Mitglied inaktiv
Sehr geehrter Herr Dr. Posth, Ihre Anmerkungen zum Thema Entwicklung des Willens vom 16.09.02 (Frage „Durchsetzen“ von Barbara) gehen mir ständig durch den Kopf, und ich würde schrecklich gerne noch was Allgemeines dazu fragen (worauf ich im Grunde natürlich keine Antwort erwarten kann, weil allgemeine Fragen sicher nicht Sinn und Zweck dieses Forums sind). Gleich vorab: bin auf keinem „Ihrer“ Gebiete Fachfrau, auch nicht in verwandten Bereichen. Also, dann stellmer ons mal janz domm. Sie schreiben, dass sich der Wille „v.a. mit Hilfe der behütenden Bezugspersonen“ herausbilde. Die „Zuwendung der Eltern zum Säugling“ spiele dabei „eine ganz entscheidende Rolle“. „Das ist für seine ganze weitere Entwicklung entscheidend, denn die Persönlichkeit, die es darauf aufbaut, trägt es durch sein ganzes Leben.“ Ich habe noch zwei Brüder. Die Unterschiede in der Persönlichkeit zwischen drei Geschwistern könnten nicht größer sein. Andererseits würde ich behaupten, haben meine Eltern sich sehr bemüht, uns alle in derselben Weise zu beschützen, zu fördern und großzuziehen, und vor allem - so weit dies möglich ist - uns gleich i.S.v. gerecht zu behandeln. Sofern ich das beurteilen kann, haben sie sich uns gegenüber in Sachen Herausbildung des eigenen Willens so oder so ähnlich verhalten, wie Sie dies in Ihrer Antwort auf die Frage von Barbara beschreiben. Demnach dürften aber die Unterschiede zwischen uns (eigener Wille und Durchsetzungskraft variieren sehr stark) doch gar nicht so krass sein! Das mag für Sie fürchterlich banal klingen, aber mir spukt das jetzt fortwährend durch den Kopf. (Wobei mir wie den meisten Menschen natürlich klar ist, dass die Streitfrage ‚Was ist vererbt, was kommt von der Umwelt’ eine nicht mehr ganz taufrische ist.) Meinen eigenen 2,5-jährigen Sohn empfinde ich schon lange als ein eigenwilliges und nach Unabhängigkeit strebendes Wesen. Und ich habe gar nicht das Gefühl, dass ich dies in irgendeiner Form unterstütze oder bremse oder was auch immer. Vielmehr komme ich mir als (meistens) still-beglückte Zuschauerin vor, mit dem starken Eindruck „Er IST halt so, er ist schon so auf die Welt gekommen!“ Ich entdecke manche Parallele zu meinem Mann und mir (und zu dem, wie wir angeblich als Kleinkinder waren), was bestimmte Wesenszüge betrifft, sodass ich mir gar nicht so recht vorstellen kann, dass sein eigener Wille und seine sich herausbildende Persönlichkeit sozusagen das Ergebnis einer bestimmten Art und Weise der Behandlung durch uns Eltern ist! Ich bin immer sehr skeptisch, wenn Eltern den Eindruck vermitteln, sie brächten ein unbeschriebenes Blatt zur Welt, und dass alles, was Jahre später mal dort drauf steht, das Ergebnis der elterlichen Anstrengungen in den ersten Lebensjahren ist. Wenn man sich mal hier in den anderen Foren umschaut, entdeckt man ja allerhand, so z.B. vor einiger Zeit das Posting eine Mutter, die tatsächlich davon überzeugt war, dass SIE ihrem Kind das Sprechen / die Sprache beibringt! Aber zum Glück gibt es ja Leute wie Sie. Der muss es doch (besser) wissen! Um so größer ja auch meine Beunruhigung nach Ihrem o.g. Text zum Thema „eigener Wille“. Also doch mehr „Macht“ bei den behütenden Bezugspersonen, als ich bisher dachte? Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen zu der Behauptung, dass der Einfluss der anfänglichen engen Bezugspersonen „eine ganz entscheidende Rolle“ bei der Entwicklung des eigenen Willens und der eigenen Persönlichkeit spielt? (Ich meine Untersuchungen innerhalb einer fein differenzierten Bandbreite, die insgesamt von „gerade noch akzeptabler Behandlung“ bis zu „äußerst feinfühliger und liebevoller Zuwendung“ reicht; Untersuchungen also, die prekäre Verhältnisse wie Gewalt, Misshandlungen u.Ä. ausschließen, weil man über die Folgen solcher Verhältnisse ganz sicher nicht streiten muss.) Sie schrieben am 16.09.: „Ich meine, daß sich der Wille aus der Entwicklung der Gefühle heraus bildet. Dafür gibt es Erklärungen in der Neurophysiologie. Das weiter auszuführen, führte hier zu weit.“ Der letzte Satz gilt wahrscheinlich immer noch, deswegen möchte ich einfach nur bescheiden anfragen, ob Sie – falls zwischendurch mal Zeit dazu ist – vielleicht ein paar weiterführende Literaturhinweise zu den angedeuteten Erklärungen in der Neurophysiologie geben könnten. (Kann ruhig Fachchinesisch sein, ich bin Übersetzerin und als solche Kummer gewöhnt.) Um es am Schluss also noch mal auf die Spitze zu treiben: Ein Satz wie „Das ist für seine ganze weitere Entwicklung entscheidend, denn die Persönlichkeit, die es darauf aufbaut, trägt es durch sein ganzes Leben.“ hat mir die Leichtigkeit des Seins geraubt und lässt mich unter der plötzlich schwerer gewordenen Last meiner mütterlichen Verantwortung einknicken. Und: Ist dieser Satz nicht gleichzeitig eine Einladung, die eigenen Eltern oder Betreuer/innen für vieles, was einem an der eigenen Persönlichkeit nicht passt, ein Leben lang in die Mangel zu nehmen? (Beides Aspekte, die Ihnen ja im Rahmen dieses Forums „egal“ sein können, weil Sie ja hier – wie alle wissen – als der „Anwalt des Kindes“ sprechen.) Oder spielen sich die von Ihnen angedeuteten Vorgänge überhaupt alle im Unterbewusstsein ab? Bevor’s mir jetzt unheimlich wird, bedanke ich mich bei Ihnen fürs Lesen und sende herzliche Grüße! Almut.
