fritzi3
Weil mir ja unten beim Demokratie-Thread querdenkernahes Geschwurbel vorgeworfen wurde und ich das Thema für mich noch nicht abgeschlossen habe, muss ich das Thema nochmal hochholen. Irgendwie blieb bei mir nach dem Lesen des von Hase verlinkten Textes ein vages Gefühl von Unstimmigkeit. Deshalb habe ich weiter darüber gegrübelt und bin zu folgendem Schluss gekommen: 1.) Ja, Demokratie ist eine sehr gute Idee, aber aus Gründen, die kaum etwas mit C-Politik zu tun haben. Ob Demokratien besser oder schlechter bei der Bewältigung der Corona-Krise funktionieren, ist nicht so ohne weiteres zu entscheiden. 2. ) Den Satz aus dem verlinkten Text: „[Diktaturen] „lösen“ Probleme selten zum Besten aller“ finde ich – auf die C-Politik bezogen - äußerst zweifelhaft. Zum Besten ALLER lösen auch Demokratien das Problem nicht. Die Entscheidungen folgen auch hier immer eine Abwägung der Grundrechte verschiedener Gruppen (oft Minderheiten) – zulasten einer der beiden Gruppen. Zu 1.) Je öfter ich die Länder-Auflistung durchlese, umso mehr drängt sich mir der Gedanke auf, dass es bei der Frage, wie gut ein Land die Corona-Krise bewältigt hat bzw. bewältigt, gar nicht so sehr auf die Frage ankommt, ob es sich um eine Demokratie oder eine Diktatur handelt. Wie ein Land durch die Krise kam und kommt, hat dagegen sehr viel mit Einzelentscheidungen von herrschenden Personen mit Regierungsgewalt und mit Zufällen zu tun. Viele der Entscheidungen, die im Rückblick besonders großen Einfluss auf den Pandemieverlauf (im positiven oder negativen Sinn) hatten, wie z.B. die Frage, auf welchen Impfstoff bzw. auf welches Impfschema man setzt, waren ja Entscheidungen, die nicht im eigentlichen Sinn „demokratisch“ getroffen wurden (weil das in Bezug auf diese Entscheidungen auch nicht besonders sinnvoll gewesen wäre). Bei solchen Entscheidungen kann aber ein Entscheider sowohl in der Demokratie als auch in der Diktatur ein glückliches Händchen oder gute Berater haben oder eben auch nicht. Man kann zwar anführen, dass der Impfstoff-Nationalismus China jetzt vor Probleme stellt. Vor dem Impfstoff-Nationalismus sind aber auch demokratische Staaten nicht unbedingt gefeit. Und ob die Menschen Europa auch mit dem besseren schützenden mRNA-Impfstoff geimpft wären, wenn dieser nur in China oder Rußland entwickelt und produziert worden wäre, halte ich auch für fraglich. zu 2.) Themen wie Maskenpflicht oder Schließung von Freizeiteinrichtungen fallen eher in den Bereich der eigentlichen demokratischen Entscheidungsfindung. Allerdings kann bei diesem Thema jede Entscheidung keine reine Mehrheitsentscheidung sein, sondern sie muss auch die Grundrechte von Minderheiten berücksichtigen. Das hat dazu geführt, dass in den vergangenen 2 Jahren in unserer Demokratie sehr viele Diskussionen über Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseinschränkungen (Einschränkungen der Freiheit z.B. bei der Freizeitgestaltung) zum Schutz der Grundrechte von verschieden großen Minderheiten (z.B. Gesundheit und Leben der Vorerkrankten oder Unversehrtheit der potentiellen LC-Betroffenen) geführt wurden und sehr oft nicht die Parlamente das letzte Wort hatten, sondern Gerichte über die Fragen entschieden haben: Wieviel Freiheitseinschränkung ist für den Schutz der Gesundheit von 0,1%, von 1%, von 5%, von 20% der Menschen noch „erlaubt“ bzw. vertretbar/verhältnismäßig? Allerdings wird es irgendwann durchaus fragwürdig, ob man es noch im eigentlichen Sinne als demokratisches Kerngeschäft verstehen kann. wenn Richter darüber entscheiden, was bei einer solchen zutiefst ethischen Frage, die Ähnlichkeiten zum Trolley-Dilemma aufweist (m.E. ist die Frage noch viel mehr als die Impfpflichtfrage eine individuelle ethische Frage) juristisch gesehen „verhältnismäßig“ ist. In der juristischen Abwägung kommt eine nicht so einfach zu klärende Abwägung zwischen den Grundrechten bekannter Minderheiten (z.B. dem Recht eines Gastronoms sein Lokal zu öffnen oder dem Recht eines aktiven Fußballfans, ins Stadion zu gehen ) und den Grundrechten abstrakter Minderheiten (z.B. denjenigen 4 Prozent, die einen schweren Verlauf oder z.B. LongCovid zu befürchten haben, die man aber noch nicht als dieser Gruppe zugehörig kennt) ins Spiel. Nimmt man einzelne juristische Entscheidungen der letzten 2 Jahre, kann man feststellen, dass deutsche Gerichte in beide Richtungen entschieden haben: einmal für den Schutz der Freiheitsrechte von bestimmten Gruppen, einmal für den Gesundheitsschutz von abstrakten Minderheiten mit potentiellen C-Folgen. Es ist also auch in Demokratien keine eindeutige Richtung, welche Rechte welcher Minderheiten wie gewertet werden. Und zum Besten aller können eben auch auch Demokratien nicht entscheiden, wenn zwei Grundrechte einander gegenüberstehen. Dass es keine demokratische und diktatorische Richtung bei der C-Bewältung gibt, zeigt sich auch daran, dass demokratische und diktatorische Staaten zurecht ähnlichen Ergebnissen kommen können: In Diktaturen wie China, aber auch in einer Demokratie wie Neuseeland wurde mit den massiven Lockdowns zur Eindämmung die Freiheit einer bekannten Minderheit beschnitten, um die von der personellen Besetzung her noch unbekannte Minderheit der Menschen mit schwerem Verlauf oder LongCovid zu schützen. In anderen Ländern (Demokratien wie Schweden und Diktaturen wie Belarus) war es eher umgekehrt. Insgesamt erscheint es mir deshalb als viel zu grob vereinfachend, beim Pandemie-Thema davon auszugehen, dass Diktaturen zulasten von Minderheiten entscheiden und Demokratien nicht. Vielleicht haben alle anderen den verlinkten Text sowie schon so gelesen. Dann bitte ich um Entschuldigung. Ansonsten freue ich mich über konstruktiven Diskussions-Input von allen, die bis hierher gelesen haben. Ich komme allerdings voraussichtlich erst wieder heute Abend dazu, hier zu lesen.
