Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Dr. med. Ludger Nohr:

Autonomie und Bestimmen

Dr. med. Ludger Nohr

Dr. med. Ludger Nohr
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Frage: Autonomie und Bestimmen

PPIA

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Lieber Herr Nohr, ich schätze Ihre Arbeit sehr und habe eine Frage zum Thema Autonomie. Unser Sohn ist fast 2 1/2. Z.Zt. ist es richtig anstrengend. Ich habe zum Thema viel gelesen und verstanden. Er hat viele Freiheiten, wir machen viel und er darf viel über seine Belange bestimmen und mitmachen, helfen etc. Ich versuche ihn in seiner Wut zu spiegeln, zu lassen u. trotzdem da zu sein. Ich manchen Situationen gelingt mir das ganz gut, wenn er z. B. ausrastet, weil etwas noch nicht alleine gelingt. Nun will er aber immer mehr über uns bestimmen: "Nein, du sollst dir jetzt nicht die Zähne putzen", "nein, nichts zu trinken holen für dich" "Papa, geh wieder hoch ins Arbeitszimmer", "nein, ihr sollt euch nicht unterhalten", "nein, ich will den Gartenschlauch GANZ aufdrehen zum Blumen gießen".Dabei regt er sich sehr schnell und laut auf.Andere Mütter sehe ich oft in Wutanfällen die Kleinen beruhigen oder ablenken.Das funktioniert bei uns gar nicht und es dauert sehr lange, bis er sich beruhigt (schon immer). Andere Mütter meinten auch zu mir, dass sie das extrem finden. Ist es normal, dass Kinder so versuchen über die Eltern zu bestimmen? Wie können wir Frustrationstoleranz und Emotionsregulation fördern, haben Sie Ideen? Kann hineinspielen, dass er kognitiv sehr weit ist (auch Rückmeldung von Müttern&Kinderarzt)? Danke für Ihre Antwort!


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Hallo, die Autonomieentwicklung ist für mich immer ein besonderes Thema gewesen. Lange aus der Sicht des Erwachsenen, später auch aus der geahnten Sicht der Kinder. Was erlebt ein Kind in dieser Zeit? Deutliche wachsende Möglichkeiten und zunehmende Begrenzungen prallen aufeinander. Und das bei noch geringen Möglichkeiten, das intellektuell zu verstehen und zu beeinflussen. Es ist also eine emotional oft sehr belastende (für alle) Lernphase, in der die Allmachts- und magischen Phantasien immer wieder an der Realität zerbrechen. Wenn man auf dieses Bild mal einlässt kann man ahnen, was in dieser Zeit (die für die Erwachsenen überwiegend anstrengend und nervig ist) in und mit den Kindern so passiert. Diese Zeilen sollen ein bißchen Verständnis für die Kinder in dieser Zeit ermöglichen. Denn natürlich müssen sie trotzdem die Spielregeln lernen und dass die eigene Freiheit beim anderen aufhört. Dass ich mir meine Zähne putze, wann ich das will, mit anderen spreche und auch den Wasserschlauch sinnvoll dosiere. Aber können Sie ahnen, was das für ein Kind heißen kann, wie schwer das sein kann, diese Ohn-Macht anzuerkennen? Es führt nichts dran vorbei diese Grenzen zu lernen, aber mit diesem Hintergrundwissen kann man es vielleicht mit "liebevoller Klarheit" darauf reagieren, ohne zu kränken und/oder die Ohnmacht zu verstärken. Und ohne lange Vorträge zu halten und Verstehen einzufordern, wozu gerade weiter entwickelte Kinder uns immer wieder zu "einladen". Ich hoffe, dass diese mehr allgemeinen Gedanken, vielleicht ergänzt mit meinem Text zur Autonomie in diesem Forum, trotzdem etwas weiterhelfen. Dr.Ludger Nohr


PPIA

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Lieber Herr Nohr, haben Sie vielen Dank für Ihre Antwort, die mich hoffentlich etwas über's Wochenende trägt. Dass wir aufgrund seiner hohen kognitiven Fähigkeit oft Erklärungen versuchen, kann sein, es verführt wirklich Ihre Worte treffen es gut (Allmachtsfantasien und Ohn-Macht) und entpathologisieren. Das richtet den Blick wieder etwas milder auf unseren Sohn. Und auch auf mich selbst, die ich oft für sein Verhalten verantwortlich gemacht werden (mich mache), weil wir in vielen Bereichen eher weite Grenzen und Mitbestimmung bei seinen Belangenhaben und oft nach Kompromissen suchen. Natürlich ist in den geschilderten Fällen auch unsere Grenze erreicht. Vielleicht kommen andere Familien auch noch in ähnliche Situationen und sind wir nur temporär die "Ausreißer". Danke herzlichst!


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