Kann ich beim 2. Kind überhaupt stillen?

 Biggi Welter Frage an Biggi Welter Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

Frage: Kann ich beim 2. Kind überhaupt stillen?

Hallo, ich habe eine Frage zum Stillen, muss dafür aber etwas weiter ausholen: Bei meinem ersten Kind ( Tochter, heute 14 Jahre alt) hat das Stillen nicht geklappt, also hat mir mein FA eine elektrische Milchpumpe verschrieben. Das mit dem Abpumpen hat anfangs auch gut funktioniert. Nach 4 Wochen hatte ich eine leichte Brustentzündung, die ich mit Quark wegbekommen habe (dachte ich damals). 2 Wochen später hatte ich je Brust 500ml (!) Milch abgepumpt, 1 Woche später lag ich mit schwerer Brustentzündung und 41°C Fieber im Krankenhaus. Ich hab 3 mal am Tag Antibiotika bekommen (i.v.). ein paar Tage später ging es mir dann besser, aber leider hatte ich starke Kopfschmerzen, so stark das mit irgendwelchen opiaten Schmerzmitteln behandelt wurde. Die Kopfschmerzen gingen dann nach 8 Tagen auch weg und ich konnte mit Kind wieder heim. Von da an gings mit Pumpen weiter, aber die Milch ist fast versiegt und ich bin auf Milchpulver umgestiegen. Mein FA damals meinte, das ich davon ausgehen kann das ich auch bei weiteren Kindern nicht Stillen werde können, weil nicht die komplette Milch aus der Brust abfließt. Jetzt bin ich mit dem 2. Kind schwanger. Ich würde gerne Stillen. Auch wenn ich leider nur 8 Wochen Stillen werde können, ich bin die Hauptverdienerin in unserer Familie und habe gerade einen neuen Job angefangen, ich kann nicht gleich in Elternzeit gehen. Meine Frage nun: 1. Kann auf Grund meiner Still-Historie beim 2. Kind stillen? 2. Lohnt sich das überhaupt für 2 Monate? Vielen herzlichen Dank

von Hasi_2012 am 10.10.2011, 13:40



Antwort auf: Kann ich beim 2. Kind überhaupt stillen?

