Frage im Expertenforum Babypflege an Katrin Simon:

Bindungseinschätzung

Katrin Simon

 Katrin Simon
Kinderkrankenschwester, Pflege- und Heilpädagogin

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Frage: Bindungseinschätzung

oceanblue

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Liebe Katrin, ich lese hier schon seit einiger Zeit mit. Schön, dass es so ein Expertenforum gibt und du die Fragen hier sehr einfühlsam und kompetent beantwortest. Mich beschäftigt schon seit einiger Zeit, dass mein Sohn (fast 9,5 Monate) recht selten Blickkontakt mit mir aufnimmt. Er tut dies weder beim Stillen, noch wenn ich ihm vorsinge, ihn auf dem Arm habe und etwas erkläre oder Hoppe, Hoppe Reiter-Spiele mache. Klar, er hat mich früher auch gemustert und hin und wieder schaut er mich ja auch an, z.B. wenn ich auf dem Boden bin und er weiter weg, dann kommt er auch freudig auf mich zugekrabbelt. Aber eben nicht, wenn er "nah" bei mir ist. Er sucht mich auch nicht sonderlich, wenn er bei anderen ihm bekannte Personen auf dem Arm ist und ich mich entferne. Ich komme allerdings immer schnell zurück. Ich stille ihn fast noch voll, da er wenig Beikost (weder Brei noch fingerfood) isst. Er schläft im Familienbett. Ich bin tagtäglich für ihn da und ganz selten mal für 1 -2 Stunden außer Haus. Mein Fehler ist, dass ich immer versuche es möglichst perfekt zu machen und immer richtig auf ihn einzugehen. Sicher habe ich aus Unsicherheit dann oft auch zu schnell reagiert oder auch falsch. Ich habe immer versucht ihm ganz viel Liebe zu geben. Vielleicht auch zu viel, im Sinne von "mich aufdrängen"? Vielleicht habe ich den Kontakt manchmal forcieren wollen und den Blickkontakt gesucht, wenn er ihn nicht wollte. Aber wenn er nicht kuscheln wollte oder so, habe ich ihn natürlich nicht genötigt. Aus Unsicherheit und der Ansicht immer prompt da sein zu müssen, habe ich ihn auch nie nur mal quengeln lassen und sofort hochgenommen oder auch mal Aktionen abgebrochen (z.B. ihn zum Rausgehen anzuziehen, wenn er dabei anfing richtig zu schreien). Nun habe ich auch etwas Jesper Juul gelesen und habe das Gefühl, dass ich dadurch, dass ich immer darauf aus war, es perfekt zu machen, mehr mit mir als mit meinem Sohn beschäftigt war. Auch denke ich, dass durch meine Unsicherheiten in meine Kompetenz und manchmal auch die Sorge mein Sohn könne mich vielleicht gar nicht richtig lieben (weil er mich wenig ansieht) ihm gar nicht die Sicherheit gegeben zu haben, die ich ihm geben wollte und er nun mehr in sich gekehrt ist und ich für ihn erst recht unsichtbar geworden bin. Es gab immer Phasen, da war ich besorgt um unsere Bindung, und auch Phasen wo ich dachte "Ach, das ist alles normal so und kommt noch." Manchmal denke ich ja auch, vielleicht bin ich für ihn so selbstverständlich, dass er sich meiner so sicher ist, dass er sich nicht permanent rückversichern muss? Aber wieso sieht er mich dann nicht an, wenn ich mit ihm erzähle oder spiele? Er lacht dann zwar, aber blickt mich dabei nicht an. Das Seh- und Hörvermögen ist in Ordnung. Dazu noch eine allgemeine Frage: Sollte man den Kontakt zum Baby nur aufnehmen, wenn man durch Blickkontakt dazu aufgefordert wird und sofort pausieren, wenn es den Blick abwendet? Wenn das so wäre, hätte ich allerdings verdammt wenig aktive Zeit mit meinem Baby verbringen können? Entschuldigung, dass es o lang geworden ist, aber das Ganze brennt mir wirklich auf der Seele. Für eine Einschätzung und Tipps deinerseits wäre ich sehr dankbar. Vielleicht mache ich mir auch einfach zu viele Gedanken. Liebe Grüße


