Frage: Kleinkind isst fast nichts

Liebe Frau Neumann,    meine Frage ist bestimmt nicht neu und einige Eltern kennen wahrscheinlich das Problem – trotzdem beschäftigt es mich sehr. unsere Tochter, nun zwei Jahre und vier Monate alt, war schon immer eine schlechte Esserin. Bei der älteren Tochter alles kein Problem, die jüngere wollte schon ungerne Brei essen und  nur gestillt werden. Mit anderthalb hatte ich sie dann abgestillt, aber wir hangeln uns durch wenige Mahlzeiten, und es wurde mit der Zeit noch schlimmer. Stand heute isst sie weder Obst noch Gemüse noch Fleisch noch Fisch. Sie isst viel Vanillejoghurt, Vollkorntoast mit Erdnussbutter und Marmelade, trockener Reis,trockene Nudeln. Viel Teigwaren, mal meine gekochte Brühe mit Nudeln. Waffeln und Pfannkuchen. Insgesamt also gern süß. Keine Kartoffeln, mit viel Überredungskunst Kartoffelpüree. Quetsches liebt sie über alles. Das ist die einzige Obst /Gemüseration. Wir alle essen normal, wir bieten ihr täglich Rohkost und Obst an, die große Tochter isst die kleine verweigert. Ich versuche abwechslungsreich zu kochen. zweimal hatte ich ihr vom Kinderarzt Blut abnehmen lassen - einmal hatte sie Eisenmangel, das andere Mal Vitamin B12 Mangel. Bei der letzten U Untersuchung im Oktober, war aber alles okay. Auch in der Kindertagesstätte isst sie entweder gar nicht oder trockenen Reis oder Nudeln oder Brot. Sie hat einen wirklich starken willen, das sagen auch die Erzieherinnen. Haben Sie noch einen Tipp, außer es ihr immer wieder anzubieten? Ich weiß zwingend ist nicht gut und würde bei ihr auch nicht funktionieren. Danke und viele Grüße

