Fordernd, wissenschaftlich belegte Folgen vom schreien lassen

Dr. med. Rüdiger Posth Frage an Dr. med. Rüdiger Posth Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

Frage: Fordernd, wissenschaftlich belegte Folgen vom schreien lassen

Lieber Herr Posth 1.Unser 3 Jahre alter Junge wurde forumsgerecht erzogen. Er ist sehr sprachbegabt, hilft sehr gerne und ist sehr sensibel. Was uns manchmal Schwierigkeiten bereitet, dass er z.T. sehr fordernd ist. Beim Tisch sagt er z.B. : Ich hab noch keine Gabel, Warum hab ich kein Brot und das alles mit sehr vorwursvollem Ton. Beim anziehen: Warum hilfst du mir denn nicht? Wenn er hingefallen ist: Warum bringst du mir kein Taschentuch? Das nervt mich sehr und ich sage ihm dass ich ihm erst helfe wenn er es anders vorträgt und nett fragt. Sprachlich für ihn kein Problem. Was kann der Grund sein? Wie können wir vorgehen? Manchmal wenn er schlechte Laune hat, wird alles so jammerig vorgetragen, wenn er gut gelaunt ist, ist er äusserst charmant, mit fragen, danke , usw. 2.Können Sie mir wissenschaftlich belegt erklären, was beim schreien lassen passiert und welche Nah und vor allem Spätfolgen das haben kann? Auch bei langem begleitetem schreien, wenn die Eltern nicht beruhigen können? (zum weitergeben)

von buzzidil am 28.10.2013, 07:17



Antwort auf: Fordernd, wissenschaftlich belegte Folgen vom schreien lassen

Hallo, ein Kind von 3 Jahren kennt noch keine Umgangsformen. Die lernen und entwickeln Kinder erst mit dem doppelten Perspektivwechsel, d.h. wenn sie sich in die Gefühls- und Gedankenwelt des anderen Menschen hineinversetzen können. Darüber werden sie 4 bis 5 Jahre. Bis dahin reden sie so, "wie ihnen der Schnabel gewachsen ist". Dabe spielen angeborenes Temperament, schon geformte Charaktereigenschaften, Stimmungen und Launen, aber auch auch Vorbilder die entscheidende Rolle. Über ein Regelprinzip können Sie Kinder dieses Alters allerdings schon erreichen. Wird die Regel gebrochen, dürfen Sie sich verweigern, schimpfen oder Bedingungen stellen. Strafen entfällt, weil es - verkürzt gesagt- kein gutes Erziehungsmittel ist. Das Thema Schreien im Säulingsalter ist so alt wie die Menschheit. Heutzutage darf als gesichert gelten, dass negativer Stress -und nichts anderes erzeugt zu viel Schreien im Säuglingsalter- die gleichen Folgen nach sich zieht wie Dauerschmerzen.Das heißt, es bildet sich ein Schmerz- bzw. Stressgedächtnis. Beides führt dann dazu, das sich auf Dauer die Reizschwelle für das Anspringen dieses "Gedächtnisses" immer weiter verringert, so dass Schmerz und Stresssymptome bereits immer früher auftreten. Zuletzt genügen nur noch geringe Auslöser und die typischen Symptome treten auf. Bei Stress sind solche Auslöser Versagensmomente, Unlust, Frustrationen und schlechte Stimmungen usw. Über kurz oder lang drohen Beziehungsstörungen, denn das Kind wird immer schwieriger und die Eltern immer unzufriedener. Falsche erzieherische Ratschläge verschärfen das Problem weiter. Denn wenn man nicht erkennt oder nicht akzeptiert, woher die Schwierigkeiten mit dem Kind kommen, kommt man zu ganz falschen Schlüssen. Neben den Problemen im Umgang mit dem Kind stellen sich frühzeitig Irritationen im Bindungsverhalten ein. Die Kinder entwickeln ein strategisches Bindungsverhalten, in dem sie entweder ihre negativen Gefühle vermeiden oder in ambivalenten Gefühlen gegen ihre Bindungspersonen ausleben. Beide Bindungsstile erhöhen das Risiko für spätere Beziehungs- und Bindungsstörungen (s. "Gewaltfrei durch Erziehung"). Das geduldig "begleitete Schreien" ist eine gewisse Zeit lang durch das wütende Abreagieren des Säuglings oder Kleinkindes an seiner Bindungs- und Bezugsperson vor einer nachhaltigen Schädigung der Bindung geschützt. Man darf es aber nicht zur Methode werden lassen. Dann steigen auch hier die Risiken. Viele Grüße.

von Dr. med. Rüdiger Posth am 29.10.2013



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