Katrin Simon

Katrin Simon

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Liebe ocean, schon längst hatte ich geantwortet- dann hat der Rechner leider meine Antwort an Sie "verschluckt"...Aber nun :). Sie berichten sehr differenziert und sehr ehrlich von Ihren Beobachtungen, Ihren Gefühlen... Dafür ein großes Dankeschön, dass Sie uns teilhaben lassen an Ihrem Befinden. Ich lese aus und zwischen Ihren Zeilen die Suche nach einer Antwort für das " sorgenvolle Bauchgefühl", dass etwas nicht stimmt zwischen/ bei Ihrem Kind und Ihnen. Es gäbe sehr viele mögliche Gründe für das Verhalten Ihres Babys. Diesbezüglich rate ich Ihnen sich Ihrem Kinderarzt zuzuwenden- ggf. auch einem anderen Arzt, falls Sie sich woanders u.U. unvoreingenommener beraten und aufgehoben fühlen. Zudem kann ich Ihnen empfehlen sich in ein sozialpädiatrisches Zentrum überweisen zu lassen. Dort arbeiten Experten wie Ärzte, Ergo- Physiotherapeuten, Heilpädagogen, Psychologen etc. zusammen und kennen sich in der Entwicklung eines Kindes unglaublich gut aus. Die Schnittstellen sind sofort vor Ort da und eine Betrachtung der Situation kann aus vielerlei Perspektive erfolgen.... Sie haben Jesper Juul zitiert. Diese Aussage ist für Sie von Bedeutsamkeit und scheint einen Kern bei Ihnen zu treffen. Die Frage dessen, WARUM Sie perfekt sein wollen- woher kommt diese Perfektion? Wie könnten Sie damit umgehen, würde sich manches weniger perfekt zeigen... Wenn wir Eltern werden, so werden wir gleichzeitig auch wieder zum Kind... d.h. nicht, dass wir in ein infantiles Handeln und Denken verfallen. Sondern- wir begegnen uns immer wieder selbst in unsere Kindheit und dem, was uns geprägt hat. U.U. werden Prägungen so stark gespürt, dass auch negative Emotionen aufflammen, die eigentlich für immer verbannt werden sollten " das soll mein Kind nie und nimmer erleben"...Oder aber es taucht "nur" ein Gefühl auf, welches sich nicht klar anfühlt und gedeutet werden möchte. Wenn Sie selbst bei sich etwas ähnliches oder sogar genau dies, so wie beschrieben, spüren, dann ist es ratsam sich darüber auszutauschen. Psychologen, spziell ausgebildetet Experten für Bindungsverhalten können hier Unterstützung geben. Ansprechpartner wie Hebamme, Frauenarzt, Psychologenverzeichnisse... könnenn Ihnen vor Ort jemanden nahebringen, wo Sie reden können. Fühlt sich alles aber doch "eigentlich" leichter an, dann rate ich Ihnen mit Ihrem Baby in eine Eltern-Babygruppe zu gehen und dort einmal zu hören, wie es anderen Frauen ergeht. Manchmal relativiert sich vieles und plötzlich teilt man das ein oder andere mit einer anderen Mutter :)). Das Gespräch, die Umgangsweisen mit einer solchen Situation unter den Müttern, als auch durch die Kursleitung begleitet kann eine wöchentliche "Oase" sein, um Dinge auszusprechen, die einfach neu sind und nicht geübt. Denn- als Mutter wird man nicht geboren!! Schauen Sie auch unter dem Stichwort " Babylesen". Hier gibt es Videosequenzen, Literatur etc. , welche ganz wunderbar Babys Mimik und Gestik interpretiert und erklärt. Damit kann vielleicht die ein oder andere Situation schon leicht entschlüsselt werden :). Geben Sie sich beiden Zeit :). Versetzen Sie sich immer wieder in die Lage Ihres Kindes. In seine kleine Welt, die jeden Tag mit Neuerungen wartet und die mit allen Sinnen. Jeden Tag erlebt Ihr Kind Dinge, die es das 1. Mal hört, sieht, spürt,riecht usw.... Diese vielen Informationen können erschöpfen bzw.müssen verarbeitet werden. Und auch Sie dürfen Pausen machen :). Mit und OHNE Ihr Baby :)). Ihre Intuition sollte immer an erster Stelle stehen! Berichten Sie gerne, wenn Sie mögen. Ich würde mich freuen und wünsche Ihnen eine gute Zeit. Bis bald und liebe Grüße von Katrin


oceanblue

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noch eine kleine ergänzende Frage: Ist es vielleicht auch normal, dass manche Babys gar nicht so viel Blickkontakt suchen/brauchen? Oder kommt das jetzt vielleicht auch erst noch? Ich habe eben nur das Gefühl, dass der fehlende bzw. seltene Blickkontakt so wenig Beziehung zulässt. Ich rede und spiele usw. und er lächelt und schaut interessiert auf das was ich ihm erkläre, aber er blickt nicht zu mir. Bei Bekannten und Freunden war es jedoch schon meist so, dass die Babys sie angeschaut haben, wenn sie z.B. gesungen haben.


oceanblue

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Sorry, noch eine kurze Frage: wie kann ich besser mit ihm kommunizieren, wenn der Blickkontakt fehlt? Will er dann vielleicht gar nicht kommunizieren? Will er nicht das ich singe oder erzähle? Er nimmt ja keinen Bezug auf meine Mimik und Gestik. Soll ich, wenn wir am Boden sind, ihn kommentarlos spielen lassen, wenn er mich nicht mal zwischendurch ansieht? Bin einfach sehr verunsichert. Es tut mir leid, dass es so lang geworden ist. Liebe Grüße


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