Sehr geehrter Herr Doktor Posth,
mich interessiert Folgendes:
Wie entwickelt sich das Gefühl der Liebe bei einem Kind.
Zu Anfang ist ein kleiner Säugling ja sehr abhängig von seiner Bezugsperson, kann man da schon von Liebe im erwachsenen Sinn sprechen?
Und ab wann wandelt sich diese Abhängigkeit in das "echte" Gefühl Liebe?
Hintergrund: Meine 2- jährige Tochter spielt gerade mit den Begrifflichkeiten. Mal hat sie Mama lieb, mal Pappa, mal Mama ausdrücklich nicht sondern nur Pappa und dann wieder Mama doch.
Ich reagiere meistens so: Egal wen sie gerade lieb hat oder nicht und mir das dann mitteilt sie bekommt einen Kuss und ich sag ihr dann " Soso, Mama hat dich immer lieb!"
Dankeschön für die tolle Arbeit hier ich lese das Forum wirklich gerne!
von
Drada
am 06.06.2011, 14:21
Antwort auf:
Wie entwickelt sich das Gefühl Liebe bei einem Kind?
Stichwort: kindliche Liebe
Hallo, Sie stellen mir eine knifflige und zugleich anspruchsvolle Frage. Über das, was ist Liebe ist, und welche inneren Gefühle überhaupt Liebe repräsentieren, haben sich die Menschen schon immer den Kopf zerbrochen. Erich Fromm hat seine ganze Philosophie dem Thema Liebe gewidmet. Die Kirchen haben ihre eigene Meinung dazu und die Psychologie allemal.
Ich meine, um es einigermaßen kurz zu machen, dass die Liebe eines Kindes nicht gleichzusetzen ist mit der Liebe des erwachsenen Menschen. Die Liebe des Kindes ist deswegen aber keine unreife Liebe, sondern sie ist Ergebnis eines vorbehaltllosen Vertrauens in seine Hauptbezugspersonen, das Urvertrauen. Dieses bedingungslose Vertrauen mindert gefühlsmäßig die große Abhängigkeit, in der sich das Kind befindet. Damit ist diese kindliche Liebe die höchste Form der Liebe überhaupt, denn das erreicht die Liebe des erwachsenen Menschen nicht mehr.
Die Kirche möchte aus diesem Grunde gerne ihre Gäubigen zu einer solchen vorbehaltlosen Liebe wieder zurückführen, wohlgemerkt in Richtung auf Gott und nicht auf andere Menschen. Und in dieser Überhöhung vollzieht die Kirche (und jede andere Religion) unwissentlich etwas, das die Natur in der Liebe des Kindes zu seinen Eltern schon vor ihr kannte. Also gibt sie intuituv ihren Gottheiten elterliche Züge. Das gilt im Wesentlichen allerdings nur für die drei monotheistischen Religionen.
Das Kind verspürt, wie auch Sie richtig gesagt haben, Abhängigkeit, und diese Abhängigkeit löst es in sich auf als Gefahrlosigkeit für sein Selbst durch das Urvertrauen. Wenn aber das Urvertrauen ins Wanken gerät, bekommt die Abhängigkeit bedrohliche Züge und im Kind entsteht Angst, Urangst. So ergeht es auch der Liebe des erwachsenen Menschen. Geht das Vertrauen in den anderen Menschen verloren (von Urvertrauen kann man in diesem Alter nicht mehr reden), dann bekommt die eingegangene Abhängigkeit gefähliche Konturen und der Mensch fühlt sich bedroht.
Im Alter von 2-3 Jahren fangen Kinder an, sich über ihre Gefühle Gedanken zu machen. Das Gefühl Liebe kennen sie so noch nicht, deswegen können sie damit jonglieren. Sie wissen um die Wirkung des Wortes durch die daraufhin erfolgenden angenehmen Reaktionen ihrer Bezugspersonen. Und diese testen sie immer wieder aus, denn die Liebesbezeugung eines wichtigen Menschen zu hören und am eigene Leib zu spüren (Umarmung, Kuss, Streicheln usw), ist ein sehr hohes positives Attribut. Es wertet ungemein auf. Und das wird in dem Alter der Selbstentstehung äußerst wichtig für das Kind. Ich hoffe, Sie können mit dieser Beschreibung etwas anfangen. Viele Grüße und danke für Ihr Lob
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 10.06.2011