Lennax
Hallo Frau Hartz, Ich habe ihre sehr herzlichen Antworten auf die Fragen anderer Frauen hier im Forum gelesen und hoffe, sie koennen auch ein paar Worte zu meinem Anliegen formulieren. Ich bin 27 und zum zweiten Mal schwanger (momentan 10+2). Der Weg dahin war lang. Mein Mann und ich haben vor 7 Jahren aufgehört zu verhüten (sind seit 12 Jahren ein Paar) . Mit 25 Jahren wurde ich dann ploetzlich schwanger - die SS war von Anfang an schwierig. Blutungen von der 7. Bis zur 15. Ssw, dann in der 17. SSW Blasensprung und eine Stille Geburt in der 21. SSW ohne Ausschabung. Unser Sohn war aber kerngesund. Ich habe puenktlich 4 Wochen nach der Geburt meine Periode bekommen und wir haben daraufhin weiter an unserem Kinderwunsch festgehalten. Nur bin ich wieder nicht schwanger geworden. Wir waren dann in der einer Kinderwunschklinik, in der nur festgestellt wurde, dass wir beide kerngesund sind. Auf mein Drängen hin hat mir meine FÄ schließlich Clomifen verschrieben auf niedrigster Dosis und im ersten Einnahme Zyklus war ich ploetzlich schwanger. Seitdem kann ich an nichts anderes denken als dass es wieder zeitnah endet, obwohl diese Schwangerschaft ganz anders ist (keine Blutungen, dafuer extreme Uebelkeit mit Erbrechen, ich hatte in der ersten SS gar keine Symptome). Ich bin im Beschaeftigungsverbot, da ich in einer Führungsposition in meiner Firma zu viel psychischem und körperlichem Stress ausgesetzt bin. Und trotzdem - ich werde das Bauchgefuehl nicht los, dass ich mein Baby wieder tot auf die Welt bringen muss. Es bestimmt mein gesamtes Dasein und auch die Schwangerschaft. Wie schaffe ich es, mich einfach ein bisschen mehr zu freuen und "guter Hoffnung" zu sein? Mit freundlichen Grüßen
Liebe Lennax, Ersteinmal herzlichen Glückwunsch zur Schwangerschaft. Bei allen Hürden, die Sie auf Ihrer Kinderwunschreise schon erlebt und überwunden haben, möchte ich mit Ihnen einen kleinen Moment innehalten und mich gemeinsam mit Ihnen freuen: Sie haben bis hierher eine stabile Schwangerschaft inklusive Brecherei! Dass Sie sich Ihre Stimmung mit zu vielen Sorgen verderben, ist einerseits nachvollziehbar…aber auch wirklich schade! Ich hatte vor vielen Jahren eine Klientin, die mich eine berührende Bewältigungsstrategie gelehrt hat. Sie hat ebenfalls viel Aufwand betreiben müssen, um schwanger zu werden, hat Rückschläge erlebt und Verluste beklagt. Als medizinisch und statistisch eigentlich schon der letzte Versuch gelaufen war, sass sie frustriert und wütend auf sich selbst bei mir. Wütend, weil Sie vor lauter Sorgen um die Zukunft („Werde ich je Kinder haben?“, „Was wenn ich die Schwangerschaft wieder verliere?“ usw) nie die Hand auf den Bauch gelegt hat oder gewagt hat, einen Namen zu vergeben, keinen kleinen Body gekauft hat usw. Sie hat dann noch einen Abschieds-Versuch gemacht - mit dem Ziel schwanger zu werden. Aber vor allem mit dem Ziel, vom Moment des Einsetzens des Embryos an bis zum Test jeden Tag zu sagen: „Ich weiss, dass Du JETZT da bist. Dies ist meine Form von Mutterschaft“ Ich teile bewusst nicht, wie die Geschichte ausgegangen ist, ob sie schwanger wurde oder ungewollt kinderlos geblieben ist, da es um die Akzeptanz geht, die sie für sich entwickelt hatte: „Dies ist meine Form der Mutterschaft“ Ihren kleinen Sohn, den Sie in der 21. SSW still geboren haben, haben Sie 21 Wochen in sich getragen, gehalten und ernährt. Sie waren ihm nah als sein genetischer Code - warum auch immer - nicht weiter konnte. Sie trauern und er ist Teil ihrer Biographie geworden. Das ist mit diesem Kind Ihre Form der Mutterschaft. Für das Baby, das Sie nun unter dem Herzen tragen gibt es auch eine Version der Mutterschaft: Sie sind momentan 10+3, morgen 10+4, übermorgen 10+5 und so weiter - Tag für Tag. Durch Ihre Vorerfahrungen malen Sie sich das Schlimmste aus und verpassen dabei eventuell Ihre Version der Mutterschaft. Wir wissen nicht was kommt, das Leben läuft selten gradlinig….eigentlich