Hallo,
ich mache mir schon seit längerem Gedanken über das fehlende Fremdeln meines Sohnes (15 Monate). Es ist eher selten, dass er sich mit Vorsicht fremden Personen nähert. Im Normalfall lacht er alle sofort an und will auch oft sogar von ihnen hochgenommen werden - egal ob er diese Person kennt oder nicht. Das freut natürlich die Umgebung, wundert mich aber, wenn ich doch die Kinder der anderen Mütter im gleichen Alter sehe, die schon einen Heulkrampf kriegen, wenn die Mami nur mal schnell zur Toilette muss.
Das nächste "Problem": Wenn wir bei der Oma sind, bin ich völlig abgeschrieben. Das geht soweit, dass er da das Weinen anfängt, wenn Omi mal kurz in ein anderes Zimmer geht (das kenne ich ja nun überhaupt nicht!) und dass er sich dann auch von mir nicht trösten lässt. Da MUSS es einfach die Omi sein und ich kann eigentlich für ein paar STunden verschwinden, ohne dass es ihn berühren würde.
Mich verletzt das Verhalten schon irgendwie, denn ich verbringe seit seiner Geburt jede Stunde mit ihm und tue alles für ihn. Ich denke, das Urvertrauen wurde auf alle Fälle hergestellt. Äussert sich durch diese scheinbar fehlende Anhänglichkeit womöglich nur sein unerschütterliches Vertrauen darin, dass ich immer da bin, falls er mich braucht? Oder muss ich mir Gedanken machen?
Vielen Dank im voraus!
Snuffi
Mitglied inaktiv - 19.07.2004, 10:13
Antwort auf:
Fehlende Anhänglichkeit?
Hallo, Fremdeln ist eine Erscheinung des 1. Lebensjahres. Im 2. Leb.jahr kann man höchstens von Fremdenangst sprechen. Die scheint bei Ihrem Sohn nicht vorhanden zu sein, was durchaus mit dem hohen Grad an Urvertrauen zu tun haben kann. Ich glaube auch nicht, daß Ihr Sohn in seiner Sgl.zeit nie gefremdelt hat, wahrscheinlich war es ein verstecktes Fremdeln, das Sie nicht so gewertet haben.
Was das Verhältnis zur Großmutter angeht, kann es sich bei ihr um eine konkurrierende Bezugsperson handeln oder, was wahrscheinlicher ist, er hat sie zu seinem Loslösungsvorbild gemacht. Das hängt ganz von der Rolle des Vaters ab, d.h. ob dieser verfügbar ist oder nicht. Davon schreiben Sie aber nichts, so daß ich Ihnen leider keine ganz zufriedenstellende Antwort geben kann. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 19.07.2004
Antwort auf:
Fehlende Anhänglichkeit?
Vielen Dank erstmal für Ihre Antwort.
Sie haben Recht, auch er hat in der Säuglingszeit gefremdelt, aber eben lange nicht so wie die anderen Babies, mit denen wir durch Babyschwimmen etc. zu tun hatten. Für mich und auch für die Umgebung war das natürlich sehr angenehm, aber auch ein wenig verwunderlich.
Der Papa ist beruflich sehr eingespannt, so dass mein Sohn seine Oma viel häufiger sieht als ihn. AM zweithäufigsten von allen Personen neben meiner.
Was meinen Sie mit konkurrierender Bezugsperson? Von seiner Seite aus oder von seiten der Oma? Da muss ich dazu sagen, dass diese Oma im Gegensatz zur anderen Oma (die er auch weniger sieht und bei der er sich auch völlig anders verhält!) weder besitzergreifend noch fordernd auftritt und die Meinung vertritt, dass ein Kind zu seiner Mutter gehört.
Da ich mich schon in der Schwangerschaft u. a. mit dem Thema Urvertrauen beschäftigt habe, ging ich auch nicht auf die "Ratschläge" ein, mein Kind schreien zu lassen (das stärkt ja die Lungen) und andere absurde Sachen. Meinen Sie, dass er dadurch dieses Urvertrauen gewonnen hat und sich somit in nahezu allen Alltagssituationen sicher und geschützt fühlt?
Mein Kinderarzt meinte nämlich einmal bei einer Untersuchung, es ist schon ungewöhnlich, so ein freundliches Kerlchen vor sich zu haben in diesem Alter und ob ich ihn oft zu anderen Personen gebe. Das konnte ich ganz klar verneinen. Das fand er gut, da es seiner Meinung nicht gut ist, ein Kind "herumzureichen". Allerdings wunderte er sich dann eben, denn solche Rumreichkinder fremdeln normalerweise nicht und er meint aber, dies sei ein wichtiger Entwicklungsschritt. Auch habe ich gelesen, dass der Grad des Fremdeln u. a. ausdrückt, wie stark die Mutter-Kind-Bindung ist. Somit müsste ich ja davon ausgehen, dass seine Bindung zu mir nicht stark ist?!
Ich wäre Ihnen für eine zweite Antwort sehr dankbar!
Grüsse
Mitglied inaktiv - 20.07.2004, 13:37
Antwort auf:
Fehlende Anhänglichkeit?
Hallo noch einmal, die Behauptung, daß schwach fremdelnde Säuglinge keine so starke Bindung an ihre Mutter entwickelten, erscheint irgendwie plausibel, ist aber falsch. Das Ausmaß des Fremdelns ist mehr von den Charakternalagen abhängig als von der Bindungsintensität. Allerdings fremdeln schlecht gebundene ältere Säuglinge heftiger (erhöhter Angstfaktor), v.a. wenn sie auch temperamentvoll sind. Ebenso falsch ist die Auffassung, daß viel herumgereichte Säuglinge sich an die fremden Menschen gewöhnten. Allenfalls entwickeln sie ein vermeidendes Verhalten, was ihre Angstgefühle angeht. Eine unsicher vermeidende Bindung ist aber ein deutlicher Risikofaktor für die weitere Entwicklung des Selbst.
Aus all dem können sie schließen, daß Sie den richtigen Gedankenansatz im ersten Lebensjahr vertreten haben.
eine konkurreierende Bezugsperson könnte die Oma trotzdem sein, wenn sie wichtige Aufgaben in der Pflege Ihres Sohnes übernommen hat. die geringe Verfügbarkeit des Vaters macht sie jetzt in der Phase der Loslösung aber zu einer wichtigen "3.Person". So müssen Sie die Zusammenhänge verstehen. Prinzipiell müßte sich Ihr Mann viel stärker seinem Sohn verfügbar machen. Eine typische Schwierigkeit in unserer vollbeschäftigten Gesellschaft, die automatisch zu Unsicherheiten in der Loslösung führt. Solche Kinder ertrotzen ihre Loslösung viel stärker als andere und jetzt kommt dieselbe Frage wie im 1. Lebensjahr: Schreien-lassen = Grenzen-setzen, oder Geborgenheit-bieten = Regeln-erarbeiten. Wie Sie wissen, bin ich für das jeweils letztere. Dazu mein Langtext über das emotionale Bewußtsein. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 21.07.2004