Piccadilly
Hallo zusammen! Ich weiß gar nicht recht wie ich anfangen soll..... mein Sohn ist 4,5 Jahre alt und seit ca. einem halben Jahr ist es irgendwie anders geworden. Erstmal das Positive: Ich hab das Gefühl, wenn wir alleine unterwegs sind, ist soweit alles gut. Auch beim Fahrradfahren hört er wie eine eins. Keine Probleme. Zumindest keine, die mir merklich auffallen. Probleme gibt es, wenn jemand bekanntes dazukommt; Familie oder Kinder die er kennt. Wenn mein Mann oder seine Mutter, die bei uns mit im Haus wohnt, dazukommt, dann redet er permanent dazwischen. Mein Mann kommt von der Arbeit, will etwas erzählen und es geht nicht. Ich sag dann schon immer "lass uns reden wenn er im Bett ist". Telefonieren geht ebenso wenig, ich erledige das meist von der Arbeit aus. Wir waren gestern bei meinen Eltern und haben noch auf ein Familienmitglied gewartet. Da ging es zu 90 %, dann gab es Kuchen und nachdem er satt war hat er buchstäblich die Bude auf den Kopf gestellt; hört gar nicht mehr, schmeisst seine Autos vom Tisch, zerrupft das Deko-Kissen meiner Eltern, rennt in der Wohnung rum.....wenn man ihm was sagt dann sagt er einfach "mach ich aber nicht". Letztendlich habe ich den Besuch abgebrochen und wir sind nach Hause gefahren. Kinder die er kennt....man stellt sich vor er trifft auf sie und zuerst schmeisst er sich auf den Boden, wird total albern dabei, ruft immer nur "Auto" (seine totale Leidenschaft gilt Autos) und ist immer nur am kichern. Bald ist Laternenumzug mit vorherigem Kirchgang und ich werde dort schon nicht hingehen, weil ich genau weiß, dass er einfach auffällig in der Kirche sein wird. Beim letzten Kita-Herbstfest haben die anderen Kinder schon komisch geschaut weil er einfach albern ist und nicht einfach sitzenbleibt und zuhört. Er ist seit 13 Monaten trocken, seit 6 Monaten macht er sich groß in die Hose. Zuerst nur in der Kita. Alles, was man machen kann als Eltern, habe ich ausprobiert aber es half nichts. Jetzt fängt er auch zu Hause damit an. Auf die Frage, warum er nicht auf Toilette geht, heisst es "mach ich aber einfach nicht". Zu Hause ist sein Lieblingsding: Autos. Er hat unzählige von den Dingern, will auch immer mehr haben und stellt sie oft in einer Reihe hin (was eher Richtung Asperger gehen würde? aber glaube da fehlen noch andere Dinge die dazugehören). Ich bin einfach oft enttäuscht weil ich schon sage, dass es ein "auffälliges" Kind ist. Ansonsten auf dem Spielplatz mit fremden Kindern kein Problem, da spielt er normal und es gibt soweit keine Probleme. Kommt jemand Bekanntes dann geht es los. Vielleicht ist es auch wirklich "nur" ein Erziehungsfehler? Ich danke Euch fürs Durchlesen!
Ich fasse mal Eure Probleme zusammen: - Euer Sohn redet bei Gesprächen dazwischen und kann nicht aushalten, dass jemand telefoniert, anstatt sich mit ihm zu befassen - kann schlechter als Gleichaltrige länger still sitzen - Die Situation mit dem Kuchen essen, hat entweder etwas mit dem Zucker zu tun oder das Kind war überfordert davon, länger am Tisch sitzen zu müssen und hat deswegen völlig überreagiert, oder es ist die Kombination von beidem - verhält sich in sozialen Situationen mit Kindern, die er kennt, unangemessen und zwar so, dass sehr wahrscheinlich auch Gleichaltrige ihn ziemlich merkwürdig finden - "Auf die Frage, warum er nicht auf Toilette geht, heisst es "mach ich aber einfach nicht". " - hat als spezielles Interessensgebiet Autos und reiht gerne Autos auf (Ok, das ist nicht direkt ein Problem, aber es unterscheidet ihn von vielen anderen Kindern.) Ich muss hier erstmal sagen, dass ich mich mit Autismus nicht so super auskenne, weil Autismus eine sehr komplexe Störung ist, die bei verschiedenen Menschen sehr verschieden ausfallen kann. Unser Sohn (14) hat ADHS und mindestens autistische Züge, aber seine Therapeutin will die Diagnose ASS nicht stellen. Die Sache mit den Gesprächen würde ich unter mangelhafte Frustrationstoleranz verbuchen. Das machen z.B. viele ADHSler. Die reagieren auch nicht so selten über (die Situation bei dem Besuch), nachdem sie sich eine ganze Weile zusammen gerissen haben. Zucker kann allgemein zu hibbeligem Verhalten bei Kindern führen. Ich glaube, der Unterschied zwischen den Begegnungen mit fremden Kindern und denen mit bekannten, ist, dass Dein Sohn sich über die Begegnung mit den bekannten Kindern sehr freut, das ausdrücken will und dabei über's Ziel hinaus schießt. ADHSler wissen oft, wie man sich sozial sinnvoll benehmen sollte, kriegen sich selbst aber nicht in den Griff. ASSler lernen soziale