Da in diesem Forum so viel über das Thema Selbstbewusstsein gefragt und geantwortet wird würde mich mal folgendes interessieren: Wie äussert sich eigentlich genau fehlendes Selbstbewusstsein bei einem 2 1/2 jährigem Kind? Wie merkt man, dass das Kind kein Selbstbewusstsein hat? Unsere Kleine zum Beispiel ist in einigen Dingen mutiger, in anderen ängstlicher, wie lässt sich also der "Oberbegriff" Selbtbewusstsein definieren? Wann bildet es sich? Vielen Dank
Mitglied inaktiv - 06.06.2006, 14:18
Antwort auf:
Selbstbewusstsein
Stichwort Selbstbewußtsein
Hallo, Ihre Frage zielt, wenn ich Sie richtig verstehe, auf eine grundsätzliche Darstellung des Persönlichkeitsmerkmals Selbstbewußtsein. Zunächst einmal ist zu sagen, daß sich Ihre Tochter mit 2 1/2 Jahren noch mitten in der Aufbauphase ihres Selbstbewußtseins befindet. D.h. zu diesem Zeitpunkt kann noch nicht von einer steten Ausgewogenheit ausgegangen werden.
Das Selbstbewußtsein eines Kindes ist meiner Auffassung zufolge das Produkt aus verinnerlichter, sicherer Bindung, gefolgt von erfolgreicher Loslösung und der Vermehrung positiver Attribute oder Attributionen über das eigene Selbst. D.h. das Kind muß erst ein selbständiges und mit sich selbst indentifizierbares Selbst entwickelt haben, damit es Selbstbewußtsein aufbauen kann. Das Selbst ist aber das Ergebnis der beiden Faktoren sichere Bindung und gelingende Loslösung. Die Basis für das perönliche Selbst gibt das Ich ab, das langsam aus dem reinen Körpergefühl heraus, da zu sein, zu dem Bewußtsein anwächst, eine eigenständige, d.h. von der primären Bezugsperson unabhängige Person zu sein (der Kinderpsychologe D. Stern spricht in dieser Phase von einem Kern-Selbst).
Vom eigenständigen Selbst spricht man in der Entwicklungspsychologie ab etwa 1 1/2 Jahren. Im Trotz wird diese Eigenständigkeit nun inszeniert, ausprobiert und durchgesetzt. Ohne diese Erlebnisse mit Reibung an der sozialen Umwelt macht das eigene Selbst wenig Sinn. Denn alles, was sich in der Natur und auch in der Sozialität durchsetzt, erzeugt Reibung und ist Ergebnis von Auseinandersetzungen.
Je nachdem, wie nun die genetischen Anlagen des Kindes aussehen, ist das eine Kind mehr eine Kämpfernatur und das andere mehr der beharrliche Durchsetzer. Auf jeden Fall muß das Selbst durchgebracht werden, sonst entsteht das Risiko einer seelisch kranken Persönlichkeit.
Das Geschick elterlicher Erziehung, incl. früh gewählter Fremdbetreuung!!, besteht darin, dem Kind zu einem ausgewogenen Selbst zu verhelfen. D.h. viele sinnvolle, positive Attribute (Zuschreibungen durch Liebe, Anerkennung, Respekt, Lob usw.) müssen die unvermeidbaren negativen (Mißerfolge, Tadel usw.) immer etwas überwiegen, damit diese Ausgewogenheit zustande kommen kann. Das ist das, was ich als die gesunde Basis eines starken Selbstbewußtseins bezeichne. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 10.06.2006