Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Dr. med. Rüdiger Posth:

Krankhafter Ehrgeiz? (sehr lang) auch an Mammis

Dr. med. Rüdiger Posth

Dr. med. Rüdiger Posth
Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

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Frage: Krankhafter Ehrgeiz? (sehr lang) auch an Mammis

Mitglied inaktiv

Sehr geehrter Dr. Posth, unser Sohn (3 J) ist in vielen Bereichen über sein Alter heraus entwickelt, was er in den Gruppen Gleichaltriger auch mittlerweile merkt. Wir loben ihn zwar immer, wenn er was neues lernt, ziehen aber nie Vergleiche in dem Sinne „du machst es besser als X oder Y“. Vor einiger Zeit fing er aber von selbst an, solche Vergleiche zu ziehen. Zuerst mal stellte er nur fest, dass er dies oder das besser kann, war aber auch imstande ruhig festzustellen, dass er anderes schlechter kann, als X oder Y. Neulich verhält er sich aber so, dass er die Tatsache, dass ein anderes Kind, das er nicht als älter zuordnet, etwas besser kann, überhaupt nicht verkraften kann. Beispiel: wir waren mit einer Freundin und ihrer Tochter (auch 3 ) Schwimmen. In der Umkleidekabine stellte er fest, dass sich das Mädchen alleine ausziehen kann (er kann es nur sehr schlecht und nur die „einfachsten Sachen“). Beim nächsten Schwimmen (ohne Freundin) zog er einen Schuh aus und wollte nicht weiter, weil es ihn sehr irritiert hat. Ich habe ihn dann ohne was zu sagen zu Ende ausgezogen, woraufhin er meinte, er hätte sich jetzt alleine besser und schneller ausgezogen als das Mädchen. Ich sagte „nein, Du hast nur einen Schuh ausgezogen, den Rest machte ich, das Mädchen hat sich ganz alleine ausgezogen“. Daraufhin versuchte mein Sohn mich mit allen Mitteln dazu zu zwingen, zuzugeben, dass er es doch besser kann. Als ich nicht darauf einstieg, tobte er zuerst und schrie „sag mir ich kann es besser“, er ist so wütend geworden, dass er mich sogar gehauen hat (tut er seit langem nicht mehr). Und als ich dann laut wurde, ist er plötzlich zusammengebrochen und heulend wie ein Häufchen Elend meinte er zu mir „ich will aber ein Superboy sein“. Zu sagen, dass er für mich auch dann ein „Superboy“ ist, wenn er nicht alles gut kann, half nichts. Er beruhigte sich erst im Schwimmbecken, nachdem er einen halben Schwimmbad durchgeschwommen ist und mich fragte, ob er DAS besser als das Mädchen kann und ich es bejahte (stimmt auch). Die zweite Facette dieses Verhaltens ist alles machen zu wollen, was die anderen (älteren) können. So z.B. „quällt“ er sich selbst, um ein Salto machen zu können, weil er gesehen hat, wie ein „kleiner Junge“ (der Junge muss so um 6 gewesen sein) es machte. Er schafft es in der Tat, beim jeden 10-ten mal Salto zu machen, restliche 9 landet er auf dem Kopf, weil er nicht dazu zu bringen ist, sich mit den Händen abzustützen (er hält die Hände zusammen, damit es JA nicht passiert, weil es dann kein richtiges Salto wäre). Für uns und die Kirppenbetreuerinnen ist dieses Salto ein echter Albtraum, weil wir ihn keine Sekunde aus den Augen lassen können, damit er sich nicht verletzt. Und wir haben natürlich keine Ahnung, was er als nächstes irgendwo sehen wird (den Kopfsprung ins Wasser müssen wir ständig absolvieren, auch wenn er noch nicht richtig schwimmen kann). Die dritte Facette ist absolut nicht verlieren zu können. Beim Memory spielen war es am Anfang so, dass wenn ich nur ein einziges mal die Karten einsammelte, er bereits entweder ein Tobsuchtanfall hatte oder aber in Tiefstetrauertränen ausbrach. Mittlerweile habe ich ihn soweit, dass ich ab und an was gewinnen kann, vorausgesetzt, er gewinnt das ganze Spiel. Es ist mittlerweile zu meinem „täglich Gebet“ geworden, ihm zu erklären, dass jeder Mensch andere Stärken hat, dass keiner in allem der Beste sein kann, dass wir ihn auch dann sehr lieb haben, wenn er etwas nicht kann, ich betone extra dass ich dies oder jenes schlechter als Daddy und dies oder jenes besser als Daddy kann – all das schein Null Erfolg bei ihm zu haben. Mit anderen Kindern kommt er sehr gut zu recht und wird ihnen gegenüber nicht aggressiv oder abweisend, wenn sie etwas besser können – er verbeisst ich aber oft gleich daran, es auch zu lernen........ Anzeichen für einen solchen Ehrgeiz gab es bei ihm schon immer (z.B. als Baby hat er sich an meinen Finger solange hochzuziehen versucht, bis er vor Erschöpfung nassgeschwitzt war und für 1-2 Minuten einschlief um dann gleich wieder fortzufahren, solange bis er sich setzen konnte), es war aber nie so ausgeprägt wie jetzt. Ich finde diese Verbissenheit total übertrieben und weiss nicht, wie ich ihn davon abbringen kann. Was sind die richtigen Methoden, einem Kind klar zu machen, dass man nicht immer der beste sein muss / kann? Vielen Dank für Ihre Antwort, Hanna


