Frage: 5-Jähriger bricht aus wie ein Vulkan

Liebe Ingrid Henkes, vielen Dank für Ihre Zeit! Es geht um unseren Sohn Linus. Er ist 5, hat einen Bruder (7) und eine Schwester (2). Mein Mann und ich versuchen stets, gerecht und liebevoll zu sein. Linus jedoch fordert seit Beginn seiner Trotzphase (begann mit 1,5) sehr viel Aufmerksamkeit. Die holt er sich durch Schreien, Hauen, Schimpfen. Er schreit wie am Spieß, wenn ihm etwas nicht passt, er seinen Willen nicht bekommt oder wenn er merkt, dass er nachgeben muss. Er haut auch seinen Vater, beschimpft ihn übel. Ein Beispiel von gestern: Sein Bruder hatte Besuch. Ich versuchte, Linus zu beschäftigen. Irgendwann rannte er ins Zimmer seines Bruders, wenig später gab es Streit. Nur mit Mühe bekam ich ihn aus dem Zimmer. Auf dem Weg ins Erdgeschoss schrie er auf der Treppe unvermittelt so laut und lange, dass ich ausrutschte und fast runterfiel. Seine Schwester weinte vor Schreck. Linus bricht oft unvermittelt aus wie ein Vulkan. Reden, Umarmen, Schimpfen - nichts hilft. Auszeiten funktionieren nicht, er kommt sofort zurück. Er ist wie ein Hund, der sich festbeißt. Ohne Regulativ, ohne Atempause, ohne „Aufwachen“. Hinzu kommen neuerdings Ticks wie Räuspern oder Quietschen. Alles laut und störend. Linus hat zwei Gesichter. Eins ist liebevoll, schlau, konzentriert, rhetorisch weit entwickelt, vernünftig, kreativ, witzig, beliebt. Das zweite Gesicht besteht nur aus Wut und Aggression. Ist das noch normal? Was können wir tun? VG, Saskia

von Saskia-Plus-Drei am 27.05.2021, 09:59



Antwort auf: 5-Jähriger bricht aus wie ein Vulkan

Guten Tag Saskia, was Sie beschreiben, hört sich so an als fordere Ihr Sohn dringend ein, dass ihm Grenzen gesetzt werden. Er scheint sich wirklich "festzubeißen", bis ihn jemand effektiv stoppt. Kinder, die so intensive Machtkämpfe führen, wirken äußerlich sehr dominant und selbstbewußt. Das täuscht aber in der Regel. Die psychische Seite sieht anders aus. Natürlich finden Kinder es zunächst toll und es gibt ihnen mehr Bedeutung, wenn sie ihren Willen äußern können und ihn durchzusetzen versuchen. Damit lösen sich Kleinkinder erstmals ein Stück von den Eltern. Das soll in dieser Entwicklungsphase auch erreicht werden. Aber die Begrenzung durch die stärkeren Eltern gehört unbedingt auch dazu. Die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Kleinsein und der scheinbar grenzenlosen Macht, wenn für das Kind keine Grenzen erkennbar werden, ängstigt Kinder massiv. Wenn sie mächtiger sind als die Eltern, müssen sie Sorge haben, deren Aufgaben übernehmen zu müssen und können sich nicht mehr unter den Schutz der Eltern begeben. Sie spüren aber, dass sie damit hoffnungslos überfordert sind. Sie müssen dann auch den Liebesverlust der Eltern befürchten, weil sie so "schlimm" sind. Das ist so in etwa der psychische Hintergrund. Das ist nicht etwas, was Ihr Sohn sich denkt. Das kann er nicht. Aber er macht auf seine Not aufmerksam, indem er sie "verfolgt", bis die notwendige Reaktion erfolgt. Da das Verhalten Ihres Sohnes schon recht lange überdauert, sollten Sie möglichst bald zu einer Lösung finden, um Ihren Sohn zu entlasten und bevor das Verhalten sich zu sehr verfestigt. Ihr Sohn braucht von Ihnen eine klare Haltung und eindeutige Grenzen, die Sie durchzusetzen wissen. Das können Sie zunächst auf einige Bereiche begrenzen, damit es nicht zu viele derartige Situationen gibt. Das könnten z.B. die körperlichen Angriffe auf Familienmitglieder sein. Wenn Sie dabei ruhig bleiben können, ohne auf Ihre Forderungen an ihn zu verzichten, ist das sicher sinnvoll. Vielleicht werden Sie auch eine Weile während seiner Auszeit vor seinem Zimmer stehenbleiben müssen, damit er nicht wieder rausläuft. Ihr Sohn muss sehr deutlich erfahren, dass Sie meinen, was Sie sagen. Sie können dazu auch den Text meines Kollegen über "liebevolle Klarheit" auf unserer Seite lesen. Ich halte das Umarmen nicht für eine angemessene Reaktion auf sein Verhalten. Es signalisiert Zuwendung für das Falsche und vermittelt vermutlich auch ein "falsches" Gefühl Ihrerseits. Sie Sind wohl eher wütend auf ihn, als dass Sie ihn umarmen wollen. Sie benennen so viele tolle Eigenschaften Ihres Sohnes, dass es schade wäre, wenn dieser problematische Verhaltensbereich diese alle überlagern würde. Sollten Sie den Eindruck haben, dass Sie mit Ihrer Erziehung hier keine Veränderung erreichen, können Sie kindertherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 27.05.2021