Ich finde solche Vergleiche unglücklich, denn wie kann man denn Zahlen aus China, dem Iran oder Nordkorea vertrauen? Das ist ja schon bei Demokratien schwierig, die einen testen viel, haben daher hohe Inzidenzen, die anderen eben nicht. Wer kommt jetzt warum besser/schlechter durch eine Welle? Südafrika & UK haben viel sequenziert, was zu ihrem (wirtschaftlichen) Nachteil war.
Hallo fritzi, ich hatte deinen Text unten auch schon gelesen und diesen hier ebenfalls und bin beeindruckt - ich gebe zu, dass ich mir weder beim Lesen des Textes noch beim Einstellen hier so viele und so differenzierte Gedanken dazu gemacht habe wie du. Leider fehlt mir gerade heute absolut die Zeit, um detailliert zu antworten - ich wollte aber zumindest rückgemeldet haben, das ich gelesen habe, was du schreibst. Wahrscheinlich krankt die Argumentation des Autors - abgesehen davon, dass Demokratien selbstverständlich grundsätzlich Diktaturen vorzuziehen sind - tatsächlich, weil sie stark zugespitzt und in ihrer Kernaussage nicht zu halten ist, weil es in einer Pandemie um Fragen geht, die über politischen - und vielleicht sogar menschlichen - Entscheidungsprozessen angesiedelt sind, weshalb es ein Stück weit auch Glückssache ist, wie viel persönliches (menschliches, moralisches...) Format die Entscheider haben und wie gut sie die Sachlage analysieren und dabei verschiedene Aspekte klar - und von außen nachvollziehbar - priorisieren zu können. Mehr kann ich zum Thema leider im Moment nicht schreiben, bedanke mich aber für den Denkanstoß und hoffe, dass sich noch mehr Leute zur Frage melden. Ob man den angegebenen Zahlen trauen kann, ist noch mal eine andere Frage, die man nicht allein danach entscheiden kann, ob ein Staat eine Demokratie oder Diktatur ist. Das ist immer auch eine Kapazitäts-, Erfassungs- und Meldefrage, und test- und meldetechnisch kommt gerade auch Deutschland ja deutlich an seine Grenzen.
Danke schon einmal für den gedanklichen Input. Mich treibt das Thema im Moment sehr um, weil ich im näheren und ferneren Bekanntenkreis inzwischen mehrere Fälle verfolgen musste, wo sich Menschen mit m.E. guten Gründen von diesem Staat nicht mehr vertreten fühlen - und zwar nicht ganz banal, weil man in einer Demokratie nun mal nicht die Entscheidungen kriegt, die man sich wünscht, sondern aus individuell durchaus nachvollziehbaren, teils gegensätzlichen Gründen. In allen Fällen spielt aber eine Rolle, dass die jeweils sehr lebensbestimmenden politischen Entscheidungen so eigentlich nicht als Ergebnis eines demokratischen und auch ethisch nachvollziehbaren Abstimmungsprozesses haltbar sind, wenn man sie genauer anschaut. Das Problem, das dahinter stehen könnte, bringst du mit der Aussage, dass "... es in einer Pandemie um Fragen geht, die über politischen - und vielleicht sogar menschlichen - Entscheidungsprozessen angesiedelt sind, weshalb es ein Stück weit auch Glückssache ist, wie viel persönliches (menschliches, moralisches...) Format die Entscheider haben und wie gut sie die Sachlage analysieren und dabei verschiedene Aspekte klar - und von außen nachvollziehbar - priorisieren zu können" recht gut auf den Punkt.