Liebe Hanna, um zu Ihrem Problem etwas Fundiertes sagen zu können, müßte man Ihren Sohn länger beobachten. Ehrgeiz ist prinzipiell ein natürlicher Wesenszug. In der Rivalität kommt er zum Ausdruck. Wahrscheinlich muß man auch hierin die Ursachen für das Verhalten Ihres Sohnes suchen. Jedes Kind sammelt positive Attribute, um sein Selbst zu stärken (s. mein Text über das emotionale Bewußtsein, Teil 3). Wenn ein Kind besonders stark auf positive Attribute angewiesen zu sein scheint, muß man schon hinterfragen, wo dieses erhöhte Bedürfnis herkommt. Ist Ihr Sohn Einzelkind oder gibt es Geschwister? Mit wem ist Ihr Sohn eventuell sonst aufgewachsen? Welches Vorbild besaß er oder besitzt er noch zur Vollendung der Loslösung, d.h. wie stellt sich der Vater dazu ein? Wie sehr hat er getrotzt und tut er es immer noch, usw. Sie sehen, hinter dem schwierigen Verhalten steckt eine ganze Facette ptoentieller Zusammenhänge aus der bisherigen Sozialisation. Daher ist es von hier aus unmöglich, das Verhalten genau zu erklären. Aber es gibt da ein Problem, das sehe ich auch. Am besten ist es, Sie wenden sich an eine Beratungsstelle für Erziehungsfragen, die es wahrscheinlich auch in Ihrer Kommune oder Stadt gibt. Viele Grüße


Mitglied inaktiv

Hallo Hanna! Erst einmal vorweg: Grundsätzlich halte ich es für normal, dass sich dein Sohn seit kurzem(Kindergarteneintritt/Kindergartenalter?) stärker als vorher mit anderen vergleicht und gern der Bessere/Stärkere/Schnellere/Klügere sein möchte. Das machen die meisten Knirpse im Alter meiner Tochter (wird im April vier) auch, und es führt in vielen Fällen sogar zum Streit ("Nein, ich kann das aber besser als du", "Nein, mein Papa/meine Mama ist aber stärker als deine"). Auch wenn ich persönlich das ätzend und unnötig finde, gehört es wohl ein Stück weit dazu, und es lässt sich offenbar nicht ganz vermeiden, dass sich die Kinder auf diese Weise eine Art soziale "Hackordnung" schaffen. Ich habe auch das Gefühl, dass hier Allmachtsphantasien noch mit realistischer Selbsteinschätzung konkurrieren. Allerdings scheint das Geltungsbedürfnis deines Sohnes ja schon etwas ausgeprägtere Formen anzunehmen, als ich es kenne, und ich finde es auch auffallend, dass er diesen Besser/Schlechter-Konflikt nicht direkt mit den anderen Kindern austrägt, sondern sofort auf eine andere Ebene verlagert, nämlich die Bestätigung entweder direkt von dir einfordert (und frustriert ist, wenn er sie nicht bekommt) oder sie umsetzt in ein: "Ich bin nicht gut genug, wenn ich das nicht kann", und alles daran setzt (sogar, wenn es für ihn schmerzhaft ist und seine Sicherheit gefährdet), dieses vermeintliche Defizit sofort auszubügeln. So eine massive Leistungsorientierung und die verzweifelte Suche nach Bestätigung sind ja grundsätzlich immer ein Hinweis auf eine gewisse Selbstunsicherheit. Aber egal, was dafür der Auslöser war oder ist: Ich glaube, du zäumst das Pferd beim Schwanz auf, wenn du versuchst, ihm diese "Marotte" einfach auszureden, auch wenn es logisch betrachtet natürlich richtig ist, dass nicht jeder alles können kann. Je mehr du versuchst, gegen die Art zu arbeiten, mit der sich dein Sohn Bestätigung verschafft, um so weniger fühlt er sich wahrscheinlich ernst genommen, weil es im Kern an der Sache vorbeigeht. Wie wäre es mal ganz anders herum? Gibt es irgend etwas, wo sich eine besondere Begabung deines Sohnes abzeichnet, zum Beispiel im motorischen, musischen oder intellektuellen Bereich? Wie wäre es, wenn er auf diesem Gebiet einen Kurs/eine zusätzliche Aktivität besucht, so dass er einen Bereich entwickeln kann, in dem er wirklich ein "Superboy" ist? Da du vorhin von seinen "Saltos" erzählt hast: Gibt es bei euch in der Nähe vielleicht eine Zirkusschule? Hier in Freiburg bietet das Jugendbildungswirk Zirkusunterricht für Kinder ab vier Jahren an, bei dem die Kinder altersgerecht akrobatische Kunststückchen einüben können, die auch im Rahmen einer Zirkusvorstellung aufgeführt werden. Wäre so etwas vielleicht was für deinen Sohn? Puh, sorry, dass es so lang geworden ist - irgendwie kann ich mich einfach nicht kurz fassen. Aber ich hoffe, du hast die eine oder andere verwertbare Info mitnehmen können... Grüße Nicole


