Lieber Herr Dr. Posth,
erlauben Sie, dass ich mich noch einmal auf Ihre Antwort weiter unten zu meiner Frage zur Fremdbetreuung/Babysitter für unseren 2jährigen Sohn beziehe?
Sie schlagen vor, ggf. mal auszuprobieren, den Babysitter kommen zu lassen und dann aber dem Weinen meines Sohnes nachzugeben und doch nicht wegzugehen. Spontan würde ich hierbei befürchten, dass ihm diese Reaktion - plötzlich bleiben Papa und Mama da, wenn ich weine und ich kann Macht ausüben (das war ja meine Vermutung, dass die Ohn-Macht in diesem Fall das Schmerzliche für ihn ist, nicht unser Wegsein), ein ander Mal gehen sie, und ich kann wieder nichts ausrichten - willkürlich erscheint und dadurch die Unsicherheit oder das Gefühl von Ohnmacht nur noch verstärkt werden.
Aber vielleicht habe ich Sie auch mißverstanden. Ich schätze sehr, dass Sie sich mit Ihren Antworten am seelischen Wohl des Kindes orientieren und das vorrangig vor allem anderen sehen. Daher frage ich hier noch einmal nach. Aus eigener negativer Erfahrung ist mir das Thema Fremdbetreuung sehr wichtig. Wird denn ein sicher gebundenes, ausgeglichenes Kind in diesem Alter nicht weinen, wenn die Eltern gehen - oder wie lange? An was können wir uns denn orientieren, ob ihn die Fremdbetreuung belastet oder nicht?
Besten Dank noch einmal!
Herzliche Grüße
Caraly
Mitglied inaktiv - 28.06.2004, 13:35
Antwort auf:
Ergänzung zu Fremdbetreuung
Liebe Caraly, die Sache mit der Fremdbetreuung ist meines Erachtens etwas komplizierter, als man das gemeinhin darstellt. Mit 2 Jahren befindet das Kind auf den Weg in den Höhepunkt des Trotzes und damit der Selbstbehauptung. Daß es dafür in unseren Augen untaugliche Mittel benutzt, spielt im Moment einmal keine Rolle.
Selbstbehauptung heißt aber, daß das Selbst noch nicht gefestigt genug ist, sich aus Gründen der Akzeptanz in die Bestimmungen der Eltern einzufügen. Im Gegenteil, das Kind ringt selbst um Bestimmungsmacht, und die geht in die andere Richtung. Ganz schlicht: Kein Kind möchte, daß seine Eltern abends weggehen und es mit einer eigentlich fremden Person allein zurücklassen. Da wir Eltern es nun doch so tun wollen, schaffen wir einen Babysitter herbei. Wir gehen dabei davon aus, daß das Kind den Babysitter akzeptiert und die Eltern freudestrahlend ziehen läßt. Und dann wundern wir uns, warum das nicht funktioniert.
Es gibt nur einen vernünftigen Ausweg aus dem Dilemma. Und der heißt: das Kind mag den Babysitter besonders gerne und freut sich auf den Abend mit ihm. Es muß den Babysitter wenigstens für ein paar Stunden als Ersatzbezugsperson akzeptieren und wenn man eine regelrechte Fremdbetreuung einrichten will, auch noch viel länger. Erst wenn das Kind so selbständig geworden ist, daß es auch einer quasi fremden Person trauen kann und so etwas wie Freundschaft mit ihr schließt, meist erst jenseits von 4 Jahren, dann kann man da etwas forscher vorgehen.
Wenn Sie jetzt Ihrem Sohn zumindest ein oder zweimal die Möglichkeit geben, seine Bestimmungsmacht gegen die Ihre durchzusetzen, und vorausgesetzt Ihr Sohn mag den Babysitter wirklich gern, dann haben Sie eine Chance, daß er Sie beim nächsten Mal ohne großen Abschiedsschmerz gehen läßt. Der gewöhnliche Glaube, das Kind würde jetzt seine potentiellen Machtmöglichkeiten ausnutzen und hinsichtlich des Vorgangs "jetzt erst recht" denken, der irrt. Es sei denn, das Kind hätte kaum Ressourcen, seine Trennungsängste irgendwie zu kompensieren. Aber Sie entscheiden. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 30.06.2004