Frage: Psychisches Trauma?

Hallo Frau Henkes,  unser 4 Jahre alter Sohn hatte vor etwa 6 Wochen eine Begegnung mit einem Hund, die ihn scheinbar traumatisiert hat. Wir haben es nicht genau gesehen, waren hinter einer Hecke 2m weiter. Der Hund gehört meiner Schwester, die mit uns auf einem Grundstück lebt und hat einen sehr ruhigen Charakter. Der Hund hat weder gebellt noch gebissen. Wir vermuten, dass unser Sohn dem Hund unabsichtlich auf die Pfote getreten hat oder aber dass er einen Apfel hat fallenlassen und der Hund hat ihn sich geholt. Unser Sohn hatte jedenfalls kurz danach große Angst, mit Zittern, Weinen, Flüstern, Anhänglichkeit. Später war es wieder besser.  Nach 2 Tagen hat er eine Bemerkung gehört, dass dieser Hund ins Wohnzimmer kommt und alle Männchen (Menschen?) auffrisst. Meine Oma wollte damit meinen anderen Sohn zum Aufräumen von Spielfiguren (Männchen) bringen. Danach hatte der 4jährige wieder große Angst. In Folge hatte er 5 schlimme Tage, immer wieder Angst, nicht mehr gespielt, sagte immer wieder dass er gestorben sein will,nur auf dem Arm, kaum noch gesprochen, 2 Tage nichts gegessen, erbrochen. Er hat erst wieder gegessen als er erfahren hat, dass Hunde dieses Essen nicht essen. Danach wurde es immer besser, er war fast schon der alte, hat nur immer wieder von Tieren gesprochen, wollte immer wieder wissen was Hunde und andere Tiere machen, wenn man ihnen auf die Pfote tritt, wollte wissen wie weh ein Biss tut, warum es Tiere überhaupt gibt, was Tiere essen etc. Der Bruder erzählte leider von Stierkämpfen in Spanien, seit dem war seine größte Angst nicht mehr die vor Hunden sondern vor Stieren.  Wir hatten ein Gespräch bei einer Kinderpsychologin, die zu positiven Tiererlebnissen riet, was wir auch umgesetzt haben. Plötzlich gab es wieder 5 schlimme Tage mit großen Angst-Symptomen (am Tag zuvor hatten wir eine Kuh von nahem gesehen). Inzwischen ist es wieder besser geworden. Soweit laut Psychologin alles im Rahmen. Sie sieht keinen Grund zur regelmäßigen Therapie. Nur: Er verweigert seit 3 Wochen das Essen, infolge der zweiten Angstserie. Diesmal besserte sich alles, bis auf das Essen. Der Kinderarzt hat uns Trinkmahlzeiten verschrieben, die er auf Kommando auch trinkt. Er nimmt aber kaum was freiwillig zu sich, meistens nur wenn ich es ihm hinhalte. Er fragt dann "muss ich?" und freut sich wenn ich ja sage, dann trinkt er. Er sitzt vor seinen Lieblingsgerichten und sagt "Ich würde das so gerne essen, aber ich kann nicht, wegen der Angst". Er bietet uns dauernd Essen an, möchte mithelfen beim Kochen. Nur er selbst schafft es nicht, etwas zu essen, möchte auch oft kein Essen mit den Händen berühren. Er weint manchmal, wenn wir alle am Tisch sitzen und würde so gerne mitessen, scheint da aber eine Blockade zu haben.  Die Psychologin gab uns Tipps zur Angstbewältigung (schütteln, tanzen, ausstreichen etc.) Er macht das zwar mit, scheint aber von vorneherein überzeugt zu sein, dass es nicht helfen wird.  Wir haben jetzt aktuell einen 2tägigen, stressigen Städtetrip hinter uns. Gestern abend hat er viel geweint und geschrien und hatte ganz verkrampfte Arme. Heute morgen wieder so verkrampft, wollte nichts mit den Händen berühren und hat vor sich hin geflüstert. Seit ein paar Stunden ist sein Verhalten jetzt wieder normal, er spielt wieder fröhlich. Ich habe das jetzt mal auf den Ausflug mit vielen Eindrücken und wenig Schlaf geschoben... Hätten Sie noch einen Rat für mich? Sollte er regelmäßige Therapiestunden bekommen? Oder sollte man noch abwarten, ob er das alles ohne verarbeiten kann? Haben Sie noch Ideen, was wir wegen der Nahrungsverweigerung machen können? Können wir ihn irgendwie unterstützen, die Angst wegzubekommen? Er sagt oft "die Angst soll weg sein!" vor allem morgens und abends im Bett. Ich entschuldige mich für den langen Text und danke Ihnen für eine Antwort. 

von Sol45 am 23.10.2023, 13:13



Antwort auf: Psychisches Trauma?

Guten Tag, nach Ihrer Beschreibung halte ich es für vorstellbar, dass Ihr Sohn in der Begegnung mit dem Hund nicht nur Angst bekommen, sondern ein starkes Schuldgefühl entwickelt hat, weil er dem Hund auf die Pfote getreten ist. Vierjährige haben bereits die Erfahrung gemacht, dass andere Menschen sich über sie ärgern, wenn sie etwas falsch gemacht haben oder sich (unter Kindern) rächen wollen. Möglicherweise belastet Ihren Sohn seitdem diese Sorge. Das können Sie mit ihm besprechen und ihm die Sorge nehmen, dass Hunde oder andere Tiere böse auf Menschen sind. Der Zusammenhang zwischen der Angst Ihres Sohnes und der Essensverweigerung erschließt sich mir aus der Distanz nicht. Möglicherweise spürt Ihr Sohn, dass er zur Zeit in der Familie besondere Beachtung bekommt, die er unbewusst nicht verlieren möchte. Die Trinknahrung verstärkt diese Situation vermutlich noch. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, dass Sie ihm auch beim normalen Essen sagen, dass er essen muss. Vorübergehend könnten da einige Lieblingsgerichte helfen. Bezüglich regelmäßiger Therapiestunden können Sie sich an die Empfehlungen der Kinderpsychologin halten. Angstbewältigung ist ein wesentlicher Bestandteil der psychischen Entwicklung eines Kindes. Sie helfen Ihrem Sohn, wenn Sie seine Ängste ernst nehmen und ihm vermitteln, dass diese oft schwer auszuhalten sind. Unterstützen Sie ihn, indem Sie mit ihm herausfinden, was er in ängstigenden Situationen machen kann. Vielleicht hat er da schon Ideen. Ansonsten hat der ältere Bruder vielleicht ein paar Anregungen. Das dürfen ruhig Lösungen in der Phantasie sein. Da können z.B. Laserschwerter und Raumschiffe zum Einsatz kommen. Vermutlich finden Sie dazu auch Bilderbücher, die das Thema aufgreifen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 23.10.2023