Sarahmueller
Sehr geehrte Frau Henkes, ich mache mir schon seit Längerem Sorgen um meinen Sohn (gerade 2 J. alt geworden, eineiiger Zwilling). Er hat starke Probleme mit der Selbstregulation, was ja in dem Alter auch dazugehört, das ist mir klar, aber im Vergleich zu seinem Bruder ist er immer sofort auf "180". Beide Kinder sind als Frühchen (32+0) via Kaiserschnitt auf die Welt gekommen. Bei dem Bruder gab es eine Wehentätigkeit, er ist jetzt auch schon wesentlich größer, selbstbewusster, steht wesentlich stabiler im Leben. Er geht immer voran. Sein Bruder wurde mir aufgrund meiner Gestose aus dem Bauch geschnitten. Er war klein und schmächtig (1040g) und war eigentlich noch überhaupt gar nicht so weit um auf die Welt zu kommen. Daraufhin folgten 5 Wochen Intensivmedizinische Behandlung, ich war oft da, aber nicht immer. Während des KH-Aufenthaltes wurde das Herz meines Sohnes untersucht, weil er immer auf 180 war, teilweise auch dann, wenn er bei mir auf der Brust lag. Auch dabei hat der Monitor immer mal wieder gepiept, weil seine Herzfrequenz so hoch war. Die Ärzte sagten damals schon, er habe einen "hitzigen Charakter". Mein Gefühl sagt mir aber, dass er einfach überfordert mit der Welt war und noch immer ist, vielleicht ist er sogar traumatisiert. Bereits im Mutterleib wurde er im Gegensatz zu seinem Bruder nicht gut versorgt. Im Säuglingsalter habe ich beide gestillt, bei ihm gab es fast immer Geschrei. Ich wusste nicht weshalb. Ich war also auch früh verunsichert was seine Bedürfnisse betrifft. Im Gegensatz zu seinem Bruder, den ich gut halten und beruhigen kann, lässt es mein anderer Sohn aber oft nicht zu, dass ich ihn tröste. Er ist wütend, fast in Rage, rennt vor mir weg oder schlägt mich weg, wenn ich ihn trösten will. Dabei schreit er oft: " Nein Mama". Nicht immer. Aber häufig. Es fühlt sich an als hätte ich ihm in seinem kurzen Leben schon ganz schlimme Dinge angetan, wenn er so schreit. Ich beschäftige mich gerade mit dem Thema "Entwicklungstrauma" und bin mir fast sicher, dass die Umstände im Mutterleib und während sowie nach der Geburt in ihm tief gespeichert sind. Er ist einfach emotional überfordert. Kognitiv ist er unglaublich fit, allerdings wächst er nur sehr langsam, was ja auch ein Hinweis darauf sein kann, dass er emotional nicht groß werden kann. Ich möchte gern für ihn da sein, fühle mich aber auch häufig abgewiesen. Ich weiß auch, dass es mir nicht immer gelungen ist, vor allem in der Säuglingszeit, beide gut zu halten. Es war einfach schwierig mit Zwillingen. Wie kann ich meinem Sohn helfen, der immer das Gefühl hat zu wenig zu bekommen, meine Nähe aber oft nicht zulassen kann? Empfehlen Sie eine Therapie? Kann man das überhaupt schon bearbeiten? Glauben Sie, dass eine Traumatisierung vorliegen könnte?Ich danke Ihnen schonmal vorab für Ihre Einschätzung!
Guten Tag, die belastenden Erfahrungen, die Ihr Sohn prä-, peri- und postnatal gemacht hat, haben sich im Körpergedächtnis gespeichert. Seine starke Angst in dieser Zeit zeigte sich im hohen Herzschlag. Diese heftige innere Erregung ist als Reaktionsbereitschaft erhalten geblieben, obwohl sie nicht mehr nötig wäre. Die frühen Erschwernisse beeinträchtigen vermutlich weiterhin die Anpassung Ihres Sohnes an die Außenwelt. Sie erleben das als seine emotionale Überforderung. Ich halte es für sinnvoll, wenn Sie Hilfe bei einer Säuglings- und Kleinkinderambulanz oder in einem Frühförderzentrum suchen. Die frühen Erfahrungen stehen Ihrem Sohn - unabhängig vom Alter - nicht zur Verfügung, da sie im Körpergedächtnis gespeichert sind. In den genannten Einrichtungen wird man das Verhalten Ihres Sohnes jedoch einschätzen können und Ihnen Empfehlungen für das weitere Vorgehen geben können. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes