fritzi3
Hier ein m.E. sehr lesenswertes Interview mit dem Philosophen Markus Gabriel. Darin entwickelt er einen optimistischen Blick darauf, was Corona für die Entwicklung unseres Wertesystems bedeutet und bedeuten könnte. https://www.br.de/nachrichten/kultur/markus-gabriel-moralischer-fortschritt-universale-werte-identitaet-corona-klima-krise,S67MSAq Eine wesentliche These ist, dass Corona zu einer - positiv zu bewertenden - Diskutieren und Neujustieren des gesellschaftlichen Wertesystems geführt hat: "Wir haben ja gesehen – auch mit dem, wie ich das nenne, Startschuss der Reaktion auf die virale Pandemie –, dass das moralisch Richtige zu tun, und zwar beinahe um jeden Preis, möglich ist in einem demokratischen Rechtsstaat. Das heißt, wir haben gleich zu Beginn ja dafür gesorgt, Schritt für Schritt das Richtige zu tun, Leben zu schützen, die Überforderung unseres Gesundheitssystems abzuwehren und so weiter. Dann ging es aber noch weiter. Also mein Optimismus wurde weiter befeuert, denn wir haben andere Systemschwächen unserer globalen Ordnung auch erkannt in dieser Krise und diskutieren jetzt sozusagen im Wochentakt immer wieder neue Defizite" Im Interview äußert sich Markus Gabriel auch dazu, dass das Tragen einer Maske in Coronazeiten nicht nur als Verlust von Freiheit, sondern auch als Gewinn von Freiheit gesehen werden kann: "Deswegen glaube ich auch, dass wir eine Chance haben, das, was gelaufen ist – Stichwort Ausgangssperren, "Notstandsgesetz"-Diskussionen sowie solche um die Änderung des Infektionsschutzgesetzes – auch so zu werten, dass wir die Form unserer Freiheit geändert haben. Wir waren eigentlich nicht unfreier oder sind es jetzt durch die Maske. Sondern wir zeigen, dass wir imstande sind, das moralisch Richtige zu tun, indem wir zum Beispiel eine Maske tragen – und sei es als Symbol unseres Wunsches, andere Menschen zu schützen. Das ist eben auch eine Ausübung von Freiheit, die in diesem Fall natürlich mit der Beschneidung bestimmter Rechte einhergegangen ist. Das ist ein komplexer Abwägungsprozess, und es gelingt uns erfreulicherweise in diesen Tagen, die Daumenschrauben zurückzudrehen."
Danke, ich habe den Artikel sehr gern gelesen, vor allem den Abschnitt über die Nichtexistenz von Identitäten.
Der Abschnitt hat mir auch gut gefallen. Auch in der Diskussion hier kommen ja oft pauschalisierende Zuschreibungen und eine Handlung/Äußerung wird mit einer anderen, die man der gleichen konstruierten "Gruppe" als typisch andichtet, gleichgesetzt.
Ja, der Absatz hat mich auch getriggert, vor allem da ich gerade Parag Khannas "The future is Asian" lese, in dem er quasi sagt, das geistige Gift der Nationalkulturen und Staatsgrenzen wurde in Asien erst durch die Europäer eingebracht, vorher war es ein Schmelztigel an Kulturen, Ideen und Miteinander von Religionen, von dem auch die westliche Welt lernen könne. Natürlich war Asien auch vorher nie konfliktlos, aber es drehte sich nicht um einen Nationen- oder Rassegedanken, die Konflikten dort ersr einen ganz neuen Spin und Tödlichkeit gegeben haben (er zitiert u.a. die Abwärtsspirale in Kaschmir und Palestina als Beispiel) und spannt den Bogen zu einem Bild einer zwar noch spannungsbeladenen, doch multipolaren und sich gegenseitig beflügelnden Megaregion. "There are, however, Western colonial influences thatbhave been baked into the fabric of the region, perhaps only slowly (if at all) to be undone: state sovereignty over fluid borders, religious and ethnic national divisions over multiethnic identities, consumerism and materialism over clan and kinship. [...] Asia must now decide to what extent Western legacies will be Asianized and what elements of Asian history will be recovered. The most pertinent questions facing Asia are about neither ideology nor hegemony, but rather about how to demarcate and share territory. Asia's main tensions are not between civilizations but between nations. Asian civilizations have maintained deep patterns of mutual respect and learning for millenia, while post- World War II sovereignty and nationalism have left a legacy of boundary disputes that still need to be resolved for Asia to fully return to its precolonial fluidity. The zero-sum nature of sovereignty requires clarity as to who owns that territory or water. Modern international law has imposed a sense of finality and permanence. The desire to ratify territorial claims has sharpened dormant tensions. [...] The principal lesson from Asia's geopolitical history is that no one's power dominance has lasted for very long before meeting sufficient resistance - internally, from neighbours, or both - to dash its hopes of eternal hegemony. Whether the Mongols, Ming China, or imperial Japan, Asia's disparate societies have proved too diffuse and impenetrable to be fully absorbed by others. Over the millennia, Turkic, Persian, Arab, Indian, and Russian empires have also sought to establish hierarchies in Asia with themselves as the core power. Asia will always be a region of distinct and autonomous civilizations, a number of which, including China, India, and Iran, have an ingrained sense of historical centrality and exceptionalism. As a result, the most any power has achieved is to be a thriving subregional anchor in a multipolar Asia - very much the scenario unfolding today."
Danke für den Hinweis auf Parag Khanna. Das klingt interessant. Ich glaube, man vergisst schnell, wie unterschiedlich die Denktradition in Asien ist und dass wir eigentlich gar keine gemeinsamen Begrifflichkeiten haben. Wir hatten vor ein paar Jahren in einem Seminar einige Studenten aus China dabei. Beim Versuch, einzelne Begriffe zu klären, hat sich ganz schnell gezeigt, dass es nicht möglich ist, bestimmte deutsche Wörter ins Chinesische zu übersetzen, weil es keine Entsprechung dafür gibt (und umgekehrt) und dass bestimmte Diskussionsthemen auf chinesisch nicht bearbeitbar sind. Bei Begriffen wie "Nation" und "Rasse" wird es sicher besonders explosiv, wenn sie, aus einer anderen Denktradition stammend, eingebracht werden und sich mit Bedeutungsfeldern von Begriffen asiatischer Sprachen vermengen ....
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