Mitglied inaktiv

Hallo Nicole, wie Selbstunsicherheit kommt es mir nicht vor, weil er sonst sehr „selbstsicher“ ist – er geht problemlos auf Leute zu und fragt alles mögliche (und unmögliche :), er bleibt problemlos mit fremden Menschen zusammen (vorausgesetzt er mag sie), in der KiGa gehört er eher zu den „gruppeführenden“ Kindern (obwohl er eins der jüngsten ist) – neulich mussten wir zu einem „Aufnahmetest“ in ein englischsprachiges Kindergarten (sie wollten ihn nicht für 2 Tage / Woche nehmen, weil es angeblich zu wenig für Integration ist) wo er alleine in drei verschiedenen Gruppen bleiben musste und ihm wurde „high selfconfidence“ bescheinigt – das kann also der Grund nicht sein (es sei denn ich verstehe die Kinderpsychologie gar nicht). „Talente“ hat er ganz viele – er ist sowohl grobmotorisch wie auch „intellektuell“ (fällt mir kein besseres Wort ein) ganz weit – der „Schwachpunkt“ ist das Feinmotorische, wobei auch da ist er nicht irgendwie total „zurückgeblieben“. So hat er ganz viele Bereiche, wo er „besser abschneidet“ – dies scheint aber nicht zu reichen. Und auch deswegen mache ich mir Sorgen. Ich dachte immer, dass so etwas nur passiert, wenn Kind nicht genug Bestätigung erfährt – er hat aber sogar mehr als genug davon und es scheint trotzdem nicht auszureichen, so als ob er in allem der Beste sein wollte und nur dann der Meinung wäre, er ist „gut genug“. Woher es kommt kann ich mir auch nicht erklären, da wir ihn zu keiner Leistung „trimmen“ (oder machen wir es unbewusst?). Mit den „Salti und ähnlichen“ werde ich etwas tun müssen, weil es einfach zu gefährlich ist. Mein KiA hat mir mal dazu geraten, ihn in einen Judo-Kurs einzuschreiben (Zirkusgruppen haben wir hier leider keine, ich habe bis jetzt nicht mal eine Eltern-Kinder Turngruppe gefunden). Der KiA meint, dass die Kinder in dem Judo – Kurs keine Kampfkünste, sondern „ungefährlich Fallen“ und vor allem „sich selbst nicht zu überschätzen“ lernen – ich weiss aber immer noch nicht so recht.... Mit „Salto auf der Matratze“ kann er sich nichts antun (wir gucken halt, dass er es nicht auf dem harten Boden versucht und sind immer dabei), aber wer weiss es schon, was er als nächstes „erfindet“..... Und vor allem so kann es nicht weitergehen – stell Dir vor, er denkt immer noch so, wenn er in die Schule geht – er wird sich doch selbst total unglücklich machen! Aber vielleicht ist es wirklich nur so eine Phase...... Mit dem Loben auf anderen Gebieten als „Ablenkung“ funktioniert es momentan auch nicht... Trotzdem danke für Deine Gedanken, kurz fassen kann ich mich auch nur sehr schlecht :)) Gruss, Hanna


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