Leider mit nur sehr wenig Zeit würde ich zunächst bei Deinen ausführlichen Gedanken nachhaken: Was sind denn nun wirklich GRUNDRECHTE? Ist es ein GRUNDrecht, ins Fuballstation zu gehen, das gegenüber dem wohl unbestrittenen Grundrecht "Recht auf Leben" Vorrang hat? Hat jemand einen gesetzlichen Anspruch auf den Besuch des Fußballstaions? Ich glaube, viele Dinge, die wir eben bislang als selbstverständlich für unser Leben und unsere Freiheit betrachtet haben, müßten nochmal auf den Prüfstand in einer Situation, die Menschenleben gefährdet. Gerade gestern hat mich hier in einem dänischen Kommentarstrang entsetzt, daß wieder (leider: wieder) jemand den Impfpaß mit dem Judenstern vergleicht. Da zeigt sich doch, wie mißverständlich, um nicht zu sagen falsch, der Begriff Freiheit überstrapaziert wird und wohl auch falsch definiert, von den Grundrechten ganz zu schweigen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Auich ich möchte wieder ohne dies alles zum Chor, in den Unterricht, ins Konzert und sonstwohin gehen können. Aber es gilt doch abzuwägen, wo die Freiheit des Einzelnen aufhört und das Grundrecht auf aller auf Leben, aber auch Freiheit, beginnt. Das nennt sich auch Verantwortung. Wenn die Freiheit einzelner, sich so aufzuführen als gäbe es keine Eigenverantwortung und keine Solidarität mit dem Staat und der Gesellschaft, wenn diese Freiheit also dazu führt, daß dadurch die Grundrechte von noch mehr Menschen eingeschränkt und gefährdet werden, allen voran das Recht auf Leben und Gesundheit, dann endet die Freiheit des einzelnen genau da. Frei nach Rosa Luxemburg. Und die Gesellschaft allüberall krankt doch eben gerade daran, daß die eigene Freiheit bedenkenlos über die aller anderen gestellt wird. Daß dies nicht geschieht zu Ungunsten von Kranken, schwachen, Alten, Kindern etc. - afür müssen der Staat und die Gesetzgebung sorgen. Daß dies nicht bei allen gleich populär ist, verstehe ich, gehört aber zur Demokratie ebenso wie die Forderung, daß sich bitte-danke in einem demokratischen Staat alle zum Wohl aller unterzuordnen zu haben - in einer Diktatur wird diese Unterordnung zum Wohl des Alleinherrschers und ggf. noch seiner Clique eingefordert. In einer Demokratie sind die Wege bis zu einem Entschluß länger, schwieriger, kontroverser. Was nachteile hat, unebstrittenm in zeiten, wo schnell und entschlußfreudig gehandelt werden muß. Was aber auch Vorteile hat, wei lman so eben mehr Meninungen ,auch zu den diversen Impfstoffen, hären und danach erst entscheiden kann. In einer Diktatur entscheidet einer allein - überspitzt gesagt - und das kann ist dann deutlich schnelleres Handeln und das ist gegenüberedemokratischen Vorgängen vorteilhaft. Es führt aber bei der Entscheidungsfindung leicht zu einseitigem Tunnelblick und der Bevorzugung eigener Interessen- Damit wiederum ist dem Bürger, dem Land, der Gesellschaft nicht gedient. Gruß Ursel, DK
Zunächst nur ganz kurz: Genau diese liberale Freiheit ist ja in den einschlägigen Diskussionen der C-Zeit oft als Grundrecht hochgehalten worden und der Schutz dieser Freiheitsrechte (z.B. der Freiheit, eine Gaststätte zu öffnen) ist durchaus auch in einzelnen juristischen Entscheidungen über den Schutz des Lebens gestellt worden - wohl v.a. deshalb, weil es gar nicht so einfach ist, mehr als nur äußerst grob den Einfluss von Gastronomiebetrieben auf die Inzidenz und damit auf die Krankheitsfälle, die ja wiederum zum Zeitpunkt der Entscheidung noch abstrakt sind, zu beziffern. In solchen abstrakten Gedankenketten zu beweisen, dass jetzt genau die Gastronomie so und so stark zur Inzidenzsteigerung beiträgt oder eben nicht, ist ja kaum möglich. Damit entzieht sich aber eine solche Entscheidung etwas der demokratischen Abstimmung. Wesentlich für eine sinnvolle Entscheidung in einem solchen Zusammenhang werden Fakten. Und die gibt es ja nicht als unverzerrte rein naturwissenschaftliche Daten - zumindest noch nicht. Ein Beispiel: In der Debatte über Schulschließungen wurde oft psychisches Leid von Kindern (z.B. derer, die zu Hause misshandelt werden) gegen physische C-Folgen wie Hospitalisierung, LongCovid oder PIMS gegeneinander ausgespielt. Grundsätzlich sind das ja tatsächlich zwei Aspekte, die man gegeneinander gewichten muss. Ohne Information zu der Häufigkeit der jeweiligen Beeinträchtigungen, kann man gar nicht sinnvoll die Verhältnismäßigkeit bestimmter Maßnahmen abschätzen. Nun gibt es zwar noch zu Hospitalisierungsraten bei Kindern einigermaßen verlässliche Daten, alles andere ist schwammiges Gerede von den - mir hier sehr unrühmlich auffallenden - Kinderarztverbänden über den milden Krankheitsverlauf in den allermeisten Fällen bei Kindern, ohne zu definieren, was "milde" oder "die allermeisten" bedeutet. Auch über die genauen PIMS-Zahlen kann man im Moment nur spekulieren, weil das DGPI-Register ein freiwilliges Register ist, an das nur die Hälfte der Kliniken melden. Die Daten aus internationalen Studien und Registern kommen zu sehr unterschiedlichen Häufigkeitsraten. Ähnlich beim psychischen Leid: Es gibt nach wie vor keine verlässlichen Daten z.B. über die Zahl der Suizidversuche bei Kindern in einem bestimmten Zeitabschnitt. In der Situation werden (vermeintliche) Fakten zum Instrument starker politischer Beeinflussung. Wenn sich dann vor bestimmten Entscheidungen bestimmte bestimmte Persönlichkeiten zu Wort melden und auf eine in einer Richtung tendenziöse Studie verweisen, dann beeinflusst das die Politik, weil für alle, die nicht tief in der Materie drinstecken gar nicht mehr klar ist, welche Fakten jetzt halbwegs gesichert sind und welche aus einem noch sehr schwammigen Feld in klarer politischer Intention als eine mit einem extremen Ergebnis herauspickt wurde. Weil die wenigsten Poltiker (aber auch die wenigsten Richter) genügend Einblick in die Materie haben, werden in Bereichen wie C-Entscheidungen Versuche von allen Seiten getätigt, um die Fakten so darzustellen, dass die eigene Meinung sich quasi automatisch als einzig richtige aufdrängt und die gegenteilige als nicht verhältnismäßig erscheint. Solange also noch nicht das Wissen zu allen Fakten mit ausreichender wissenschaftlicher Evidenz da ist (und das ist es wohl in den allermeisten Aspekten zum C-Thema nicht), hat die öffentliche Faktendarstellung durch einschlägige Fachleute und Pseudofachleute großen Einfluss bei der Beeinflussung von politischen Entscheidungen, die Faktendarstellung in der Öffentlichkeit folgt aber eben nicht rein demokratischen Prinzipien, sondern z.B. auch der Macht des Geldes. Es kann also sein, dass zwei politische Entscheidungsträger rein abstrakt der gleichen Meinung sind, z.B. dass Schutz des Lebens höher zu bewerten ist als Schutz der Freiheit, dass beide aber unterschiedlichen fachlichen Beratern vertrauen und damit zu einer konträren politischen Entscheidung kommen. Das dürfte zwar bei vielen Themen so sein (so z.B. bei der Klimapolitik) so sein, bei der Corona-Politik mit der ungenauen und ständig durch neue Varianten-Situationen sich ändernden Datenlage, ist es aber besonders eklatant.