von Kathi_Bettermann am 13.02.2024, 12:00



Antwort auf: Kleinkind isst fast nichts

Hallo Kathi_Bettermann mir gehen ganz viele Dinge durch den Kopf zum was und wie ich dir antworten kann. Deine konkrete Frage ist, ob ich einen Tipp habe, abgesehen davon dass du regelmäßige und verlässliche, zwanglose, leckere Angebote machen kannst. Selektives Essverhalten ist, da hast du recht, tatsächlich recht verbreitet und i.d.R. nicht weiter schlimm. Inwieweit das euch bei euch zutrifft, das kann ich nicht beurteilen. Darum und aufgrund deiner Schilderung zur Vorgeschichte wäre es sicherlich gut und sinnvoll beim Kinderarzt auf jeden Fall nochmal nachzuhaken und nach möglichen (weiteren) Ursachen (auch bspw Mundraum, Zähne, Mundmotorik, kauen, schlucken, ...) zu suchen. Solange die Gründe nicht bekannt sind, kannst du weiterhin einfach eine gute Essbegleitung für deine Tochter sein und ihr auf jeden Fall regelmäßige, leckere, gern gegessene Angebote machen und zusätzlich immer und immer wieder weitere, unaufdringliche Möglichkeiten zum zwanglosen und freudigen Mitessen geben. Mehr Tipps packe ich in ein Nachfolgeposting. Ich hoffe, das hilft dir trotzdem ein bisschen weiter. Meld dich nochmal, wenn du noch Fragen hast. Bis dann Grüße Birgit N.    P.S. Ernährungs/Essprobleme- bzw auffälligkeiten sind manchmal nur die sichtbare Spitze einer tiefer zugrunde liegenden Ursache, die sich eben hier besonders zeigt. Ich versuche mich darum nochmals etwas ausführlicher, kann hier im Forum dennoch nur das bei meinen Antworten berücksichtigen, was ich oben als Zusatzinfos in deinem Posting gelesen habe: Du beschreibst hierin eine etwas holprige Beikostzeit. Diese war geprägt durch (sehr) häufiges stillen und kaum Beikost. Weil deine Tochter wenig Beikost gegessen hat, konnte sie in dieser Zeit kaum Esserfahrungen* machen und ebenfalls kaum Geschmackserfahrungen sammeln. Die Familienkostzeit verlief ähnlich schleppend, weshalb deine Tochter untersucht wurde und auch Gründe für das besondere Essverhalten gefunden wurden: Erst ein Eisenmangel, dann ein Vit B12 Mangel. Andererseits ist es vielleicht nicht ganz klar, ob das die Ursachen für das fehlende Interesse am Essen oder vielleicht eher die Auswirkungen als Folge von wenig Beikost waren, oder? **     *wie hört es sich an, wie fühlt es sich an - in der Hand und im Mund, wie sieht es aus, wie verdaut es sich,... = Bildung eines Geschmacksgedächtnisses Inzwischen sind diese Ursachen behoben (Stand Oktober 2023), doch der Speiseplan hat sich noch nicht gravierend verändert. Dennoch hat deine Tochter inzwischen ein paar Speisen die sie mag und viele, welche sie nicht isst (oder in nur kleinen Mengen). Die Stillära ging vor ca 1 Jahr zu Ende. Seitdem isst deine Tochter ein paar bestimmte Speisen und ihr Speiseplan ist (nach deiner Schilderung) doch trotzdem noch eher nicht vollwertig und weniger ausgewogen - oder sagen wir mal so - weniger abwechslungsreich und speziell. Was mir auffällt ist, dass deine Tochter neben ihrer Vorliebe für süß auch besonders gerne flüssige (weiche), breiige Speisen mag. Vanillejoghurt, Brühe mit Nudeln und Quetschies. Das könnte einerseits daran liegen, dass süße Speisen (und Nudeln) einfach meistens gut schmecken und schnell Nahrungsenergie liefern. Das macht schnell satt. Dass deine Tochter flüssig(er) mag, das könnte ebenfalls damit zusammenhängen, dass diese Speisen schnell gegessen/geschluckt werden können und kaum Kauaufwand erfordern. Andererseits ist es natürlich auch wieder so: je weniger das Kauen trainiert wird, desto weniger Lust hat man darauf. Man könnte sagen, deine Tochter hängt gewissermaßen in ihrer Schleife fest. Neue Speisen und bestimmte Speisen und Lebensmittel und auch bestimmte Lebensmittelgruppen (Fleisch, Fisch,....) isst sie gar nicht oder nur in sehr kleinen Mengen. Insofern könnte man schon sagen, dass das Essverhalten noch immer nicht ganz altersentsprechend ist.***    **. Wenn ein Baby einen Eisenmangel hat, dann kann das die Beikost/Familienkost erschweren, weil ein Baby/Kind keine rechte Lust zum Essen hat. In der Folge wird der Eisenmangel schlimmer. Die Esslust noch geringer. Das andere Szenario ist, dass ein Baby nicht isst (verschiedenste Gründe oder Ursachen) und in der Folge ggf Eisenmangel auftreten kann. Ganz ähnlich ist das mit dem Vit B 12 Mangel. Stelle deine Fragen darum und diesbezüglich am besten nochmal in die Expertenforen "Kindergesundheit" oder "Ernährung": https://www.rund-ums-baby.de/experten/   ***Ist oral alles in Ordnung? Mundmotorik/Motorik okay? Bspw aus logopädischer Sicht alles i.O.? Sieht und hört deine Tochter gut? Die Fragen sind nur für dich als Anhaltspunkte für ggf ein Gespräch bei der KiÄ.  

