Hallo liebe Biggi,
heute schreibt Ihnen eine ziemlich verzweifelte Mama. Mein kleiner Sohn ist jetzt 17 Wochen alt. Die ersten 6 Wochen seines Lebens hat er nachts logischerweise überhaupt nicht durchgeschlafen, danach wurde es immer besser und seit er ca. 9 Wochen alt ist, hat er durchgeschlafen von abends 10 bis morgens 7 Uhr.
Doch nun schläft er seit 2 Wochen ganz ganz schlecht. Er kommt mindestens 3x pro Nacht, weint, schreit und will gestillt werden. Kann es sein, dass er von der Muttermilch (habe bisher voll gestillt) nun nicht mehr so lange satt wird? Oder handelt es sich hier um eine "Phase"? Wenn ja , wielange könnte die noch dauern?
Seit 4 Tagen habe ich ihm jetzt abends einen in Muttermilch eingeweichten Zwieback gegeben. Das hat ihm total gut geschmeckt, konnte gar nicht schnell genug gehen. Danach hat er immer noch an der Brust getrunken. Trotzdem hat er nach kurzer Zeit schon wieder Hunger (hat mit der Muttermilch allein sogar länger durchgehalten)und ich habe den Eindruck, dass die Nächte seitdem noch schlimmer geworden sind.
Was würden Sie mir raten? Soll ich den Zwieback wieder weglassen und wieder voll stillen? Oder macht ihm vielleicht nur die Umstellung zu schaffen? Oder ist der Zeitpunkt ungüngstig(lieber mittags den Zwieback?) Oder kann es sein, dass er allgemein am Tag nicht mehr richtig satt wird und das nun in der Nacht ausgleichen will (er kommt tagsüber alle 2 Stunden) und es nun doch langsam Zeit für Beikost wird? Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass er ziemlich groß und kräftig ist, 64 cm und 7 kg.
Bitte entschuldigen Sie die lange mail und die vielen Fragen, aber ich bin mit meinem Latein am Ende und hoffe auf Antwort von Ihnen.
Liebe Grüße und vielen Dank im Voraus! Anke
Mitglied inaktiv - 11.07.2002, 09:37
Antwort auf:
Phase????????
?
Liebe Anke,
wissen Sie, dass ich alleine aufgrund Ihrer Beschreibung auf ein Baby im Alter von etwa vier Monaten getippt hätte?
Es ist geradezu klassisch, dass ein Baby in diesem Alter anfängt nachts (wieder) häufiger aufzuwachen und auch wieder häufiger nach der Brust zu verlangen. Das liegt jedoch nicht daran, dass die Milch nicht mehr ausreicht, sondern ist entwicklungsbedingt.
Die Kinder beginnen um diesen Zeitraum die Welt sehr konkret zu erleben, sie müssen das am Tag Erlebte in der Nacht verarbeiten, sie lernen neue Fähigkeiten (umdrehen, robben, krabbeln, gezieltes Greifen ...), sie beginnen den Unterschied zwischen fremd und bekannt zu erkennen. All dies ist ungeheuer aufregend und auch anstrengend. Dazu kommt, dass sich die Zähne verstärkt bemerkbar machen, dass vielleicht die erste Erkältung kommt und, und, und ... Es gibt jedenfalls genügend Gründe dafür, dass das Kind unausgeglichen ist und nachts häufiger aufwacht.
Für die Mütter ist es meist schwer, diesen „Rückschritt" zu akzeptieren. Doch in Wirklichkeit ist es ein Fortschritt, denn dein Kind hat wichtige neue Entwicklungsschritte gemeistert und ist dabei noch weitere anzugehen.
Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass ein Baby am Abend nur ausreichend „abgefüllt" werden müsse, um ruhigere Nächte zu erreichen.
Wer auch immer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, dass Beikost oder künstliche Säuglingsnahrung besonders lange „vorhalten" und Kinder dann länger schlafen, der hat vielleicht ein Ausnahmekind gehabt oder eventuell sogar gar keines. Ich will nicht behaupten, dass es nicht manchmal tatsächlich so ist, dass ein Baby länger schläft, wenn es am Abend einen Brei oder eine Flasche mit künstlicher Säuglingsnahrung bekommt, aber es ist keinesfalls die Regel (und vielleicht sogar einfach nur Zufall) und nicht wenige Kinder schlafen nach einer „Reichhaltigen Abendmahlzeit" sogar noch schlechter.
Die Fähigkeit länger zu schlafen, hängt nicht von der Art der Nahrung und auch nicht von der Menge der Nahrung ab. Das wurde inzwischen in Studien hinlänglich festgestellt und haben auch schon viele Eltern erkennen und erleben müssen. Es ist ein Reifungsprozess beim Kind, der von Kind zu Kind unterschiedlich schnell verläuft.
Selbst wenn Sie jetzt am Abend eine Flasche mit künstlicher Säuglingsnahrung oder Beikost geben, dann ist das keine Garantie für ruhigere Nächte. So anstrengend es auch sein kann: es ist nicht unnormal, dass ein so kleines Baby nachts mehrfach - auch im Zweistundenrhythmus - aufwacht.
Eine zu frühe Einführung der Beikost ist nicht sinnvoll, da dadurch der Organismus des Kindes überfordert werden kann, vor allen der Darm und die Nieren des Kindes können überlastet werden und außerdem erhöht eine zu frühe Einführung der Beikost das Allergierisiko.
Dass ein Kind ab dem fünften Monat Beikost bekommen soll, ist Wunschdenken der Industrie, die ihre Ware verkaufen will. Die Empfehlung von unabhängigen Organisationen, wie zum Beispiel der WHO lauten eindeutig „ausschließliches Stillen (bzw. Muttermilchersatzprodukt) bis das Kind ein halbes Jahr alt ist" und das nicht nur für allergiegefährdete Kinder, sondern für alle Kinder.
Abgesehen von den umstrittenen Schlaftrainingsprogrammen, die von Stillexperten nahezu einhellig abgelehnt werden, bleibt Ihnen in dieser Zeit nicht viel, als geduldig zu bleiben und sich die Tage und Nächte so einfach wie möglich zu gestalten.
Als stillende Mutter haben Sie den ungeheuren Vorteil, dass Sie Ihr Kind durch diese für alle anstrengende Zeit begleiten können, ohne dass Sie richtig wach werden und aufstehen müssen. Genießen Sie dieses Privileg, sich einfach nur umdrehen zu müssen, so dass Ihr Kind an Ihre Brust kann und dann, wenn schon nicht sofort weiterschlafen zu können, so doch zumindest ruhen zu können. Sie machen nichts falsch, wenn Sie Ihr Baby dann stillen, denn Stillen ist ja nicht nur Ernährung, sondern gibt Ihrem Kind auch Nähe, Geborgenheit und Sicherheit.
Wenn Sie gerne lesenund ein Buch lesen möchten, das sich mit dem Thema Schlaf auseinandersetzt und dessen Autor beim Thema Schlaf auch Achtung vor dem Baby zeigt und dessen Bedürfnisse ernst nimmt, kann ich Ihnen wärmstens „Schlafen und Wachen - ein Elternbuch für Kindernächte" von Dr. William Sears empfehlen, das Sie im Buchhandel, bei der La Leche Liga und jeder LLL-Stillberaterin bekommen können.
Haben Sie ein wenig Geduld mit sich und Ihrem Kind und versuchen Sie sich den Alltag so einfach wie möglich zu machen, damit Sie genügend Ruhe für sich bekommen.
LLLiebe Grüße
Biggi Welter
von
Biggi Welter
am 11.07.2002