Hä!?
Nur, weil man sich halt auf die Erkenntnisse stützen muss, die man eben im Moment hat, wird doch eine Entscheidung nicht undemokratisch oder ist deswegen nicht mehr rechtsstaatlich...
Wie soll man es denn sonst machen als mit dem zu arbeiten, was man hat? Dann dürfte man ja gar keine Entscheidung fällen, solange man nicht extrem wasserdichte Fakten zur Verfügung hat.
Diesen Beitrag kann ich im Großen umd Ganzen unterschreiben. Ich glaube nämlich auch nicht, dass die Frage, wie gut die Corona-Krise an sich bewältigt wird, von der Staatsform abhängt (dass in Diktaturen dabei meistens weniger Rücksicht nehmen auf die Bevölkerung, geschenkt).
Nur der Passage, dass es ein Zeichen von mangelnder oder zumindest erodierender Demokratie sei, dass Gerichte über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen/Gesetzen entscheiden mussten, kann ich nicht zustimmen. Das ist doch gerade im Rechtsstaat Aufgabe der (Verwaltungs)Gerichte und ggf. des Bundesverfassungsgerichts und auch nichts Neues. Dafür gibt es diese Gerichte doch schon immer... und unterbeschäftigt waren die auch noch nie.
Die Frage bleibt aber, warum immer mehr Menschen an der Demokratie zweifeln, "nur", weil etwas nicht so läuft, wie sie es gerne hätten. Das ist doch jetzt auch nicht neu.
Vielleoxht, weil jetzt eben im Grunde alle auf einmal ganz spürbar von Entscheidungen betroffen sind
Zu: "Nur der Passage, dass es ein Zeichen von mangelnder oder zumindest erodierender Demokratie sei, dass Gerichte über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen/Gesetzen entscheiden mussten, kann ich nicht zustimmen." Ich finde nicht, dass das ein Zeichen mangelnder Demokratie ist. Aber dazu nochmal verkürzt die Überlegung, die ich oben schon bei Ursel geschrieben habe: Wesentlich für eine sinnvolle Entscheidung, ob z.B. eine Freiheitseinschränkung zugunsten des Gesundheitsschutzes verhältnismäßig ist, sind Fakten. Und die gibt es ja nicht als unverzerrte rein naturwissenschaftliche Daten - zumindest noch nicht. Es kann also sein, dass zwei politische Entscheidungsträger rein abstrakt der gleichen Meinung sind, z.B. dass Schutz des Lebens höher zu bewerten ist als Schutz der Freiheit, dass beide aber unterschiedlichen fachlichen Beratern vertrauen und damit zu einer konträren politischen Entscheidung kommen. Hier spielen dann eher undemokratische Prozesse eine Rolle, die bestimmen, welche Fakten welcher Güte wie in die öffentliche Diskussion oder auch in eine gerichtliche Abwägung eingebracht werden. Mir fällt auch kein besseres "demokratischeres" Verfahren ein, um der Unsicherheit Rechnung zu tragen. Aber solange unklar ist, ob 0,1% oder 10% der Corona-Patienten LC bekommen, kann man einfach kaum demokratisch entscheiden, welche Eindämmungsmaßnahmen verhältnismäßig sind und welche nicht. Das ist bei allen Entscheidungsträgern (seien es jetzt Parlamentarier, Ministerpräsidenten oder Richter) schon auch eine gute Portion Bauchgefühl und damit Zufall, welchem Experten und welchen Fakten man jetzt eher vertraut. Vielleicht haben Demokratien grundsätzlich eher die Tendenz, nicht die ganz extremen Fakten als Grundlage ihrer Verhältnismäßigkeitsentscheidung zu machen, aber das scheint mir nur eine Tendenz zu sein.
Warum denn nicht? Die Entscheidungen werden doch trotzdem im demokratischen, rechtsstaatlichen Verfahren getroffen (und wenn nicht, ist auch das im Rechtsstaat justiziabel). Wenn eine Entscheidung nur dann "demokratisch" wäre, wenn es keinerlei Unwägbarkeiten mehr gäbe, und man schon alles wüsste, dann dürften oft gar keine Entscheidungen getroffen werden. Ich ahne, was Du meinst und stimme zu, dass sich eine Entscheidung später möglicherweise als falsch herausstellen könnte, die Abwägung anders getroffen werden müsste. Natürlich!Aber das macht sie doch nicht "undemokratisch" .
zu verhindern. Spätfolgen werden ausgeklammert. Das beinhaltet auch, dass der Kurs so ist, dass der Eisberg ( die Überlastung) knapp verfehlt wird oder geschrammt wird.