von Birgit Neumann am 14.02.2024



Antwort auf: Kleinkind isst fast nichts

Hallo Kathi_Bettermann und hier nun, wie vesprochen das Folgeposting mit ein paar konkreten Tipps dazu, was du machen kannst: Biete deiner Tochter ihre bekannten und gemochten Speisen an und schau mal, in welchen Situationen oder zu welchen Uhrzeiten deine Tochter vielleicht eine Phase hat, in der sie mehr Bereitschaft und Neugier zum Entdecken von auch neuen Speisen hat. Biete deiner Tochter bei allen Mahlzeiten immer etwas aus dem sicheren Angebot an. Als "sicher" (aus Sicht deiner Tochter) ist das, was sie gut kennt und sicher mag. Dazu kann es auf ihrem Teller weitere Angebote, in klitzekleiner Probiermenge zum zwanglosen, neugierigen, selbständigen Probieren geben. Die nachfolgenden Fragen kannst du einfach mal für dich im Stillen reflektieren: Wo und wann und wie probiert deine Tochter meistens und am liebsten Neues? Mag sie es direkt von euren Tellern oder Löffeln? Oder lieber dann, wenn es auf ihrem Teller liegt? Oder umgekehrt dann gar nicht? Mag sie lieber viel auf ihrem Teller oder lieber nur wenig auf ihrem Teller? Wann greift sie gerne zu? Löse dich ggf auch von alten Vorstellungen in Bezug auf Mahlzeiten oder Mahlzeitengestaltung und sei offen für Neues. Vielleicht würde deine Tochter Nudeln frühstücken und dazu vielleicht eher mal was Neues probieren? Ist nur ein Beispiel. Gestaltet auch unbedingt den Sitzplatz optimal mit einem guten, passenden Stuhl, bei dem die Füße ein Trittbrett (=Halt) haben. Achtet auf einen guten Abstand zwischen Tisch und Stuhl, auf die richtige Sitzhöhe zum Überblicken des Tisches. Lasst eure Tochter beide Hände zum Essen nutzen, dazu ggf Kinderbesteck und kleine passende Esshilfen/Bestecke bereit legen. Gabel zum Aufpieksen, kleiner Löffel, Teller mit flachem Rand oder Essmatte. Gestaltet eure Mahlzeiten nach bestimmten Mustern. So wird eine Mahlzeit, der Ablauf der Mahlzeit für eure Tochter erwartbar und nachvollziehbar. Das gibt große Sicherheit. Betrachte den gedeckten Esstisch als Abenteuerspielplatz, den man mit allen Sinnen entdecken darf. Beim Essen lernen sind alle Sinne beteiligt: der Sehsinn, Riechsinn, Geschmackssinn, Tastsinn (Hände und Mundraum, Zunge), Hörsinn, Gleichgewichtssinn und Emotionen. Erst das Zusammenwirken all dieser Sinneseindrücke ergeben für dein Kind ein Ganzes.    Hier noch ein paar Inspirationen: Statt Quetschies kannst du evtl Smoothies oder Bananenmilch selbst machen und mit einem Trinkhalm anbieten: Banane und Kiwi mit etwas Wasser oder Orangensaft pürieren Banane und Milch mixen Aus Mango kannst du einen lecker, süß schmeckenden Smoothie selbst zubereiten: mit dem Schälmesser einfach die Schale wegschälen, die flacheren Seiten der Mango mit dem Messer abschneiden. Ablegen und in Stücke schneiden. Dann die Kanten abschneiden und die Reste um den Kern wegschneiden. Fruchtfleisch mit etwas Wasser oder Orangensaft/Apfelsaft pürieren. In ein Glas füllen. 3 Trinkhalme ins Glas stecken. Einer für dich und jeweils einen für deine Kinder. Presse doch mal einen frischen Mandarinensaft. Inspirationen für die baldige Frühlingszeit: Erdbeeren: 3 Stück waschen, Stielansatz entfernen, kleinschneiden, pürieren. In einem kleinen Gläschen anrichten. Mit dem Finger eintauchen und dein Kind probieren lassen. Und deinem Kind eine weitere, gewaschene Erdbeere in die Hand geben. Du kannst jetzt im Winter statt frischen Erdbeeren einfach TK-Beeren aufkochen und pürieren, ggf etwas süßen. Himbeeren - auf jeden Finger eine Himbeere stecken.  