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Geschrieben von Katjana am 01.03.2006, 9:00 Uhr

Kleine Geschichte dazu...

Bis zum letzten Atemzug

Hagen stolpert aus der Arztpraxis. Fast wäre er gefallen.
Und wenn schon, tiefer fallen kann er nicht mehr. Längst steht er am Abgrund seines Lebens. Doktor Wellmann hat es ihm gerade gesagt. Lungenkrebs! Mitte Dreißig ist Hagen und hat eben sein Todesurteil erhalten. Der Arzt sagt, heute kann man schon viel tun. Was heißt das? Operationen, Chemotherapie, Bestrahlung, unsagbare Schmerzen ertragen? "Nein danke, nicht mit mir", murmelt Hagen. Ein schwarzer Fleck auf der Lunge.
Ein halbes Jahr noch - oder etwas länger? Wie lange noch? Das ist ungewiss, sagt der Herrgott in Weiß.
Es weht ein heißer Sommerwind, doch Hagen friert in der Sonne. Wie oft haben "Besserwisser" gesagt, Hagen du rauchst dich tot. Wie oft hat er es nicht geglaubt. Warum eigentlich nicht? Mit etwas Nachdenken hätte er es glauben müssen.
Da kommt ein Junge ihm Zigarette rauchend entgegen, 15 Jahre, kaum älter. "He, hör' auf mit dem Dreck. Daran krepierst du!" Hagen erschrickt über seinen Sinneswandel. Dem Bengel das zu sagen, so was wäre ihm früher nie eingefallen.
"Kümmere dich um dein Zeug, Opa!" ruft er zurück und hebt seinen Mittelfinger. Was heißt hier Opa - denkt Hagen wütend. Seh' ich nicht aus wie 35? Hat das Nikotin mich altern lassen? Um mein Zeug soll ich mich kümmern. Was ist mein Zeug? Wie viel Zeit bleibt dafür? Fest steht, ein Opa werde ich in diesem kurzen Leben nicht mehr. Es ist kein Trost, wie ein Opa aus zu sehen. Das ist eher makaber.
Hagen nimmt die Abkürzung durch den Stadtpark, um zu seiner Wohnung zu gelangen. Ein Schauer läuft ihm den Rücken runter. Nicole! Wie sag' ich's meiner Frau? Hagen setzt sich auf eine Bank. Schweißperlen treten auf seine Stirn. Seine Hände mit den gelben Fingerkuppen zittern wie Espenlaub. Ein Schwächegefühl durchjagt seinen Körper. Das sind Entzugserscheinungen weiß er. Oh mein Gott, was wird aus Manuel? Der Kleine muss ohne seinen Papa aufwachsen. Hat der Junge so einen Vater verdient, der völlig gewissenlos durchs Leben stolpert? Einen, der sich auf Raten tötet? Warum ist er nicht gleich aus dem 10. Stockwerk gesprungen? Wieso hat er nicht wenigstens für sein liebes Kind versucht, von der todbringenden Sucht loszukommen?
Es ist zu spät, sich diese Fragen zu stellen. Nichts wird ihm mehr helfen. Vielleicht sollte er verreisen? Weit weg, das kurze Stück Leben genießen. Und wovon? Hagens geringer Lohn floss in den letzten Jahren stärker in unzählige Zigarettenstangen. Seine Gedanken drehten sich nur noch um das Teufelsgift, das er so brauchte. Ein schwarzer Fleck auf der Lunge bedeutet, der Tod streckt seine Arme nach ihm aus.
Mutter! Um Gotteswillen Mutter! Hagen fällt bleich wie eine Krankenhauswand in sich zusammen. Er hört sie deutlich flehen:
"Junge, ich habe dich nicht geboren, damit du dich tot rauchst.
Hör' auf damit! Tausende sterben täglich an dem Gift. Es gibt soviel Hilfe, diese Sucht auszurotten. Du rauchst dich doch tot."
Mutters sorgenvolles, tränenüberströmtes Gesicht. Hagen hatte damals unüberlegt geantwortet, wer eher stirbt, ist länger tot.
Heute kaum vorstellbar, doch er hatte es gesagt. Unter der Sucht hat auch sein Verstand gelitten. Doch das erkennt er zu spät. Hagen wünschte, Mutter würde nie erfahren, warum er sterben muss. Was tun, was tun? hämmert es in Hagens vernebeltem Kopf. Der schwarze Fleck auf der Lunge wird ihn nie wieder lachen lassen. Es lohnt sich nicht mehr zu leben - so nicht. Er hat den Krebs und er wird daran zugrunde gehen. Soll er sein Leben beenden? Durch eigene Hand? "Mutter!" schrie Hagen verzweifelt. Darf er überhaupt das Leben, das seine Mutter ihm gegeben hat, selbst beenden? Und seine Nicole - eine Witwe?
Sie ist die Klügere! Hat nie geraucht, hat um ihn gekämpft wie eine Löwin und gehofft, er würde eines Tages aufhören. Und er?
Was tat er? Hing wie ein Ertrinkender am Glimmstängel.
Gleich hat Hagen sein Haus erreicht. Ihm ist brechübel. Wie soll er Manuel und Nicole gegenüber treten? Den Tod im Nacken, wie? Da springt die Haustür auf und Manuel rennt ihm strahlend entgegen. "Papi, Papi, guck was ich für dich gemalt habe. Guck, das bist du - und die Mami und euer Manuel. Wir sind am Meer und die Sonne scheint." Hagen hält seinen kleinen Sohn fest - ganz fest. So fest, als könnte er damit alles retten. Die Tränen laufen ihm übers Gesicht. Wie lange bleibt ihm noch für dieses unendlich große Glück? Er wird darum kämpfen bis zum letzten Atemzug...

 
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