Des Gesundheitssystems
Das ist leider so. Das ist aber nach meinem Eindruck nicht das Ergebnis einer offenen Abwägung aufgrund der Berücksichtigung von Fakten und Daten aus allen möglichen Quellen - mit dem Ergebnis, dass man sich bewusst gegen eine Berücksichtigung von möglichen Spätfolgen bei Entscheidungen entschieden hat. Die Überlastung des Gesundheitssektors zu vermeiden war und ist der Minimalkonsens, der auch schnelle Krisen-Entscheidungen ohne direkte Parlamentsbeteiligung legitimiert hat. Darüber hinaus müsste die Politik zwar nach 2 Jahren so weit sein, sich auch mit nur subakut dringlichen Aspekten wie Spätfolgen auseinander zu setzen. Wahrscheinlich fehlt die politische Debatte über den Umgang mit möglichen Spätfolgen bei der Kursfindung aber deshalb, weil das Thema da zu kompliziert wird, so dass Politiker - was ja ein gängiger menschlicher Bewältigungsmechanismus in Krisen ist - das Thema nicht zur Kenntnis nehmen bzw. zu verdrängen.
wissen kann, ob und wie lange anhaltende Spätfolgen auftreten. Was weiß man eigentlich über Spätschäden bei Sars1? Ich habe mal was gelesen über Lungenschäden bei Überleben den, aber nichts darüber hinaus.
Leben und körperliche Unversehrtheit sind ja halt nicht die einzigen Grundrechte ... und es gibt auch nocht nur gesundheitliche Spätfolgen Jetzt beklagst Du Dich über den "Minimalkonsens". Das ist doch inkonsequent zu Deinen sonstigen Ausführungen! Denn hätte man bei eben nach wie vor noch nicht ganz so riesiger Erkenntnislage sich stärker in eine Richtung positioniert, wäre die Entscheidung ja noch "undemokratischer" so, wie Du es verstehst. Gut, wäre Dir wahrsxheinlich wursxht, wenn die Entsxheodung in Deinem Sinn ausfallen würde ...
Ich beklage mich, dass man nach 2 Jahren Pandemie immer noch nicht über den Minimalkonsens des Wir-dürfen-die-Krankenhäuser nicht überlasten (der in der anfänglichen Krisenlage gut und richtig war) hinaus gelangt ist und keine breitere Debatte über die Wertigkeit verschiedener Grundrechte, die Relevanz von Entscheidungsparametern und die Güte von Fakten, auf die man sich bei Entscheidungen stützt, geführt wird. Ich meine: Man hat sich z.B. in puncto "Umgang mit möglichen Spätfolgen" nicht auf einen Mittelkurs festgelegt, sondern auf Nicht-Handeln im Sinne von Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen des Themas als relevantem Thema (wohl, weil die Beschäftigung damit vielen zu kompliziert erscheint) Das entspricht aber nicht einmal dem gemäßigten, unteren Rand des wissenschaftlichen Konsens darüber, inwieweit und zu welchem Anteil LongCovid-Folgen die Bevölkerung betreffen, sondern das Thema wird in der politischen Debatte und in den juristischen Aufarbeitungen einfach ausgeblendet, vielleicht auch, um wie beim Trolley-Dilemma einfach nichts und damit nichts falsch machen zu können.
Ja aber glaubst du denn irgendwelche Regime würden sich um die Long Covid Gefahr in der ihre Bevölkerung schwebt scheren? Hierzulande wird jedem eine Impfserie angeboten, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit schützt. Und selbst dazu muss man Teile der Bevölkerung drängen, was wiederum ihre Rechte einschränkt (aber trotzdem vermutlich rechtlich begründet und verfassungskonform ist).
Wenn sich kein Regime im LongCovid kümmert, macht es das ja nicht besser. Wenn man Entscheidungen sinnvoll unter Abwägung aller Belange treffen will, würde z.B. die potentielle Existenz dieser Kategorie (die ja nicht nur eine unerhebliche Randproblematik darstellt) mit in die Abwägung gehören, sonst ist sie unvollständig. Dass das Thema ausgeblendet wird, ist in den meisten Fällen wohl gar nicht böser Wille oder bewusstes Ignorieren, sondern einer gewissen Überforderung geschuldet. Auch das macht es aber nicht besser.
Du beklagst Dich ALLEIN deswegen, weil es nicht so läuft, wie DU es gerne hättest. Und da wären wir wieder beim Anfangspunkt: wohl gesetzte Worte, aber im Grunde nichts anderes als die Schwurbler! Die beklagen sich halt in die andere Richtung.
Nein das stimmt so nicht. Soviel Sublimations-Fähigkeit, um von eigenen Interessen abzusehen, habe ich durchaus, um eigenes Ziel und demokratische Entscheidungsfindung zu trennen.. Ich persönlich wäre z.B. eigentlich sehr dafür, dass es eine Impfpflicht für Erwachsene gibt und finde, dass es auch sehr gute Gründe dafür gibt. Dennoch würde ich mich nicht beklagen, wenn sie nicht kommt, weil ich eine Impfpflicht für gesellschaftlich, aber auch demokratisch problematisch halte. Ich würde mich - nach bisheriger Überlegung - als Abgeordneter bei diesem Punkt wohl enthalten, obwohl ich von den positiven Auswirkungen überzeugt bin und denke, dass das Impfrisiko jedem gesunden Erwachsenen zumutbar wäre. Zum Rest schreibe ich unten noch etwas.
Trotzdem blendest du aus, dass es seit über 1 Jahr zugelassene Impfungen gibt, die vor dem Long Covid Syndrom schützen sollen. Welche staatliche Entscheidung diesbezüglich soll es denn geben, außer die dringende Aufforderung dieses Angebot auch zu nutzen.
Nach meinen Informationen schützen die Impfungen nur mangelhaft vor LongCovid. Einige Studien zeigten keinen Schutz beim Vergleich von Infektionen Ungeimpfter mit Durchbruchsinfektionen, andere zeigten eine Schutzwirkung von bis zu 50%. Da die Rate der Durchbruchsinfektionen mit Omikron allgemein, aber insbesondere bei den höchstens 2x geimpften U12-Jährigen wesentlicher höher liegt als bei Delta (Mehr als 2 Monate nach Zweitimpfung hatten in Israel 2x geimpfte 5-11-Jährige weniger als 50% Schutz vor symptomatischer Infektion), bleibt ein eher mauer Schutz vor LC durch die Impfung.
