Elchkäfer
Lieber Herr Dr. Nohr, unser Sohn wird bald 3 Jahre alt. Seit einiger Zeit sagt er, er sei ein Mädchen. Wenn wir ihn mit seinem Namen ansprechen, sagt er meist: "ich bin doch die Paula" (wir kennen gar keine). Auch befreundeten Kindern und Familien erzählt er: "ich heiße Paula". Zum Glück akzeptieren die Gleichaltrigen es bisher einfach so,die Eltern sind schon kritischer. Bei uns zu Hause behauptet er neuerdings auch er habe eine Scheide. Er mag auch rosa sehr gerne, spielt aber neben Puppen auch Autos und Baustelle, interessiert sich für alles. Die Geschlechtsunterschiede und -teile konnte er schon früh unterscheiden. mein Gefühl ist auch, er weiß, dass es faktisch eigentl. nicht stimmt. Ich mache mir Sorgen um Hänseleien wenn er bald in die Kita kommt und bin auch verunsichert. Können wir ihn in der Geschlechtsidentität besser fördern, auch mein Mann? War es ein Fehler, dass ich bei Farben & Spielzeug nie auf Junge- und Mädchen-Sachen verwiesen habe (ich mag so Stereotype eigentl. nicht)? Oder ist es im Rahmen der Rollenspiele anzusiedeln (wie Katze spielen z.b.)? Ich möchte ihn nicht abwerten, kann ihn aber doch nicht eigeninitiativ mit "Paula" ansprechen (wie gesagt, jedesmal "korrigiert" er mich)? Wir kennen kein anderes Kind, das das so macht. Wir wollten sooo tolerant sein, jetzt fälllt's schwer. Danke für Ihre Antwort!
Dr. med. Ludger Nohr
Hallo, mit drei Jahren gibt es eigentlich noch keine stabile Geschlechtsidentität, die erwartet man so mit 4-5 Jahren. Trotzdem kennen die 2-3 Kinder natürlich schon den biologischen Unterschied. Das muß sie allerdings nicht davon abhalten, sich sozial eher wie ein Mädchen zu erleben (oder zumindest das auszuprobieren). Das heißt, das man diese Probierphase gut nutzen kann, mit den Kindern mitzugehen. (Z.B. "du wärst also gerne ein Mädchen. Was ist denn bei denen anders.....?"). Es geht also im Moment überhaupt nicht darum etwas festzulegen, sondern die Suchbewegung zu begleiten und zu verstehen. Und wenn der Papa mal mit dem Sohn badet, dann kann man Gemeinsamkeiten feststellen (auch da ohne Belehrungen). Die soziale Geschlechtsidentität ist nicht automatisch mit der biologischen bestimmt (auch wenn es überwiegend in die gleiche Richtung geht), sondern sie entwickelt sich im familiären und später Gruppenkontext. Das muß Sie nicht beunruhigen, sondern Sie können es gelassen und mit Interesse begleiten. Dr.Ludger Nohr
Elchkäfer
Lieber Herr Dr. Nohr, danke für Ihre Antwort. Unser Sohn kann wenn ich ihn Frage nur die Genitalien als Unterschiedlichkeit benennen. Mit all meiner Neugierigkeit verstehe ich ihn da nicht. Es ist schon jetzt so, dass der Papa mit ihm badet und wenn wir als Familie unterwegs sind, auch ihn zur Toilette oder Schwimmbaddusche für Männer mitnimmt. Aber im Alltag bin ich häufiger da. Weil Sie ja schreiben, dass die Identität im familiären Kontext mitentsteht, fragen wir uns, wie wir das gestalten können? Und sollte ich eher "mitspielen"und ihn auf Wunsch hin Paula nennen oder ihn da korrigieren? Heute ist es wieder den ganzen Tag so...
Eliana81
Schau dir doch mal das Buch "Prinzessinnenjungs" an, vielleicht kannst du darin Hilfe finden?! LG
Esmeralda
Ihr macht das richtig, nicht stereotypisch zu erziehen. Inzwischen outen sich Menschen, die sich jahrelang für transident hielten und sich teilweise sogar mit Hormonen und OPs haben behandeln lassen - die sich aber geirrt haben und die sagen, sie waren eben z.B. ein Mädchen, das lieber Hosen trug und Fußball spielte und konnten mit der stereotypischen Mädchenrolle, die in ihrer Familie ausschließlich vorgelebt wurde, nichts anfangen. Heute wissen sie, dass sie nur mit ihrer stereotypen Geschlechtsrolle nicht klarkamen, und nicht direkt mit ihrem Geschlecht. (Disclaimer: Hab nie behauptet, das gälte für alle Transpersonen oder Transidentitäten würden nicht existieren!) Ich will damit sagen, eine nicht-stereotypische Erziehung ist die richtige und davon wird niemand schwul oder trans! Für mich klingt es so, als würde euer Sohn tatsächlich ein Rollenspiel spielen. Weiß er denn überhaupt konkret, was eine Scheide ist oder ist das für ihn nur eine Worthülse? Aber vertrau doch deinem Gefühl, dass er auch weiss, dass er faktisch keine Scheide hat. Du kannst ja gegenüber anderen vielleicht erklärend sagen: Er spielt, dass er ein Mädchen ist. Würde er spielen, dass er ein Hund ist, würden ihn andere wahrscheinlich auch Waldi nennen und nichts dabei finden. Aber von dir ausgehend initiativ immer gleich Paula sagen, das würd ich auch nicht machen.
Dr. med. Ludger Nohr
Hallo, scheint ein bewegendes Thema zu sein und ist es auch. Es geht weit über meine Antwortmöglichkeiten hinaus. Freud nahm ja an, dass wir von Geburt an alle bisexuell seien. Und ich glaube auch, dass die strikte und frühe Rollentrennung (Farben, Spielzeug, Ansprache usw.) nicht notwendig und sinnvoll ist. Ich spreche gerne vom Möglichkeitsraum, den man den Kindern bieten soll. Es gibt zwei Dinge die im Kontakt wesentlich sind: Offenheit und Ehrlichkeit. Die Offenheit hilft, auch bei nicht Rollentypischem mitzugehen, die Ehrlichkeit erlaubt einem authentisch und damit fühlbar zu sein. Eine Möglichkeit wäre z.B. zu sagen "Ah, jetzt ist die Paula da......" und wenn es für Sie anders wird, "würde ich mich freuen, wenn der Paul(?) mal wieder da wäre". Es geht um mitschwingen und möglich machen. Das braucht er von Ihnen, egal wie aussen reagiert wird. Das angesprochene Buch dreht sich in meiner Erinnerung mehr um Eigenschaften (männlich-weiblich), die man zulassen sollte, weniger um Identität. Aber es hilft vielleicht, gelassener, offner und neugieriger (was macht das mit mir und warum?) damit umzugehen. Eine gute Zeit damit wünsche ich. Dr.Ludger Nohr
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