten. In der Klinik Aschau (Fachbereich für Infantile Zerebralparese) haben sie uns auch schon gesagt, dass er ein weitgehend unbeinträchtigtes Leben führen wird. Was wollen wir mehr & und wer ist schon perfekt?!!! Ich wünsch Euch alles Gute und viel Glück! Aber es hört sich ja bei Euch super an – evtl. kommt ja nichts mehr….LG


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Hallo, vielen Dank für die Antworten. Ja, es hört sich super an und man kann nur glücklich sein, darüber wie es ist. Bin ich auch! Ich weiß, Ängste wird man nie los, wenn man Kinder hat und ich wollte auch mit meiner Anfrage nicht andeuten, daß ich der Meinung bin Menschen mit Behinderung hätten ein unerfülltes Leben. Ich weiß auch, daß es uns viel besser ergangen ist als ganz vielen anderen. Aber es beschäftigt und beängstigt mich weiterhin sehr. Natürlich ist die Entwicklung mit 2 Jahren noch lange nicht abgeschlossen, aber motorisch bewegt sich meine Tochter völlig ‚normal‘. Sie läuft schon richtig schnell, klettert, steigt Treppen alleine, kickt einen Fußball super, wirft auch richtig gut, fädelt auf, malt, trinkt aus jedem Gefäß, isst mit der Gabel, liebt es sich Hose, Jacke, Schuhe, Strümpfe an und aus zu ziehen...., sie versteht alles, kombiniert auch, ist geistig rege, neugierig, spielt mit anderen Kindern, streitet sich mit Ihrer Schwester, eben völlig ‚normal‘. Wir hatten im ersten Jahr KG nach Bobath und scheinbar hat es gut gewirkt und andere Gehirnregionen haben die zerstörten Funktionen mit übernommen. Meine Frage ist eher: Was könnte denn noch kommen? Es ist wahrscheinlich eher eine psychologische Geschichte bei mir. Seit der 16. SSW haben wir aufgrund FFTS erzählt bekommen, daß völlig unklar ist ob beide, eines oder keines der Kinder die Geburt erleben. 2-3 mal in der Woche musste ich zum US in die Uniklinik mit ständigen Aufs und Abs. Ich lag selber Wochen vor der Geburt im KH und als die Kinder geboren waren war alles noch viel schlimmer als man sich das vorstellt, das kennt wohl jeder der ein frühgeborenes Kind hat. Eine Hiobsbotschaft nach der anderen, schaffen es die Kinder, Ängste, Ängste, Ängste. Dann sind die Kinder nach Monaten endlich zu Hause und alles wird soooooo viel einfacher und schön. Man rennt zu Therapien und von Arzt zu Arzt, die Entwicklung geht langsam aber stetig voran. Und jetzt, nach 2 Jahren ist es viiiiiel mehr als ich je zu hoffen gewagt habe und scheinbar völlig ‚normal‘. Natürlich bin ich schon viel beruhigter geworden in den letzten Jahren aber ich frage mich eben: Kann ich jetzt tatsächlich mal aufatmen?


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