Danke fürs Aufdröseln, mir zuckte es gestern schon in den Fingern, auf Hases Post zu antworten, denn ich fand die Schwarz-Weiß-Liste des Autors ebenfalls nicht stimmig und zu kurz gedacht. Demokratie ist unser wichtigstes und wertvollstes Gut. Dennoch zeigt eine Pandemie, dass in einer großen Krise rasche, klare Entscheidungen und zentrale Handhabe hilfreich sind. Das Virus wartet eben nicht höflich ab, bis sich auch das letzte Glied im föderalistischen Gerangel befriedigt fühlt. Ich habe deine Antwort noch nicht gelesen, bin auch schon im Bett - hole ich morgen nach.
Aber auch in Demokratien gibt es rechtliche Grundlagen, die es ermöglichen schnell, rasch und einschneidend zu reagieren (z Bsp hier in Österreich Epidemiengesetz, der Gesundheitsminister kann das ganze Land still stehen lassen. Portugal hat seine Impfkampagne von einem Marinegeneral militärisch organisieren lassen.) Im Gegensatz zu Diktatur muss der Grundrechtseingriff ausreichend begründet sein. DAS ist der Unterschied.
Zu deinem letzten Satz: Die Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur verschwimmen aber etwas, wenn es nicht um Freiheits- (=Grundrechtseinschränkungen) für alle oder viele zugunsten der Gesundheit und des Lebens weniger geht, sondern wenn es, wie es wie auch in meinem obigen Beispiel um Grundrechtsschränkungen für die eine Minderheit (z.B. durch die Kasernierung einer ganzen Stadt, in der es die ersten bekannten Infizierten in einem Land gibt) zugunsten der Gesundheit einer anderen Minderheit (der Minderheit, die an einer Corona-Infektion stirbt bzw. Langzeitfolgen davonträgt) geht. Auch die Problematik der unsicheren Faktenlage, die bei der Frage der "ausreichenden Begründung" bzw. der "Verhältnismäßigkeit" zu einer immer angreifbaren Einschätzung führt (siehe Antwort auf Ursel) verwässert die demokratischen Prinzipien m.E. durchaus, weil es für die breite Masse der Menschen (und damit auch für die Politiker, aber auch die mit einer Frage betrauten Juristen) bei so unabgeschlossenen Fragestellungen oft kaum entscheidbar ist, ob z.B. eine Minderheit aus 0,1%, wie die einen sagen, oder aus 5%, wie andere sagen, besteht. Das ist aber doch u.U. entscheidend für eine sinnvolle abwägung nach demokratischen Prinzipien. Unter normalen Umständen würde man mit einer Entscheidung warten, bis die Faktenlage klarer ist. Das kann man sich aber im Moment meist nicht leisten. So gewinnen die medial getätigten Darstellungen von Experten und Pseudo-Experten (die in ihrer Dichte und Medienpräsenz durchaus auch von reichen Institutionen und Einzelpersonen gepusht werden) eine m.E. so dominante Rolle, dass es dem demokratischen Gedanken etwas zuwider läuft. Ich habe auch keine Idee, wie man das in der aktuellen Situation "demokratischer" lösen könnte. Aber die Frage der Verhältnismäßigkeit bzw. die Frage, ob eine Grundrechtseinschränkung ausreichend begründet ist, ist je kaum eindeutig zu beantworten. Je nach individueller Lebenseinstellung kann man z.B. die Grundrechtseinschränkungen für die kasernierten Erntehelfer oder Tönniesmitarbeiter bzw. die Wuhan-Einwohner für ausreichend begründet halten oder auch nicht. Für beide Seiten kann man gute Argumente finden.
Warum, das Abriegeln von Tälern (oder Städten) mit extrem hohen Infektionszahlen oder zur Verhinderung der Verbreitung von Mutationen musste eben ausreichen begründet werden. Gab es ja hier auch in Tirol, Vorarlberg, Kärnten oder in Italien Region Bergamo. Da stand das jeweilige Bundesheer. China hat ja eben NICHT abgeriegelt, sondern beschwichtigt & vertuscht und via Chinesischem Frühlingsfest sehenden Auges zugelassen, dass eine Pandemie überhaupt entsteht.
China hat ja später auch abgeriegelt. Aber wonach bemisst sich denn, ob die Begründung für eine Abriegelung als ausreichend verhältnismäßig betrachtet werden kann oder muss? Welcher Politiker bzw. welches Gericht kann das aufgrund welcher Fakten gut und sinnvoll entscheiden? Das ist ja sehr relativ. Es gab z.B. hier in Deutschland 2020 verschiedene Cluster (z.B. bei Tönnies oder den Spargel-Erntehelfern), bei denen es zu einer relativ rigiden Abriegelung kam, in anderen Fällen kam man zu einer anderen Einschätzung in Bezug auf Verhältnismäßigkeit, die aber kaum durch wesentlich andere Faktenlage begründbar ist.
Ja zu spät, nachdem überall hin gestreut und in Italien massenweise gestorben wurde. „Aber wonach bemisst sich denn, ob die Begründung…“ Hier nach dem Epidemie Gesetz, in Italien und anders wo wird es Ähnliches geben. Und ob die Begründung letztlich ausreichend war entscheidet die jeweilige gerichtliche Letztinstanz.
