Hallo Dr. Posth,
ich schätze Ihre Meinung sehr und wüßte deshalb gern was Sie davon halten:
meine Freundin hat Psychologie studiert und ihr Dip.arbeitsthema war Schlaf. Gestern hatten wir eine Diskussion und sie meinte, ich tue meinem Kind (13 Mon.) nichts Gutes. Seit der Geburt wird sie von uns ins Bett (nachts Familienbett) gebracht und wir bleiben so lange bei ihr sitzen und halten Händchen bis sie eingeschlafen ist. Bis auf Ausnahem klappt das auch gut. Sie scheint es zu brauchen - sie ist auch sehr körperkontaktorientiert und sensibel.
Meine Freundin meinte nun aber, dass Kinder es lernen müssen sich selbst zu beruhigen, bzw. selbst einzuschlafen.
Ist dem so?
Oder können das nicht alle Kinder oder erst ab einem gewissem Alter?
Schreien lassen würde ich mein Kind übrigens nie!
Danke und LG, Katja
Mitglied inaktiv - 09.05.2005, 09:13
Antwort auf:
Muß ein Kind alleine einschlafen?
Liebe Katja, es ist mir bekannt, daß die akademische Psycholgie, so wie sie an den Universitäten gelehrt wird, solche Paradigmen (Lehrsätze)entwickelt. Aber ihre Schwäche ist, daß sie deren zugrundeliegende Prämissen und Schlußfolgerungen aus theoretischen Vorstellungen und Konstrukten bezieht und nicht aus Beobachtungen und Interpretationen konkreter, d.h. lebensnaher Vorgänge. Diesen Mangel versucht nun die akademische Psycholgie durch ausgklügelte Studien und deren statistische Auswertung zu beheben. Das geht in einem Falle gut in einem anderen schief.
Das Abheben auf selbstregulatorische Fähigkeiten hinsichtlich der aufkommenden Emotionen beim Säugling und jungem Kleinkind halte ich für eine solche irrtümliche Vorstellung, wie es sich seit Jahrhunderten an realen Vorgängen bei Säuglingen und Kleinkindern nachweisen läßt. Sicherlich kann man Säuglinge und Kleinkinder auf eine Toleranz frustrierender Erlebnisse im Bindungsprozeß hin konditionieren. Aber emotional hinterläßt das eine unheilvolle Spur in der Psyche (emotionale Integrationstheorie, mein Langtext!). Das aber ist nicht oder nur nicht mehr das Thema derselben Studie und die Psychologie fängt erst ganz aktuell an, Längsschnittstudien hierzu ins Programm aufzunehmen. Mit anderen Worten, die Schlußfolgerungen werden schon gezogen, bevor die weitere Entwicklung desselben Vorgangs auf ihre Langzeitauswirkungen untersucht worden ist. Die Ergebnisse nützen vielleicht einem aktuellen, gesellschaftlichen Trend, und darum werden sie als wissenschaftliche Erkenntnis ausgegeben, den Studienobjekten, also den Kindern schaden sie indes. Das nenne ich "fröhliche Wissenschaft", eine Wissenschaft, die sich um moralisch-ethische Fragen wenig schert. Sprechen Sie einmal mit Ihrer Freundin darüber und machen Sie sie aufmerksam auf dieses Forum. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 09.05.2005
Antwort auf:
Muß ein Kind alleine einschlafen?
Hallo, genau zu diesem Thema gab es hier eine Frage von mir, die Dr. Posth sehr ausführlich und für deine Freundin als Psychologin sicher sehr interessant beantwortet hat. Hier der Link:
http://www.rund-ums-baby.de/entwicklung/mebboard.php3?step=1&range=20&action=showMessage&message_id=19209&forum=155
Mitglied inaktiv - 09.05.2005, 13:05
Antwort auf:
Muß ein Kind alleine einschlafen?
Hallo, vielleicht sollte ich zur Klärung der Positionen noch nachschicken, daß ich ja selbst wissenschaftlich orientiert geprägt bin und auch so denke. Was mir aber Sorge bereitet, ist die Beliebigkeit vieler Studienaussagen, die von der begleitenden Statisitk eher noch unterstützt wird. Die Studien müssen häufig klarer sturkturiert sein und ein ehtisch-moralisch gestütztes Grundlagenkonzept besitzen. D.h. nicht, daß die Freiheit ihres Ergebnisses eingeschränkt sein soll, aber es heißt, daß moralisch verwerfliche Ergebnisse nicht im Bereich ihrer Zielvorstellung liegen dürfen. Z.B. halte ich es für ablehnungswürdig, eine Studie zu gestalten, deren Ergebnis Lebensunwürdigkeit definierter Menschengruppen lauten könnte. Daran wird es klar, was ich meine. Und ebenso halte ich eine Studie für bedenklich, deren Endergebnis ein psychopathologisches Geschehen ihrer Probanten sein könnte in einem Zeitraum, der dann weit hinter der Studien-Beobachtungszeit liegt. Das aber ist wiederum eine Sache der Prämissen, also der Ausgangsdaten der Studie, und die müssen eben ethisch einwandfrei sein. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 09.05.2005