Liebe Almut, Sie werfen zuviele Fragen auf einmal auf. Um nicht seitenweise zurückzuschreiben, kann ich mich nur auf einige wenige Punkte beziehen. Die Vorstellung von dem "weißen, unbeschriebenen Blatt", das im Neugeborenen zur Welt kommt, stammt gewiß nicht von mir, sondern von Verhaltenspsychologen wie Skinner und seinen Vorläufern in Amerika. Die Erkenntnisse der Genetik haben vieles in den Ansichten dazu korrigiert. Sie dürfen aber jetzt nicht dahingehend übertrieben werden, daß nun jedes Verhalten angeboren sei. Damit wäre nämlich die große evolutorische Errungenschaft der Anpassungsfähigkeit in der Natur über den Haufen geworfen. Dann gäb es nach wie vor nur Einzeller und Pantoffeltierchen (keine Anspielung auf irgendwelche Zeitgenossen). Wenn Sie persönlich und Ihre Brüder trotz des angeblich immergleichen Elternhauses so verschieden im Durchsetzen von Willen sind, dann gibt es dafür mindestens zwei Gründe. Erstens, das Elternhaus erscheint jedem Kind anders. Die Eltern reagieren auf jedes Kind irgendwie anders. Die ganzen Biographien stimmen nie überein. Zweitens die genetischen Voraussetzungen sind individuell anders, auch rein körperlich z.B., was große Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung hat. Zu den neurophysiologischen Begründungen des Aufgehens von Gefühlen im Willen gibt es einstweilen nur Einblicke in pathologische Erscheinungen wie Zwangserkrankungen oder Depressionen. Stichwortmäßig sei genannt die Wirkungsweise von Dopamin im menschlichen Gehirn, sowie von Serotonin, Noradrenalin und Acetylcholin. Wie Sie unschwer erkennen, steuern wir auf die Neurochemie zu. Wieso das triftig ist - Weil ausgetüftelte Psychopharmaka mit Wirkungen auf die diesen Stoffen (Neurotransmitter) zugehörigen Rezeptoren im Gehirn segensreiche Wirkungen entfalten können (allerdings eine noch schwer zu beherrschende Kunst mit vielen Fragezeichen). Zu diesem Thema gibt es unzählige Veröffentlichungen von Wissenschaftlern aus aller Welt, einzusehen unter entsprechenden Namen der Neurotransmitter, z.B. über www.google.de. Ein letztes zu Ihrer Verantwortung für das Wohlergehen Ihres Kindes. Die haben Sie natürlich, wobei die Betonung auf natürlich liegt. Da Sie sich, wie ich sehe, ja so viele Gedanken dazu machen, glaube ich, daß Sie ganz beruhigt schlafen können. Das meiste findet tatsächlich in unserem Unterbewußtsein statt. Was glauben Sie, warum es so viele Menschen gibt, die die Hilfe von Psychoanalyse in Anspruch nehmen. Und sich soviel davon erhoffen. Viele Grüße
Mitglied inaktiv
Hallo Almut, interessant, hab ich mich auch schon gefragt. Ich denke - mal ganz banal und simpel ausgedrückt - dass jeder Mensch eine Art Wesen mit in die Wiege gelegt bekommt, durch Vererbung usw. vorbestimmt. Die Erziehung kann ihm dabei helfen seinen eigenen individuellen Weg zu gehen. Oder sie kann ihn in eine Form pressen, auf einen anderen Weg, auf dem er auf Dauer aber nicht glücklich werden wird, weil's eben nicht seiner war!! Erziehung sollte - meine Meinung - bedeuten, dem Kind helfen es selbst zu werden, seinen eigenen weg zu gehen. Mein Motto ist, ich versuche möglichst wenig in meinem Kind kaputt zu machen, damit es seinen eigenen Weg findet. Vielleicht versteht jemand wie ich das meine, ich kann mich im Moment irgetnwie nicht verständlich machen *gg*. LG Jenny
Mitglied inaktiv
Hallo, ich meine gelesen zu haben (glaube in der GEO) das es gerade das Selbstbewußsein - und dazu zaehlt ja irgendwie eigener Wille und Durchsetzungsvermögen- zu mindestens 50 Prozent genetisch bedingt ist. Alle anderen Eigenschaften kann man mehr "beeinflussen" als diese.
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