Auch für die gerichtliche Letztinstanz ist die Abwägung der Verhältnismäßigkeit von Abriegelungsmaßnahmen ja davon abhängig, wie erfolgreich eine solche Maßnahme beim Bremsen der Infektionszahlen ist, wie viele Todesfälle man dadurch vermeiden kann, welche anderen Maßnahmen mit ähnlichen Auswirkungen es geben könnte ... Das sind aber alles Fragen, zu denen in der wissenschaftlichen Diskussion bis jetzt nur ein so grober Konsens gefunden wurde (wenn man überhaupt von Konsens sprechen kann), dass die Entscheidung des Gerichts sehr davon abhängt, ob ein individueller Sachverständiger eher die Fakten von dem einen Pol des groben Konsens herausstellt, oder die des anderen Pols. So wird auch die gerichtliche Letztinstanzentscheidung zu einem gewissen Teil zufällig bzw. willkürlich. Das gilt zwar irgendwie für alle komplexeren Themen, aber zu wenigen komplexen Themen dürfte der Fachkonsens bezüglich existenzieller Fragen (wie der, wie viele Prozent der C-Infizierten wirkliche LongCovid-Leidtragende und damit für den Rest ihres Lebens teils deutlich gehandicapt sind) noch derart vage sein.
Ich wüsste aber trotzdem nicht welche Diktatur „gut“ aus der Misere ausgestiegen wäre (China wirtschaftlich, das stimmt). Chinas Erklärungen zum Einschleppen per kanadischer Post oder norwegischer Lachse über das sinnlose Keulen von Hamstern kommt mir nicht sehr plausibel vor. Und die selbst erzeugten Impfstoffe dürften auch nicht berauschend wirken.
Entscheidungen von Gerichten hängen sehr oft von Sachverständigen ab. Geht ja nicht anders. Letzrlich könnte man mit Deiner Argumentation in einer in Deinem Sinn wirklichen Demokratie in so einem Fall wie der Corona-Krise (aber durchaus auch z.B. der Klimakrise) überhaupt keine oder zumindest keine demokratisch-rechtsstaatlichen Entscheidungen treffen und das ist doch, sorry, Quatsch! Demokratisch-rechtsstaatlich heißt ja nicht, kann nicht heißen, dass für alle Zeiten in Stein gemeißelt die ultimativ perfekte Entscheidung getroffen wird. Dann könnte man wie gesagt oft gar nicht entscheiden. Demokratisch-rechtsstaatlich heißt einfach, dass die zuständigen demokratisch legitimierten Organe nach dem vorgesehenen Verfahren auf Basis einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage entschieden haben und außerdem, dass die Entscheidungen gerichtlich nachprüfbar sind, insbesondere die Verhältnismäßigkeit geprüft wird, also, ob eine Maßnahme zur Erreichung des Zwecks geeignet ist, ob sie erforderlich ist d.h., ob es kein milderes Mittel hins. Eingriffen in (Grund)Rechte gibt und ob sie verhäötnismäßig im engeren Sinn ist. Gerade für diese Verhältnismäßigkeitsüberlegungen interessieren sich Diktaturen eher weniger... Manchmal, wie vielleicht auch bei der Pandemiebekämpfung, kann dann auf das "geeignetste" Mittel zurückgegriffen werden, z.B. Millionen Menschen werden extrem kurzfristig einfach zuhause festgesetzt. Das klappt hier eher nicht ...
Du bringst selber einen neuen Begriff ins Spiel, nämlich "rechtsstaatlich". Rechtsstaatlich ist das Verfahren ohne jede Frage. Es folgt dem in unserer Verfassung verankerten Prinzip der Prüfung von Entscheidungen durch Gerichte. Bei so unklarer Faktenlage wird aber die Entscheidung der Verhältnismäßigkeit so willkürlich, dass man rechtsstaatlich, durch wissenschaftliche Gutachten abgesichert und juristisch einwandfrei höchstwahrscheinlich genauso die Verhältnismäßigkeit der Wuhan-Abriegelung bzw. der rektalen Corona-Tests bei Einreisenden begründen und absegnen kann, wie man die Unverhältnismäßigkeit der Beschneidung der Freiheit, Après-Ski-Vergnügen zu genießen bei Inzidenzen von 2000 belegen kann. Das gilt sicher in einem gewissen Grad auch für andere Entscheidungen. Aber es gab wohl selten in der Geschichte unserer Demokratie so viele politische Entscheidungen, bei denen Grundrechte in so entscheidendem Maße tangiert wurden und bei denen die Frage der Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseinschränkungen (die ja quasi mit einem Bein schon im Gerichtssaal stehen) so im Kern des Entscheidungsprozesses stand. Weil die Prüfung der Verhältnismäßigkeit (von Grundrechtseinschränkungen zum Schutz anderer Grundrechte) an die Gerichte verschoben wird, wandert aber die Letzt-Entscheidungsgewalt bezüglich des Kerns vieler C.-Themen vom eigentlichen Volkssouverän, dem Parlament, an die Gerichte. Das ist nicht undemokratisch, entspricht aber auch nicht dem demokratischen Grundgedanken einer Mehrheitsentscheidung bezüglich widerstrebender Interessen durch den Volkssouverän und der möglichen Prüfung durch Gerichte. Ich weiß nicht, ob es so klarer wird, was ich meine. Ich bin zu müde. Vielleicht versuche ich es morgen noch einmal.
Du brauchst es nicht mehr "versuchen", es ist einfach Blödsinn!
Es ist genau Aufgabe der Gerichte, solche Entscheidungen zu treffen, schon immer! Genau dafür sind sie da! Und die Verhältnismäßigkeit ist häufig zu prüfen, ich würde sogar sagen, sie ist sogar in den meisten Fällen, der Knack- bzw. Problempunkt.
Und natürlich ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung nichts absolut Exaktes, wo es nur eine Lösung geben kann, dennoch kann man damit nicht "alles" begründem könnte, stimmt auch wieder nicht. (Es würde vielleicht nicht schaden, man wüsste überhaupt, wovon man spricht ... ).