nie, wenn man so drüber nachdenkt… Übrigens machen sich ja fast alle (werdenden) Eltern über alles Mögliche Sorgen. Wird es bleiben? Ist es gesund? Hoffentlich geht bei der Geburt alles gut. Mache ich alles richtig? Ist Flasche geben ok wenn das Stillen nicht klappt? Ist die Kindergärtnerin nett? Hoffentlich findet er Freunde, einen Job, kommt heile von der Party wieder, überlebt den ersten Joint. Mit wem fährt sie denn da 4 Wochen nach Asien - hoffentlich passiert da nichts und so weiter. Der Basar der Sorgen von (werdenden) Eltern scheint unendlich. In einiges wächst man rein, aber man holt sich auch ungeahnte neue Sorgen dazu. Für akzeptanzresistente Menschen ist da einiges dabei! Eine Lernaufgabe könnte sein, sich aus dieser Spirale zu befreien - je früher desto besser. Sorgen sind nur Gedankenkonstrukte! Evolutionär meinetwegen sinnvoll, damit wir nicht ganz so übermütig durch das Leben gehen und uns jeder Gefahr aussetzen. Aber wenn Sie "das ganze Dasein" bestimmten (so haben Sie es oben beschrieben), dann sind die Sorgen keine Unterstützer mehr, sondern haben zu viel Raum bekommen und/oder bekommen etwas zwanghaftes. Und zwanghaftes Grübeln führt zu nichts - außer zur Verschlechterung der Stimmung! Ich finde Ihre Formulierung in Ihrem letzten Satz sehr schön: "ein bisschen mehr freuen und guter Hoffnung zu sein“. Das kann man auch mit Sorgen machen, falls Sie Ihre noch ein bisschen behalten möchten. Ein bisschen freuen könnte doch so aussehen, dass Sie ab und zu am Tag in Gedanken zu Ihrem Baby reisen und sich beiden sagen „Schön, dass Du JETZT bei mir bist. Dies ist mit Dir meine Version der Mutterschaft. Egal wie lange Du bleiben kannst. Und gute Hoffnung könnte so klingen: Ich hoffe, dass Du bleiben kannst. Mehr braucht es im Moment vielleicht garnicht. Mehr geht vielleicht auch noch nicht. Den Rest der Zeit können Sie dann gepflegt wieder mit Sorgen verbringen. Ansonsten empfehle ich Ihnen sehr pragmatisch sehr viel Ablenkung und To Do-Listen. Denn ein plötzliches Beschäftigungsverbot wirft ja Fragen auf, wie man den Tag rumkriegen soll. Sie bekommen von mir Sofa-Verbot verschrieben, denn ich weiss von vielen meiner Klientinnen, dass dort die Sorgen wohnen und dort auch die Eintrittspforte für depressive Episoden ist. Geben Sie Ihren Tagen eine klare Struktur: Treiben Sie Sport, melden Sie sich für Schwangeren-Yoga an, starten Sie das Hobby, das Sie schon immer mal machen wollten (ich hoffe, es ist nicht gerade Kite-Surfen oder so etwas), engagieren Sie sich ehrenamtlich, helfen Sie Freundinnen ihre Schubladen zu sortieren. Und wenn Sie sich doch auf’s Sofa setzen, dann mit der Auflage mit Netflix einen Serienmarathon zu gestalten oder leichtfüssige oder spannende Bücher zu lesen, damit die Zeit rumgeht und Ihre Gedanken Pause von den Sorgen kriegen. 28 Wochen sind noch lang! Ich freue mich, wenn Sie hier ab und zu ein Update geben, wie sich Ihr Umgang mit Ihren Sorgen verändert! ich bin da bei Ihnen guter Hoffnung :-) Herzlichst, Miriam Hartz
Lennax
Vielen Dank Frau Hartz, ihre Antwort hat mich zu Tränen gerührt. Ich habe zurueckgeblickt und gemerkt, dass es doch viele kleine Dinge gab ueber die ich mich bisher in dieser Schwangerschaft gefreut habe - ueber das erste flaue Gefuehl im Bauch, ueber die empfindliche Brust, das erste, zweite, dritte Ultraschallbild. Ueber die Scherze mit meinem Mann bezüglich des Namens, ueber die Vorstellung des Umgestaltens des Kinderzimmers.. Und all diese Gedanken habe ich mir danach mit einem "freu dich nicht zu frueh, es ist eh bald wieder vorbei" verboten und zunichte gemacht. Auch danke ich Ihnen fuer die praktischen Tipps, obwohl diese momentan schwer umzusetzen sind (aufgrund des heftigen Erbrechens). Ich wuerde Ihnen gerne hier ab und an schreiben. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
Liebe Lennax, das klingt wunderbar! Bis bald Miriam Hartz
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