Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Ingrid Henkes:

Kleinkind mit starkem Aggressionsverhalten – Sorgen, Schuldgefühle, Suche nach Hilfe

Frage: Kleinkind mit starkem Aggressionsverhalten – Sorgen, Schuldgefühle, Suche nach Hilfe

herzbert

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Hallo und zunächst einmal vielen Dank für die Möglichkeit, hier unser Problem zu schildern! Unser Sohn ist 33 Monate alt und zeigt seit Monaten sehr herausforderndes Verhalten: Er schlägt, beißt, kratzt, zieht an den Haaren und wirft harte Gegenstände – teils aus Frust oder Wut, teils scheinbar grundlos. Dabei hat er schon andere verletzt. In solchen Momenten ist er kaum zu stoppen. Auch zuhause fällt es uns zunehmend schwer, entspannte Zeit mit ihm zu verbringen. Die Tagesmutter berichtet, dass er diese Verhaltensweisen deutlich intensiver zeigt als andere Kinder in seinem Alter. Gleichzeitig ist er sprachlich sehr weit, kreativ, humorvoll und ein wirklich kluges Kind. Im September kommt er in den Kindergarten, und wir sorgen uns, ob er Anschluss finden wird oder eher aneckt. Auch in der Familie nimmt das Unverständnis spürbar zu. Gleichzeitig sagen uns viele Eltern (auch die Tagesmutter), wir sollten sein Verhalten nicht pathologisieren – es sei eine Phase, die viele Kinder durchlaufen und die auch wieder vorbeigeht. Trotzdem begleiten mich Schuldgefühle: Mein Mann und ich sind beide psychisch belastet, unsere Beziehung ist aktuell angespannt. Ich frage mich, ob unser Zustand sein Verhalten verstärkt – und was wir tun können, um ihm und uns zu helfen.


Ingrid Henkes

Ingrid Henkes

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Guten Tag, es ist durchaus möglich, dass sich Ihre eigene Anspannung auf Ihren Sohn überträgt. Kinder erspüren rasch Stimmungen der Eltern. Diese können beim Kind Angst auslösen. Ein Dreijähriger kann Angst noch nicht gut aushalten. Daher wehrt Ihr Sohn die Angst aggressiv ab. Das wird er Ihnen nicht erklären können, weil er zu seinem Unbewussten keinen Zugang hat. Außerdem sind weder Einsichtsvermögen noch die Gewissensentwicklung bei einem Dreijährigen genügend entwickelt, um sich sozial angemessener zu verhalten. Zudem macht es Kindern in diesem Alter beim Kennenlernen der eigenen aggressiven Strebungen tatsächlich oft Spaß, diese auszuleben. Sie erleben ja dabei, was sie schon alles auslösen können. Das läuft ungefähr so ab: "Ich kleiner Dreijähriger muss nur einmal an den Haaren ziehen und schon sind die Erwachsenen ganz aufgeregt." Das ist Ihrem Sohn natürlich nicht bewusst. Aber er speichert Ihre Reaktionen und ist unbewusst stolz, so viel bewirken zu können. Daher ist es so wichtig, dass Sie möglichst ruhig und sachlich reagieren und dem Thema nicht zuviel Aufmerksamkeit schenken. Machen Sie sich bewusst, dass Sie als Erwachsene einen Dreijährigen stoppen und von etwas abhalten können. Es kann nützlich sein, eine zeitlang diese Ausbrüche zu antizipieren, um vorbereitet zu sein. Reagieren Sie mit einem deutlichen Nein, greifen Sie durch Festhalten o.ä. ein, sodass Ihr Sohn merkt, dass Sie ihm und seinen Impulsen gewachsen sind und ihn hindern können, diese auszuagieren. Für Ihren Sohn ist es gleichzeitig wichtig zu spüren, dass Sie ihn weiter lieben und ihm seine kleinkindlichen Impulse nicht verübeln, sondern ihn darin unterstützen ein sozial angepassteres Verhalten zu zeigen. Versuchen Sie Ihre Schuldgefühle abzubauen. Damit helfen Sie Ihrem Sohn nicht. Manchmal sind Lebenssituationen schwierig. Dann geht alles - auch die Kindererziehung - eben nur so gut wie gerade möglich. Das halten Kinder in der Regel gut aus, wenn sie die grundsätzliche Zugewandtheit der Eltern spüren. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes


herzbert

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... noch ein kurzer Nachtrag zu unserem Umgang: wir haben schon alles Mögliche versucht: ignorieren, festhalten, ruhig und deutlich sagen, dass beißen/kratzen/hauen weh tut, das andere Kind deshalb jetzt weint und traurig ist und wir das nicht zulassen können/möchten. Manchmal gelingt uns keine ruhige Reaktion, dann reagieren wir auch genervt, sagen laut "Hey!" oder "Aua!" oder "Hör auf!". Rollenspiele mit Kuscheltieren haben wir auch ausprobiert. Seit Neuestem versuchen wir ihm beizubringen, sich zumindest zu entschuldigen, weil Erwachsene das häufig erwarten und wir das für seine sozialen Beziehungen wichtig fanden. Wir sind uns mit diesem Vorgehen aber auch nicht mehr sicher, da er sich ein ziemlich leierndes "Schuldigung" angewöhnt hat. Wenn wir ihn fragen, warum er haut/beißt/Gegenstände wirft, sagt er entweder, "weil das Spaß macht", "weil das eine gute Idee ist" oder "weil das so ist" - er kann sein Verhalten selbst nicht rationalisieren (was uns jetzt auch nicht wundert). Wir wüssten so gerne, was er von uns braucht, um in seinem Verhalten umzulernen.


herzbert

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Vielen Dank, Frau Henke. Das ist sehr hilfreich. 


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