Frage: Allein im Wald ?

Liebe Frau Henkes, unser großer Sohn, gerade 6 Jahre alt, darf noch ein Jahr den Kindergarten besuchen. Er ist für sein Alter sehr klein und zierlich, Fremden gegenüber sehr schüchtern, hat noch große Probleme mit seinem Selbstbewusstsein. Er denkt und sagt, alle anderen Kinder können alles besser. Er hat extrem hohe Ansprüche an sich selbst, was ihm häufig im Wege steht. Ich vermute schon lange eine Hochsensibilität, was sich, je älter er wird immer deutlicher zeigt. Wir Eltern und die Erzieherinnen versuchen ihn zu bestärken, da es definitiv nicht so ist, dass die anderen besser sind, eher das Gegenteil, er kann Vieles schon sehr gut (malen, schreiben, rechnen, sich sprachlich ausdrücken), er ist sich dessen aber nicht bewusst. Er will alles perfekt machen, wenn er merkt es läuft nicht so gut wie er es sich vorgestellt hat, gibt er meistens auf. Ist traurig und schlecht gelaunt. Oft dann auch sehr wütend. Wirft mit Gegenständen oder schreit oder versucht mich zu schlagen. Nun möchte er auf dem Nachhauseweg vom Kindergarten schon einige Zeit allein voraus laufen, was ich immer erlaube. Ich habe gemerkt, dass es ihn richtig stolz macht. Wir wohnen sehr ländlich, mit sehr wenig Verkehr. Heute wollte er wieder voraus laufen, kam dann zurück, mit der Bitte allein noch etwas spazieren gehen zu dürfen. Da er sich sonst nichts ohne mich oder mein Mann traut, (also zum Beispiel ein Sportkurs ist daran gescheitert, weil es ohne Eltern ist und er alleine nicht hin möchte), begrüße ich alles was er sich alleine traut. Er war eine gute halbe Stunde allein unterwegs und als er zurück kam gefühlt 10 cm gewachsen vor Stolz. Nun möchte er gerne, was er schon öfter geäußert, ich aber noch nicht so ernst genommen habe, alleine in den Wald zum Beispiel zum Pilze suchen. Wir wohnen direkt am Wald, mein Mann ist Jäger und wir sind dort sehr viel unterwegs. Er war auch schon oft mit beim jagen. Kennt sich gut aus und hat einen guten Orientierungssinn. Dennoch finde ich es zu früh, ihn ganz allein in den Wald gehen zu lassen. Wenn er sich dort verletzt oder doch verläuft oder auf Fremde trifft ist er einfach absolut nicht der Typ, der dann sich zu helfen wüsste. Er würde nie laut rufen. Bei Fremden erstarrt er zur Salzsäule.  Der Wald ist groß und er liebt es durchs Dickicht zu streifen, wir würden ihn nicht mehr so einfach finden. Ich habe ihm angeboten, mit zu kommen und auf dem Weg zu bleiben und er kann überall alleine in den Wald rein gehen. Das möchte er aber nicht. Ihm ist wichtig ganz allein zu gehen. Er sagt er ist jetzt groß und kann das allein. Ich merke das, dass ein wichtiger Abnabelungsprozess und ein wichtiger Entwicklungsprozess für ihn ist. Auch im Hinblick auf die Einschulung in einem knappen Jahr. Dennoch denke ich, ist der Wald nicht dafür geeignet. Mein Mann bekommt leider auch öfter mit, dass Tiere von Wilderen erlegt werden, dass sich Paare im Wald vergnügen usw. Wie denken sie darüber? Wie kann ich unserem Sohn, ohne den neu erworbenen Mut, die Euphorie und das Selbstbewusstsein zu nehmen, vermitteln, dass der Wald noch nichts für alleinige Streifzüge ist? Oder sehe ich zu schwarz und sollte ihn bestärken und einfach machen lassen? Ich denke mir, wenn irgendwas wäre, würde doch jeder sagen, wie kann man nur ein Kindergartenkind allein in den Wald gehen lassen? Ich möchte aber auf keinen Fall diesen sensiblen wichtigen Entwicklungsprozess zerstören. Er hat so feine Antennen und würde sich womöglich wieder zurück ziehen wenn er merkt, ich traue ihm das nicht zu. Mein Mann denkt übrigens ähnlich wie ich.  

von Erbele am 06.10.2022, 20:42



Antwort auf: Allein im Wald ?

Guten Tag, Sie können Ihrem Sohn vermitteln, dass Sie schon denken, er würde es alleine im Wald schaffen. Sie und Ihr Mann sind aber noch nicht so weit und haben zuviel Angst um ihn. Deshalb kann er noch nicht alleine losziehen, sondern muss warten, bis Sie weniger ängstlich sind. Das mag für ihn ärgerlich sein, aber Sie bestimmen, was er darf und was nicht. Und ein sechsjähriges Kind kann sich nicht alleine im Wald aufhalten.Sie helfen Ihrem Sohn damit, indem Sie die Angst auf sich nehmen, ihm aber signalisieren, dass Sie es ihm zutrauen. Er kann sich selbst dadurch so erleben, als würde er es jederzeit allein im Wald schaffen. Bloß weil seine Eltern es nicht erlauben, kann er es nicht beweisen. Ich vermute, dass Ihr Sohn das unbewusst auch so konstruiert hat, um seine Angst zu verleugnen und sich selbst zu beweisen, wie mutig und groß er schon ist. Das ist in diesem Alter eine häufige Vorstellung, um zu einem anderen Umgang mit der eigenen Angst zu finden. Es gibt die häufige Phantasie von Jungen, es sogar mit dem Tyrannosaur Rex aufzunehmen. Hier hilft die Phantsie mutiger zu werden und das Selbstbild zu entwickeln. Beweisen kann man es schließlich nicht. Ihr Sohn wird schon geahnt haben, dass Sie ihm die Alleingänge im Wald nicht erlauben. Bleiben Sie mit ihm zusammen in der Phantasie und geben Sie ihm Gelegenheit, sich vorzustellen, was er denn alles im Wald machen würde, wenn er denn nur dürfte. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 07.10.2022