Situationen und das angemessene Verhalten darauf (als Kind unbewusst) auswendig, während das bei anderen Kindern automatisch abläuft. Aber dafür muss man erstmal wissen, wie das angemessene Verhalten in einer Situation aussieht. Ich würde, an Deiner Stelle, Deinem Sohn sagen, dass sein Verhalten bei seinen Bekannten so nicht gut ankommt und ihm Alternativen aufzeigen. Autisten haben Spezialgebiete, mit denen sie sich 1A auskennen und bleiben lange Zeit bei einem Gebiet. ADHSler haben eher kürzere Leidenschaften für bestimmte Gebiete, sammeln da aber auch schnell ein großes Wissen an. Viele Autisten mögen Systematik und sortieren gerne Dinge. Tja, die Sache mit dem Klo. Ich schätze, aus irgendeinem Grund findet Dein Sohn es blöd, sein großes Geschäft auf dem Klo zu erledigen. Frag ihn mal, was ihn da stört. Vielleicht kann er Dir das sogar sagen. ASS und ADHS zusammen ist übrigens nicht gerade selten, und da haben die Menschen ein Sammelsurium an Symptomen, die zu dem einen oder zu dem anderen passen und sich teilweise aufheben, widersprechen oder ergänzen. Manche Wissenschaftler glauben sogar, das seien nur zwei Aspekte der gleichen Störung. Allgemein werden heute viele Menschen (auch Erwachsene) mit ADHS, ASS oder beidem diagnostiziert, die früher unter dem Radar liefen, weil sie nicht auffällig genug waren. Das ist auch gut so, denn man muss nicht besonders auffallen, um durch diese Störungen einen Haufen Probleme im Leben zu haben. Es ist außerdem so, dass viele Betroffene sich alle Mühe geben, um nicht aufzufallen und das schon als Kind. Wer will schon ein merkwürdiger Außenseiter sein? Die öffentliche Meinung dazu ist ein anderes Thema. Die geistert immer noch irgendwo im letzten Jahrhundert herum. ADHS gibt es ja gar nicht und Autisten müssen schon sehr auffällig sein, um ihre Diagnose abgenommen zu bekommen. Geht es um Kinder, haben die einfach zu wenig Bewegung oder sind halt ein bisschen verträumt oder eigen oder sie sind nicht erzogen, und die Eltern suchen Ausreden für ihre Fehler. Was bei Euch für mich recht eindeutig gegen ein Erziehungsproblem spricht, ist dieses Verhalten Eures Sohnes beim Treffen von bekannten Kindern. Warum sollte ein schlecht erzogenes Kind sich da so verhalten? Da würde ich freche Sprüche oder schubsen oder so etwas erwarten, aber doch nicht, dass ein 4,5-jähriges Kind sich auf den Boden schmeißt, lacht und Auto brüllt.
Vielen Dank für Deine sehr ausführliche Antwort! Wir waren gestern bei der Sozialarbeiterin in der Kita gewesen und haben uns 2 Stunden unterhalten. Sie sagt, dass es kein ADHS ist. Das Problem liegt an uns Eltern. Sie hat uns viele hilfreiche Tipps mit auf dem Weg gegeben, wie wir uns in bestimmten Situationen verhalten können und sie hat uns auch die Augen geöffnet, was unseren Alltag angeht. Uns war gar nicht bewusst, dass das Kind oftmal nur "mitläuft" weil noch das und das und das erledigt werden muss. Wir versuchen die Tipps jetzt umzusetzen und ich glaube, dass ich gestern ein total zufriedenes Kind im Bett hatte mit NICHT gestressten Eltern :D
Liebe Piccadilly, erstmal fühl dich gedrückt! Das klingt anstrengend. Und ich muss sagen, einiges davon könnte unsere Geschichte sein. Was sagt denn dein Bauchgefühl? Meines sagte mir in dem Alter schon, dass da was nicht stimmt. Alle sagten mir aber, dass es "noch" im Rahmen ist/ es eine Phase ist/ das Kind Langeweile im Kindergarten habe. Der Kinderarzt sagte, ADHS könne es nicht sein, weil er ja auch mal mit mir 20 Minuten am Stück ein Buch anschauen könne. Irgendwie haben wir es immer hingekriegt, haben uns unbewusst so krass auf ihn eingestellt (Besuche immer mit Outdoor Pausen geplant, Erwachsenengespräche ohne ihn geplant, ihn zu bestimmten Sachen nicht mitgenommen, Spieletreffen beendet, bevor es zum Overload kam), die Erzieherin konnte ihn 1:1 ganz gut handeln. Dann ging die Schule los und es hat krass geknallt. Es war wirklich ein schreckliches Jahr. Bekamen dann die Diagnose ADHS - und zwar in einer schweren Form. Jetzt ist er in Therapie und medikamentöser Behandlung und kommt so ganz gut klar. Ich bereue es, die Diagnostik nicht früher gemacht zu haben. So wäre der Schulstart vielleicht schon besser gelaufen und wir hätten schneller Hilfe bekommen. Soweit ich weiß, wird die Diagnostik im Alter deines Sohnes selten schon gemacht. Versuchen kannst du es aber. Jedenfalls aber im Hinterkopf behalten! Lies dich in das Thema ein, oft findest du dazu schon hilfreiche Tipps, die ich sowieso allgemeingültig für umtriebigere Kinder gut finde. Alles Gute!