Ich versuche noch einmal auf anderem Wege, mein Unbehagen zum Ausdruck zu bringen: Vielleicht kann man das Ganze auf 3 Punkte zuspitzen: 1.) In einer Demokratie werden Entscheidungen durch Volksvertreter nach Mehrheitsbeschluss getroffen. Dies folgt in vielen Demokratien einem etablierten Verfahren der Wahl von Parteien, Koalitionsverträgen etc. Bei den Entscheidungen wird versucht, gemäß den sich durch die Wahl ergebenden Mehrheiten einen gerechten Ausgleich der Interessen in einer Gesellschaft zu finden. So weit, so gut. Komplizierter wird es, wenn durch solche Entscheidungen die Grundrechte von Minderheiten (am Rande oder in voller Breitseite) verletzt werden. Soweit die Volksvertreter dies bei der Abstimmung nicht ausreichend berücksichtigt haben steht theoretisch der Klageweg offen. In einer idealen Demokratie würde dieser Klageweg wirklich jeder tangierten Minderheit offenstehen, real ist das aber ja nicht so. Viele Menschen haben weder genügend Wissen, noch genügend Zeit oder Geld, um diesen Klageweg zu bestreiten. Dafür gibt es - wie oben erwähnt - zwar Interessenverbände oder Lobby-Gruppen. Darüber sind z.B. die Rentner recht gut vertreten. Eine einflussreiche und finanzstarke Interessenvertretung z.B. behinderter Kinder o. von Menschen mit Autismus ist mir jedoch nicht bekannt. Dass der Klageweg so eben real nicht allen Betroffenen offen steht und jeder Betroffene, der selbst nicht die Ressourcen zur Klage hat, auf einen ähnlich Betroffenen warten muss, der diese Mittel hat, ist für mich eine Abweichung von einer ideal gedachten Demokratie. Diese Abweichung gibt es bei vielen Themen. Bei Corona-Entscheidungen (und Nicht-Entscheidungen) und den damit verbundenen Grundrechtsverletzungen scheint mir die Lücke besonders groß zu sein, weil bestimmte Interessengruppen sich erst finden und bilden müssen und weil Entscheidungen vermutlich nur für einen begrenzten Zeitraum, der jetzt ist, ihre Tragweite mit Auswirkungen für viele Betroffene entfalten. Wahrscheinlich trifft das tatsächlich auf einzelne andere Themen genauso zu, mir fällt nur gerade kein Beispiel ein. Aber selbst wenn es auch andere Themen gibt, bei denen diese Lücke klafft: Es ist eine Lücke bzw. eine Abweichung von einer Ideal-Demokratie. 2.) In den letzten Monaten hörte man von Politikern oft: "Ja, wir sehen das genauso wie ihr. Auch wir kommen zu dem Ergebnis, dass es nach Abwägung aller Belange richtig wäre, zum Schutz von xy schärfere Maßnahmen zu beschließen. Aber wir können das jetzt nicht beschließen, obwohl wir es sinnvoll finden, weil uns das die Gerichte wegen Unverhältnismäßigkeit wieder kippen würden." Da steckt sicher ein gutes Stück Jedem-nach-dem-Mund-reden und die Suche nach einer einfachen Ausflucht drin. Es dürfte jedoch auch ein Körnchen Wahrheit drin stecken. Und wenn es tatsächlich ansatzweise so ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung wie auch die Mehrheit der Volksvertreter bei einer ethischen Abwägung über Grundrechte zum Schluss kommt, dass Maßnahme x sinnvoll und vertretbar ist, gleichzeitig aber absehbar ist, dass das Gericht die Maßnahme mit juristisch einwandfreier Begründung als unverhältnismäßig ablehnen würde, dann haben sich vielleicht die Maßstäbe der juristischen Bearbeitung so weit vom Werteverständnis der Mehrheit der Gesellschaft entfernt, dass das durchaus auch ein Problem ist. Dass Gerichte als Kontrollinstanz notwendig sind, ist ja v.a. dem Schutz der Grundrechte von Minderheiten geschuldet, der bei reinen Mehrheitsentscheidungen leicht missachtet wird. Bei vielen Corona-Entscheidungen hat man aber den wohl selten auftretenden Spezialfall, dass der Schutz eines Grundrechts der Minderheit 1 gegen den Schutz eines (anderen oder des gleichen) Grundrechts von Minderheit 2 steht. Und die Entscheidung darüber, ob eine Grundrechtseinschränkung der einen Minderheit zum Schutz des Grundrechts einer anderen Minderheit "verhältnismäßig" ist, ist ja im eigentlich Sinn keine juristische Frage, sondern eine ethische und Gerichte müssten deshalb die gesellschaftliche Wertediskussion mit allen vorhandenen Argumenten und Standpunkten zentral in die eigene Bewertung einbinden, was im Moment nach meinem Eindruck eher nicht geschieht 3.) Der 3. Punkt ist die mangelnde Datenlage. Dazu habe ich, denke ich, genug oben geschrieben.
Auch wenn es in meinem 2. Versuch schon steht, hier nochmal kurz die Frage: Welche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der letzten Jahrzehnte gab es denn, wo (ähnlich wie z.B. bei der Entscheidung Abriegelung eines Stadtviertels vs. Schutz des Lebens und der Gesundheit von sonst potentiell an Covid Erkrankenden) ein essentielles Grundrecht der einen Minderheit gegen ein essentielles Grundrecht einer anderen Minderheit stand? Und: Ich denke, du argumentierst eher juristisch (oder auch aus einer gewissen Richtung der Politikwissenschaft), ich argumentiere eher von der philosophischen Vorstellung einer idealen Demokratie her. Deshalb sind aber meine Gedanken nicht einfach "Blödsinn", sondern wir reden aneinander vorbei, weil du dich weigerst, die Ebene, auf der ich argumentiere, zur Kenntnis zu nehmen. Vielleicht ist das mein Fehler, weil ich die Ebene nicht klar genug gemacht habe. So hat die Diskussion aber wenig Sinn und vielleicht beenden wir das Ganze besser.
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