Antwort auf: 5-Jähriger bricht aus wie ein Vulkan

Liebe Frau Henkes, wenn ich hier als Nichtfragestellerin was nachfragen dürfte: Ich bin überrascht, dass Sie die Methode der Auszeit befürworten. Ich hatte Sie und Dr. Nohr immer so verstanden, dass Kinder nie das Gefühl haben dürfen, dass die elterliche Liebe und Zuneigung abhängig ist vom Verhalten des Kindes. Entziehe ich in den Augen des Kindes mit der Auszeit aber nicht gerade meine Zuneigung, wenn es sich nicht so verhält wie gewünscht? Mir ist klar, dass nicht jedes Verhalten durchgehen darf und dem Kind auch Grenzen gezeigt werden müssen, aber Auszeit dafür einzusetzen, möchte ich kritisch hinterfragen. Zu diesem Thema finde ich folgenden Text beim "gewünschtesten Wunschkind" nachvollziehbar: "AUSZEITEN ALS ERZIEHUNGSMITTEL LÖSEN URÄNGSTE AUS Liebesentzug durch Abwenden - warum diese Erziehungsmethode unsere Kinder an unserer bedingungslosen Liebe zweifeln lässt [...] Ich denke nicht, dass durch Auszeit echte Einsichtigkeit generiert wird. Ebensowenig wie Empathie, wenn das Kind z. B. in die Auszeit geschickt wurde, weil es ein anderes gehauen hat. Ich bezweifle, dass durch das Verhängen von Auszeit ein Kind dauerhaft davon abgehalten wird, unerwünschtes Verhalten zu zeigen. Im Höchstfall wird es nach Androhung einer erneuten Auszeit damit wieder aufhören, allerdings nicht, weil es sich daran erinnert, welche Einsichten es bei der letzten Auszeit gewonnen hatte, sondern aus der Angst heraus, wieder weggesperrt zu werden und die elterliche Liebe zeitweise zu verlieren. Und ist es das, was wir wollen - dass unsere Kinder aus reiner Angst gehorchen?" Quelle: https://www.gewuenschtestes-wunschkind.de/2013/06/auszeiten-warum-die-erziehungsmethode.html

von Curcuma am 27.05.2021, 17:42



Antwort auf: 5-Jähriger bricht aus wie ein Vulkan

Guten Tag, aus Respekt vor der Fragestellerin möchte ich an dieser Stelle nur kurz auf Ihre Frage eingehen. Ich bemühe mich, FragestellernInnen individuelle Antworten zu geben. Da geht es nicht immer um eine "richtige" Methode sondern um das Stärken der Eltern in ihrem Umgang mit dem Kind. Man kann zur Auszeit verschiedener Meinung sein, aber um Liebesentzug handelt es sich dabei sicher nicht. Es geht vielmehr um den Entzug von Aufmerksamkeit. Alles Gute Ihnen Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 28.05.2021