Mögt ihr Nice Cream? Um Obstmahlzeiten attraktiver zu gestalten, kannst du Obststückchen ganz klein schneiden. Deine Tochter könnte sie mit der Gabel essen, was spielerisch fordert. Lege die Stückchen als hübsch arrangiertes Gesicht auf einen Teller. Deiner größeren Tochter wird das bestimmt gefallen, und die kleine Schwester wird es ihr vielleicht nachmachen.   Und zu guter Letzt noch allgemein das: Der Mund ist die Eintrittspforte für das Essen. Im Mund wird das Essen auf seinen Gesamteindruck (Geschmack, Konsistenz, Mundgefühl, etc) geprüft und in drei Kategorien bewertet: "mag ich", "mag ich nicht" und "wird akzeptiert " Was gefällt, das wird gegessen. Nicht alles gefällt aber auf Anhieb, also nicht gleich beim ersten Eindruck. Vielleicht gefällt es ein anderes Mal. Es gibt bestimmte Geschmackseindrücke, welche auf jeden Fall und/oder schnell und gut akzeptiert werden, diese sind: süß, fettig, weich, mild gewürzt, bunt, kohlenhydratreich, klare Formen Für Kinder haben Speisen mit den genannten Kriterien ein sog. gutes sensorisches Level Beispiele: Toastbrot = weich, tendentiell süßlich. Quetschie = süß, klare Form. Nudeln = weich, kohlenhydratreich. Alle Kinder dieser Welt haben eine Präferenz für Speisen mit diesen Merkmalen. Bevor ein Lebensmittel in den Mund wandert, sollte es zuvor am besten mit den Händen (Tastsinn) befühlt worden sein. Denn das, was in der Hand schon nicht gefällt, wird meist nicht zum Mund geführt und umgekehrt. Viele Speisen mögen viele Kinder nicht auf Anhieb. Z.B. zu hart, zu zäh, zu bröckelig, sauer, bitter, u.a. Damit Kinder lernen, ihren Erfahrungsschatz in Geschmacksfragen zu erweitern, sollten sie immer und immer wieder die Gelegenheit haben Neues kennenzulernen. Mit allen Sinnen. Immer und immer wieder, zwanglos. Einfach als unaufdringliches Angebot. Je öfter sie etwas sehen und probieren könnten, desto besser.   Begleitet eure Tochter einfach weiterhin durch eure liebevolle und sinnvolle Unterstützung in ihrem ureigenen Prozess des Essenslernens. Nehmt euer Kind ernst und unterstützt es dabei in der passenden Art und Weise, so dass sie sich aus ihrer Komfortzone heraus bewegen kann und langsam nochmehr Neues kennen - und lieben lernen kann.  Also dann Grüße Birgit N.  

von Birgit Neumann am 16.02.2024



Antwort auf: Kleinkind isst fast nichts

Liebe Birgit, ich danke für vielmals für deine ausführlichen Antworten. Da sind ein paar tolle Denkanstöße, die ich mitnehme und ausprobieren werde. Wir waren gerade beim Zahnarzt, die Zahnärztin meinte das Zungenbändchen wäre recht straff aber noch ok. Das nehme ich noch mal mit zu unserer Kinderärztin. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, wie dein letzter Absatz, dass wir mit Geduld und Vertrauen Ihr immer wieder neue Angebote machen sollten. Nochmals vielen vielen Dank! 

von Kathi_Bettermann am 17.02.2024, 21:48



Antwort auf: Kleinkind isst fast nichts

Hallo Kathi_Bettermann vielen Dank für deine Antwort. Ja, dann wünsche ich euch viele schöne gemeinsame Mahlzeiten. Behaltet auch, gemeinsam mit der Kinderärztin, die Mikro-und Makronährstoffe im Blick und vielleicht bis bald mal wieder. Grüße Birgit N.

von Birgit Neumann am 20.02.2024