Liebe Biggi,
erstmal ein großes Lob, ich lese schon seit langem still mit und konnte mir schon häufig einen Tipp erhaschen.
Aber nun brauch auch ich deine Hilfe dringend.
Ich war heut morgen mit meinem Sohn (27 Monate) beim Kinderzahnarzt. Er hat einen vereiterten Kiefer, der Grund sind die vier obersten ersten Zähne, die von Karies befallen sind. Sofort teilte mir die Ärztin mit, dass dies vom Stillen ist. Leider ist er aber mit 10 Monaten genau mit diesen vier Zähnen vor eine Kante gestürtzt und seitdem hatten sie feine Risse und Karies begann. Das sah die Ärztin nicht als Grund.
Weiterhin war sie der Meinung, dass Stillen vorallem nachts schädlich ab dem ersten Lebensjahr ist. Stimmt dies wirklich?
Desweiteren soll ich ihn nachts abstillen oder aber seine Zähne jedesmal putzen. wie soll ich dies denn machen? Hast du Tipps? eigentlich stört mich das Stillen im 2-3 Stundenrhythmus weniger. Er hat ja weder Nuckel noch Flasche noch Lieblingskuscheltier.
Auch tagsüber trinkt er häufig. Außerdem muss ich noch erwähnen, dass bei ihm eine Wahrnehmungsstörung diagnostiziert wurde, die sich dahingehend äußert, dass er sobald sich der Stuhlgang ankündigt, eine Art Angstreaktion zeigt und diesen nicht loslässt. Ein Zustand der uns schon Monate beschäftigt.
Es ist irgendwie alles so komplex und auch die Ergotherapeutin sagt dies liegt am Stillen und hat mich doch letztens allen ernstes gefragt, ob ich ihm nicht lieber die Flasche geben möchte, dass er von mir weg kommt und selbstständig wird, da er sehr sensibel ist. Und auch die Zahnärtzin war der Meinung, wegen den Kalorien bräuchte ich ihn nicht mehr zu stillen, die Muttermilch hätte wenig und ich müsste ihm schon Folgemilch geben für eine erhöhte Kalorienzufuhr.
Was mache ich denn nur?
Vorallem werden die kariösen Zähne in zwei Wochen operativ entfernt. Wie soll ich meinem Stilfjunkie denn eine ganze Nacht und am Morgen keine Milch geben dürfen? Auch nach der Entfernung soll ich nachts nicht mehr stillen, um nicht wieder Karies auszulösen!
Verwirrte Grüße
Nicole
Mitglied inaktiv - 07.04.2010, 13:52
Antwort auf:
Langzeitstillen, Karies, ...
Liebe Nicole,
das Thema Stillen und Karies ist ein Dauerbrennerthema, doch durch das ständige Wiederholen, dass Stillen, vor allem in der Nacht, zu Karies führen würde, wird diese Behauptung nicht richtiger.
Selbstverständlich ist Zahnpflege ab dem ersten Zahn bei gestillten Kindern wichtig. Da gibt es überhaupt keine Diskussion, aber Stillen führt nicht zu Karies. Muttermilch greift die Zähne nicht an. Auslöser für Karies ist ein Bakterium mit dem Namen Streptokokkus mutans.
Weder Langzeitstillen noch nächtliche Stillen leistet entgegen der immer wieder geäußerten Meinung dem Karies keinen Vorschub. Lange gestillte Kinder, die auch zum Einschlafen und während der Nacht gestillt werden haben nicht mehr Karies als andere Kinder, eher im Gegenteil. Beim Stillen werden die Zähne nicht ständig mit Milch umspült, da im Gegensatz zu einem mit der Flasche gefütterten Kind, die Milch erst weit hinter den Zahnleisten in den Mund gelangt und von dort geschluckt wird. Die Milch läuft aus der Brust nicht einfach aus (wie das bei der Flasche der Fall ist), das Kind muss aktiv arbeiten und schluckt dann auch. Gestillte Kinder und auch langzeitgestillteKinder bzw. noch lange während der Nacht gestillte Kinder haben nicht mehr Karies als nicht gestillte Kinder und wenn es zu Karies kommt, dann nicht wegen, sondern trotz des Stillens.
Selbstverständlich ist aber auch für gestillte Kinder Zahnpflege notwendig und wenn ein Stillkind Karies hat, dann muss das behandelt werden.
Das Problem ist vielmehr, dass sich Experten verschiedener Fachrichtungen leider nur sehr wenig mit Muttermilch und dem Stillen beschäftigen und auch in ihrer Ausbildung nur wenig darüber lernen. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass das Wissen über Muttermilch und Stillen beim medizinischen Personal fast ausschließlich aus den Informationen der Säuglingsnahrungsindustrie stammt!
Wenn die Zahnärztin sagt, dass nicht länger als ein Jahr gestillt werden soll, dann steht sie mit dieser Aussage im klaren Widerspruch zu den offiziellen Empfehlungen von WHO (Weltgesundheitsorganisation), AAP (Amerikanische Akademie der Kinderärzte) und anderen unabhängigen und um die Gesundheit und Entwicklung unserer Kinder besorgte Organisationen. Das heißt, es ist ihre private Meinung, die nicht wissenschaftlich gestützt ist.
Da sie wahrscheinlich auch nicht viel über die anderen Aspekte des Stillens weiß und deshalb Muttermilch und Stillen mit künstlicher Säuglingsnahrung gleich setzt, muss sie zwangsläufig zu einer anderen Meinung kommen.
Es gibt also das Problem, dass in gewissen Bereichen Informationsdefizite bestehen, aber die lassen sich beheben. Falls deine Zahnärztin Interesse hat und englisch lesen kann, dann ist die Seite des amerikanischen Zahnarztes Dr. Brian Palmer sehr interessant für sie. Gib ihr doch mal den Link: www.brianpalmerdds.com. Dr. Palmer ist nicht nur Zahnarzt, sondern beschäftigt sich darüber hinaus auch mit dem Stillen: )
LLLiebe Grüße
Biggi
von
Biggi Welter
am 07.04.2010