Liebe Hasi_2012, ja ja un ja :-). Zum Glück ist es wirklich jedes Mal anders!! Es tut mir leid, dass deine erste Stillerfahrung nicht erfolgreich war. Das muss sich aber nicht zwangsläufig wiederholen. Etwa 98 % aller Frauen können stillen, vorausgesetzt, sie bekommen die richtigen Informationen, werden korrekt unterstützt und wollen stillen. Der Umkehrschluss von dieser Aussage lautet: zwei Prozent aller Frauen können tun und lassen was sie wollen, können die beste Unterstützung der Welt erhalten und werden dennoch nicht (voll) stillen können. Gründe für eine zu geringe Milchbildung oder gar ein Ausbleiben der Milchbildung können in unterentwickeltem Drüsengewebe, aber auch bei Stoffwechselproblemen liegen (so hat eine Schilddrüsenunterfunktion möglicherweise einen gravierenden Einfluss auf die Milchbildung). Auch extrem starke Blutungen nach der Geburt können dazu führen, dass die Frau eine Art Hypophyseninfarkt erleidet und keine oder nur sehr wenig Milch bilden kann (Sheehan Syndrom). Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist auch das Stillmanagement in der Zeit unmittelbar nach der Geburt. Nicht immer, lässt sich alles, was in diesem Zeitraum nicht optimal gelaufen ist, wieder korrigieren. Es gibt die "Prolaktin Rezeptoren Theorie", die besagt, dass das häufige Saugen des Babys in den ersten Tagen der Stillperiode die Entwicklung der Prolaktinrezeptoren im Brustdrüsengewebe fördert. Bleibt die Förderung dieser Entwicklung durch zu wenig Stimulation aus, ist es nicht immer möglich die Milchmenge später entsprechend zu steigern. Im Tierversuch ist diese Theorie bereits belegt. Ein ganz anderer Gesichtspunkt, der keinesfalls so augenscheinlich ist, ist die Psyche der Frau. Wenn wir eine Frau mit Stillproblemen vor uns sehen, kennen wird nur sehr selten die Geschichte dieser Frau. Wir wissen in der Regel nicht, ob sie zum Beispiel als Kind oder Jugendliche missbraucht wurde und deshalb die Nähe, die das Stillen unwillkürlich mit sich bringt, nicht ertragen kann. Diese Frau will vielleicht wirklich stillen, versucht auch vieles und schafft es nicht, weil ihre Psyche es nicht zulässt. Leider ist dieser letzte Punkt viel häufiger die Ursache für Stillprobleme, als wir es uns oft vorstellen. Auch andere psychische Ursachen sind nicht gerade selten. Bei vielen Frauen ist es aber nach wie vor so, dass es schlicht und ergreifend an der mangelnden Betreuung und falscher Information liegt. So wird zum Beispiel immer noch geraten, dass stillende Frauen extrem viel trinken müssten, um die Milchbildung zu fördern, obwohl bewiesen ist, dass eine zu hohe Flüssigkeitszufuhr zu einer Verringerung der Milchmenge führen kann. Es wird immer noch viel zu wenig Augenmerk auf das korrekte Anlegen und richtige Saugen des Kindes gelegt, beides Faktoren, die nicht nur wegen der wunden Brustwarzen sondern auch für die optimale Stimulation der Brust extrem wichtig sind. Viele Frauen werden immer noch angehalten das Stillen sowohl was die Häufigkeit als auch die Zeit an der Brust betrifft einzuschränken obwohl letztlich der wichtigste Faktor für die Milchbildung das häufige Anlegen bzw. Anregen der Brust ist. Doch, wie gesagt, 98% der Frauen KÖNNEN stillen, wenn sie das Know-How bekommen. Darum möchte ich dir nachfolgend die wichtigsten Punkte für den Grundstein einer erfolgreichen Stillbeziehung auflisten: Bald stillen oft stillen uneingeschränkt stillen keine Flüssigkeit oder andere Nahrung dazugeben außer bei medizinisch begründeten Fällen. Das sind die wichtigsten Schlagworte für einen erfolgreichen Stillbeginn. Das Baby sollte so bald wie möglich nach der Geburt zum ersten Mal angelegt werden und dann jederzeit und ohne zeitliche Einschränkung an die Brust dürfen, wenn es das will. Bei eher schläfrigen Kindern oder Babys mit verstärkter Neugeborenengelbsucht muss die Mutter unter Umständen den Takt angeben und dafür sorgen, dass das Kind mindestens acht bis zwölf Mal innerhalb von 24 Stunden an der Brust trinkt. Tee, Glukoselösung oder Wasser sind überflüssig und vor allem bei einer eventuell verstärkten Neugeborenengelbsucht sogar kontraproduktiv. Das Bilirubin (der gelbe Farbstoff, der für die Gelbfärbung der Haut bei der Neugeborenengelbsucht verantwortlich ist) wird nur zu zwei Prozent über den Urin ausgeschieden, der Rest wird durch den Darm ausgeschieden. Daher ist es unsinnig, die Gelbsucht "ausschwemmen" zu wollen. Wichtig ist, dass der Darm mit Nahrung versorgt wird und die Verdauung angeregt wird, das Mekonium möglichst rasch ausgeschieden wird. Das Kolostrum, die wichtige erste Milch wirkt abführend und begünstigt damit die Ausscheidung des Bilirubins. Der Organismus eines Neugeborenen ist auf viele, kleine Mahlzeiten eingestellt. Sein Magen hat etwa die Größe eines Teebeutels. Kleine Mengen an Muttermilch sind also absolut richtig und in Ordnung. Wichtig ist, dass das Baby ab dem zweiten, dritten Tag mindestens drei bis vier Darmentleerungen hat und ausreichend Urin ausscheidet. Eine Gewichtsabnahme von etwa sieben Prozent des Geburtsgewichtes innerhalb der ersten Tage ist normal, bis zehn Prozent sind bei einem ansonsten gesunden Kind tolerierbar. Spätestens mit drei Wochen sollte ein Neugeborenes sein Geburtsgewicht wieder erreicht haben. Milchbildungstee ist nicht notwendig und es hat keinen Sinn ihn bereits während der Schwangerschaft zu trinken. Wenn überhaupt Milchbildungstee getrunken wird, dann bitte auch nicht mehr als höchstens zwei bis drei Tassen täglich, da mehr zu Bauchproblemen beim Kind führen kann. Wunden Brustwarzen und anderen Stillproblemen wird am besten dadurch vorgebeugt, dass Frau sich informiert! Wunde Brustwarzen entstehen nämlich in über 80 % der Fälle durch falsches Anlegen oder Ansaugen. Es ist extrem wichtig, korrekt anzulegen, nicht nur um wunde Brustwarzen zu vermeiden, sondern auch, damit die Brust gut stimuliert und richtig entleert wird und so die Milchbildung gut in Gang kommt bzw. aufrecht erhalten wird. Deshalb ist es entscheidend, dass eine Schwangere sich möglichst gut über das Stillen und die grundlegenden Dinge wie korrektes Anlegen und Ansaugen, das Prinzip von Angebot und Nachfrage, Stillen nach Bedarf usw. informieren. Nochmals: Ganz wichtig ist dass Frau weiß, wie korrekt angelegt ist und woran man erkennen kann, dass das Baby richtig ansaugt und effektiv an der Brust trinkt. Hierzu bietet sich neben dem Lesen der entsprechenden Literatur (z.B. "Stillen gesund und richtig" von Denise Both und Gabi Eugster, "Das Handbuch für die stillende Mutter" von der La Leche Liga, "Stillen einfach nur stillen" von Gwen Gotsch) der Besuch einer Stillgruppe an. In einer Stillgruppe triffst du nicht nur andere stillende Mütter, sondern lernst auch gleich eine kompetente Ansprechpartnerin kennen, für den Fall, dass es nach der Geburt zu Stillproblemen kommen sollte. Adressen von Stillberaterinnen finden sich im Internet unter: http://wwwlalecheliga.de (Stillberaterinnen der La Leche Liga), http://www.afs-stillen.de (Stillberaterinnen der Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen) oder http://www.bdl-stillen.de (Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC). Erkundige dich auch einmal, ob es in deiner Nähe ein Babyfreundliches Krankenhaus gibt; dort verläuft der Start der Stillbeziehung oft sehr viel besser und es gibt echte und gute Unterstützung nach der Geburt. Ich wünsche dir eine sorgenfreie schöne restliche Schwangerschaft, eine gute Geburt und diesmal eine problemlose und schöne Stillzeit. LLLiebe Grüße, Biggi

von Biggi Welter am 10.10.2011